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Ausgabe:

April/2001

Spalte:

402 f

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Massa, Dieter

Titel/Untertitel:

Verstehensbedingungen von Gleichnissen. Prozesse und Voraussetzungen der Rezeption aus kognitiver Sicht.

Verlag:

Tübingen-Basel: Francke 1999. 389 S. gr.8 = Texte und Arbeiten zum neutestamentlichen Zetalter, 31. Kart. DM 108,-. ISBN 7720-2823-3.

Rezensent:

Eckhard Rau

Seit langem werden wir mit immer neuen Gleichnistheorien konfrontiert, die ihre Kategorien aus der Auseinandersetzung mit der Sprach- und Literaturwissenschaft gewinnen. Ein Konsens allerdings zeichnet sich nicht ab. Man greift deswegen mit Neugier zur Heidelberger Dissertation von Dieter Massa, verspricht diese doch, erstmals eine wirklich "methodische Hermeneutik" vorzulegen, deren Richtung nach Meinung des Autors "in Zukunft kaum mehr verlassen werden" dürfte. Diese Richtung ist der Sprachverarbeitungsforschung verpflichtet, deren Berücksichtigung für die Beurteilung der Verstehensbedingungen von Gleichnissen als "unabdingbar" erklärt wird (367). Die These dabei lautet, dass das Gleichnis eine Sprachform ist, die ihre Rezipienten und Rezipientinnen durch identifizierbare Textsignale dazu auffordert, die mehrsinnige Bildebene in einem regelgeleiteten Prozess zu den eigenen Wissensbeständen so in Beziehung zu setzen, dass sie eine kohärente Bedeutung gewinnt.

Mir selber leuchtet M.s These weithin ein, weil sie über die Kategorie der Wissensbestände den methodisch kontrollierten Textvergleich zum Schlüssel der Gleichnisinterpretation macht. Gerade dann fällt freilich um so stärker auf, dass sich innerhalb der Zusammenfassung auf wenigen Seiten zwar eine komprimierte Erläuterung der These findet (351-353.364-366), dass das Buch jedoch jede materiale Füllung schuldig bleibt. Es wird kein einziges Gleichnis behandelt, geschweige denn ein Textvergleich durchgeführt. Der Vf. gibt sich vielmehr mit wenigen textbezogenen Hinweisen zufrieden, die selten mehr als einen Halbsatz umfassen, und rechtfertigt sein Verfahren mit dem "weiten Theoriehorizont" (37), den sein "konsequenter Neuansatz bei den Verstehensbedingungen" (12) zu berücksichtigen hatte. Dieser Horizont wird nach der Einführung in vier großen Kapiteln abgeschritten, in denen M. die aus seiner Sicht relevante Forschung referiert und kritisiert. Sie betreffen die bibelexegetische Gleichnisforschung (69-180), die Parabelforschung in der Literaturwissenschaft (181-238), Verstehensbedingungen der Metapher (239-296) und die Rekonstruktion verstehensrelevanter Kontexte (297-350). Die Referate sind äußerst materialreich, und je nach Kenntnisstand und Interesse wird man sie mit Gewinn lesen können. Für mich persönlich hat insbesondere das Kapitel über die metapherologische Diskussion Neues zu Tage gefördert. Im Ganzen aber dürfte M. seiner These durch die Breite der Darstellung keinen guten Dienst geleistet haben. Das gilt erst recht für die Art des Umgangs mit der bisherigen Forschung, wird diese doch gar zu einlinig in den Schatten der eigenen Position gerückt.

Zu Joachim Jeremias z. B. heißt es, bei den von ihm formulierten Umformungsgesetzen seien die "Kategorisierungen ebenso fraglich wie die Zuversicht, diesen Prozeß logisch umkehren zu können" (109 f.). Paränetische Züge nur der Gemeinde zuzuschreiben sei "eine unzulässige Verengung" (111). Ja, wir erfahren, Jeremias lasse sich dazu "verleiten", "die religions- und traditionsgeschichtliche Arbeit völlig zu unterschätzen", bestimme "die Bedeutung konventioneller Metaphern fahrlässig" (115) und habe auf Grund der "zweifelhaften Voraussetzungen" seiner Methode auch das überlieferungsgeschichtliche Problem "bei weitem nicht in seiner Schärfe erkannt" (116). Vor allem aber: "Noch gravierendere Fehleinschätzungen ... ergeben sich aus einer sehr vereinfachten Definition der Verstehensbedingungen" (117) - werden diese doch erst von M. selber sachgemäß definiert.

Ganz unabhängig von der Richtigkeit oder Unrichtigkeit solcher Urteile scheint mir die massive Kritik, die sich darin artikuliert, eine angemessene Würdigung im forschungsgeschichtlichen Kontext zu verfehlen. Die Kritik beschränkt sich freilich nicht auf Jeremias, sondern durchzieht das ganze Buch, und da auch der Rez. nicht davon verschont bleibt, mag die Leserin/der Leser selber über ihre Angemessenheit entscheiden.

Was speziell die Gleichnisse betrifft, dürfte M. der Forschung mit seinem Insistieren auf die Frage nach den Verstehensbedingungen einen wichtigen Impuls gegeben haben. Seine Monogaphie wirft aber auch die Frage auf, inwieweit der neutestamentlichen Wissenschaft gegenwärtig damit gedient ist, die Gleichnistheorie in aufwendigen Untersuchungen dem jeweils neuesten Stand bzw. bisher nicht rezipierten Aspekten der Sprach- und Literaturwissenschaft anzupassen. Nicht weniger sinnvoll könnte es sein, die Energie auf eine methodenbewusste, im Kontakt mit den Textwissenschaften erarbeitete Auslegung konkreter Gleichnisse zu konzentrieren. Darauf aufbauend würde eines nicht zu fernen Tages dann vielleicht ein Werk erscheinen können, das das von Jeremias zwar nicht zu ersetzen, ihm aber an die Seite gestellt zu werden vermag. Dieser Hoffnung liegt die Überzeugung zu Grunde, dass wegen der großen Verschiedenartigkeit erst die Auslegung aller Gleichnisse die Nagelprobe für eine Theorie ist, die ihrem Gegenstand wirklich gerecht wird. Ohne selber eine solche Gesamtauslegung vorzulegen oder doch wenigstens Ansätze dazu zu liefern, sollte man sich deshalb der Begrenztheit der eigenen Theorieversuche deutlich bewusst bleiben.