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Ausgabe:

April/2001

Spalte:

395–397

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Freyne, Sean

Titel/Untertitel:

Galilee and Gospel.

Verlag:

Collected Essays. Tübingen: Mohr Siebeck 2000. VIII, 350 S. gr.8 = Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament, 125. Lw. DM 178,-. ISBN 3-16-147198-9.

Rezensent:

Jürgen Zangenberg

Es ist sehr zu begrüßen, dass Sean Freyne, Professor der Theologie des Trinity College in Dublin und ein unbestrittener Altmeister der Galiläaforschung, die gesammelten Früchte fast 20-jähriger Arbeit in Form des hier zu besprechenden Bandes vorlegt. Das Buch vereinigt, neben einer ausführlichen Einleitung in die Probleme und Aussichten der Galiläaforschung von den Anfängen im 19. Jh. bis heute ("Galilean Studies: Problems and Prospects", 1-26), vierzehn textlich im Wesentlichen unveränderte, aber bibliographisch aktualisierte Beiträge des Autors aus den Jahren 1980-1999.

F.s Interesse am kulturellen Profil Galiläas ist klar im Kern, aber breit angelegt in der Ausführung. In "The Galileans in the Light of Josephus' Life" (27-44) und "Galilee-Jerusalem Relations According to Josephus' Life" (73-85) steht eine der wichtigsten literarischen Quellen zu Galiläa im Mittelpunkt. Trotz aller apologetischen Ausrichtung der Vita und aller aktuellen politischen Spannungen zwischen Jerusalem und Galiläa steht für F. fest (entgegen Richard A. Horsley u. a.), dass Galiläa seit der hasmonäischen Eroberung jüdisch und politisch wie religiös nach Jerusalem orientiert war. Weiterführende Fragen der Selbstdefinition und Gruppenbildung innerhalb des Judentums behandelt "Behind the Names. Galileans, Samaritans, Ioudaioi" (114-131).

In drei weiteren Studien "Urban-Rural Relations in First-Century Galilee. Some Suggestions from the Literary sources" (45-58), "Town and Country Once More. The Case of Roman Galilee" (59-72) und "Herodian Economics in Galilee. Searching for a Suitable Model" (86-113) befasst sich F. kritisch mit an sozialwissenschaftlichen Modellen ausgerichteten Erklärungsmustern, die seiner Sicht nach zuweilen allzustark vom Konflikt zwischen wohlhabender Stadt ("retainer class") und abhängigem, wirtschaftlich und sozial ausgebeutetem Umland ("peasantry") ausgehen.

Breiten Raum nimmt naturgemäß die Frage ein, wie Jesus und die frühe Jesusbewegung in den kulturgeschichtlichen Kontext Galiläas einzuordnen sind. In "Hanina Ben Dosa. A Galilean Charismatic" (132-159) zeigt F., dass es nicht nur keinen "viable type" eines galiläischen Charismatikers gegeben hat, in den man den Wundertäter Jesus hätte einordnen können, sondern dass auch die folgenden Generationen mit dem jeweils überlieferten Material unterschiedlich umgegangen sind. Hanina taugt daher nicht dazu, aus wenigen Texten einen besonders charismatischen Zug "galiläischer Frömmigkeit" im Unterschied etwa zu "Jerusalemer Schriftgelehrsamkeit" rekonstruieren zu wollen. Die Studien "Archaeology and the Historical Jesus" (160-182) und "Jesus in the Urban Culture of the Galilee" (183-207) sind stärker archäologisch, im Altschen Sinne "landeskundlich" orientiert (letzteres Wort gibt den umfassenderen Gebrauch des Begriffs "archaeological" im Englischen wohl sachgemäßer wieder). In dankenswerter Deutlichkeit und mit eindringlicher Materialfülle zeigt F. auf, welch grundlegende Bedeutung dem Dialog zwischen solch archäologisch fundierter Landeskunde und Textwissenschaft für die Jesusforschung im engeren Sinne zukommt. F.s meisterhafte Argumentationskunst demonstriert, dass die Archäologie in diesem Diskurs alles andere als die neutrale Beschafferin objektiver kulturwissenschaftlicher Daten oder die bloß untergeordnete "Hilfswissenschaft" der Exegese ist, sondern oft genug selbst zur "Partei" wird. Archäologisches Terrain ist stets umstrittener und nicht minder umkämpfter Boden, die Ergebnisse der Spatenforschung bleiben, wie die der Exegese, immer interpretationsbedürftig. Umso wichtiger ist laut F. ein methodisch kontrollierter Dialog zwischen jüdischer und christlicher Galiläafor- schung, zwischen den "proponents of spade and pen" (72) und nicht zuletzt zwischen europäischer und amerikanischer Tradition der Exegese.

Alle methodische Vorsicht hindert den Autor freilich nicht daran, dezidiert Stellung zu beziehen. So sehr F. davon überzeugt ist, dass die Archäologie ein weit überwiegend jüdisches Gepräge Galiläas sichert, so deutlich kann er daher "Galilean Questions to Crossan's Mediterranean Jesus" (208-229) stellen. Sowohl die textlichen als auch die archäologischen Daten sprechen laut F. gegen die These, dass Jesus ein mediterraner Weisheitslehrer kynischer Prägung war. Die kleine Studie "Jesus the Wine-Drinker. A Friend of Women" (273-286) zeigt dabei ergänzend auf, dass ein "jüdisches Galiläa" keine in sich monolithische und nach außen abgeschottete Region war. F. weist jedoch selbst darauf hin, dass vor allem im Bereich der Interaktion zwischen heidnischer und jüdischer Präsenz in der Region derzeit noch Fragen offen bleiben und manches im Laufe der Zeit zu konkretisieren und wohl auch zu korrigieren sein mag. In "Messiah and Galilee" (230-270) nimmt F. die inhaltliche Seite der vorher aus archäologischem Blickwinkel betrachteten Medaille auf: welche Art galiläischer Messias war Jesus? In gewisser Hinsicht ist diese Studie das Kernstück der nicht ohne Grund "Galilee and Gospel" bezeichneten Sammlung. "Locality and Doctrine. Mark and John Revisited" (287-298) und "Christianity in Sepphoris and in Galilee" (299-307) werfen einen kurzen Blick in die Nachgeschichte der nunmehr auch christlichen Interaktion mit Galiläa. Eine umfassende Bibliographie, ein Index antiker Quellen und ein Sach- und Namensverzeichnis runden den wichtigen Band ab.

Es ist Mode geworden, Galiläa als das "fünfte Evangelium" zu bezeichnen. Statt in romantisierende Verklärung der "Heimat Jesu" zu verfallen oder sie schlicht zu ignorieren, beweist F. in überzeugender Weise, dass der literarische Text der Evangelien nicht ohne den archäologischen der Region verstanden werden kann. Die wegweisenden Ergebnisse dieser doppelten Exegese sollten diejenigen zum Nachdenken bringen, die um des "theologischen Anliegens" neutestamentlicher Wissenschaft willen glauben, auf die Ergebnisse archäologischer Landeskunde verzichten zu können. Das eine ist ohne das andere nicht zu haben.