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Ausgabe:

April/2001

Spalte:

390–393

Kategorie:

Judaistik

Autor/Hrsg.:

Spilsbury, Paul

Titel/Untertitel:

The Image of the Jew in Flavius Josephus' Paraphrase of the Bible.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 1998. XIV, 286 S. gr.8 = Texte und Studien zum Antiken Judentum, 69. Geb. DM 148,-. ISBN 3-16-146869-4.

Rezensent:

Jens Herzer

Die Studie über Josephus' Bild "des Juden" bzw. des Judentums in seiner Nacherzählung der biblischen Geschichte ist die erweiterte Fassung einer Cambridger Dissertation, die unter der Betreuung von William Horbury entstand. Sie setzt sich zum Ziel, Art und Weise der Präsentation der "Juden" bzw. des Judentums durch Josephus herauszuarbeiten und zu zeigen, wie Josephus "die Juden" von außen her verstanden wissen will, um ihnen zugleich den Idealfall ihres Selbstverständnisses vorzuführen. Spilsbury rechnet also nicht nur mit einem hellenistisch-römischen, sondern auch mit einem (hellenistisch-)jüdischen Auditorium: "Josephus had a message to give to the Greeks about the essential nature of the Jews. He also had things to say to the Jews on what it meant to be Jewish in the Roman World." (22)

In der Darstellung konzentriert sich S. auf die ersten elf Bücher der Antiquitates Judaicae, in denen Josephus der biblischen Überlieferung folgt. Obwohl damit ein relativ großer Textbereich in den Blick kommt, vermisst man eine Begründung dieser Beschränkung, zumal schon hier vermutet werden kann, dass "the image of the Jew" gemessen an den zeitgenössischen Intentionen des Josephus gerade in den späteren Texten, in denen die römische Zeit in den Vordergrund tritt, eine besondere Profilierung aufweisen dürfte und zu den Ausführungen innerhalb der biblischen Überlieferungen ins Verhältnis zu setzen wäre. Immerhin werden der Leser und die Leserin auf die wichtige Frage aufmerksam, inwiefern bei Josephus die Spannung zwischen Tradition, Entfremdung und Identitätsfindung innerhalb einer sich wandelnden Umwelt reflektiert wird, eine Frage, die die Josephusforschung immer wieder beschäftigt. Die Ergebnisse der Studie von S. werden an dieser Programmatik zu messen sein.

Der Aufbau des Buches ist luzide: Die Einführung informiert relativ ausführlich (1-50) über Josephus' Biographie und sein Werk, angefangen mit kurzen Einblicken in das Bild des Judentums in De bello Judaico und Contra Apionem, um dann die Antiquitates und bes. den ersten Teil intensiver vorzustellen. Die vier Kapitel des Hauptteils der Untersuchung folgen der Darstellung des Josephus, angefangen von "The Patriarchs" (51-93), über "Moses and his Opponents" (94-146), "From Conquest to Monarchy" (147-188) hin zu "The Divided Kingdom and Beyond" (189-216). Es folgen eine Zusammenfassung (217-230) und ausführliche Register.

Im Vordergrund der Einführung zu den Antiquitates steht naturgemäß die Frage nach der Hellenisierung der Tradition, wobei sich S. vor allem an den Arbeiten von L. H. Feldman orientiert, dabei aber deutlich sein eigenes Anliegen hinsichtlich der Frage nach den Einflüssen formuliert: Er will zeigen, dass Josephus nicht Einflüssen "unterworfen" ist, sondern dass er stets seine eigene Sicht präsentiert, was es heißt, ein Jude zu sein. Unter der Überschrift "Method" bietet S. nicht wirklich methodische Überlegungen, sondern zwei Exkurse. Der erste behandelt die wechselnde Begrifflichkeit von Jondaioi , Hebraioi und Isranlitai mit dem Ergebnis, dass im Wesentlichen die Kontexte den Begriff bestimmen, im Grunde aber alle Begriffe austauschbar sind und Josephus im biblischen Teil der Altertümer "Hebräer" bevorzugt, weil damit die Ursprungsrelation des jüdischen Volkes am deutlichsten zum Ausdruck kommt. Der zweite Exkurs thematisiert die Frage nach der jüdischen Identität in der Diaspora, deren Horizont durch zwei Perspektiven erschlossen wird: einerseits das babylonische Exil, das für Identitätsfindung vor allem durch Unterscheidung und Abgrenzung steht, andererseits das hellenistische Exil, bei dem das Bestreben, loyaler Teil der Gesellschaft zu werden, den Umgang mit der Tradition prägt. In diesem Zusammenhang verweist S. für das Verstehen dieser Entwicklungen auf die sog. Cognitive Dissonance-Theorie von L. Festinger, die J. J. Collins auf die Diasporasituation des jüdischen Volkes angewandt hatte. Sie besagt, dass die apologetischen Tendenzen des Judentums darauf hinaus laufen, die gesellschaftlichen Dissonanzen zu überwinden oder zu minimieren. Es geht also um die Beschreibung dessen, was es bedeutet, als Juden und zugleich als Mitglieder der hellenistischen Gesellschaft zu leben.

S. verbindet diesen Ansatz mit demjenigen von J. M. G. Barclay, der die Diasporasituation mit den Begriffen Assimilation, Akkulturation und Akkomodation zu erfassen suchte, und präzisiert daraufhin sein Anliegen: "we will attempt to show just what levels of assimilation, acculturation and accomodation Josephus thought should characterize Jews living in the Roman world" (49 f.).

Damit endet der interessante Teil des Buches; die hier aufgeworfenen Fragen und die Erwartungen des Lesers werden nicht hinreichend wieder aufgenommen. (Die programmatisch vergleichbare Untersuchung von Christine Gerber zu Contra Apionem [Ein Bild des Judentums für Nichtjuden von Flavius Josephus. Untersuchungen zu seiner Schrift Contra Apionem, AGJU 40, Leiden 1997] konnte S. trotz der relativ späten Veröffentlichung seiner Arbeit nicht mehr zur Kenntnis nehmen; leider fehlt auch die deutschsprachige Josephusforschung der letzten 20 Jahre bis auf wenige Ausnahmen.)

Beim Durchgang durch die Texte im Hauptteil verfolgt S. ein gleiches Muster: In einer Art kommentierender Paraphrase geht er an den Texten entlang und arbeitet in der Beschreibung der bei Josephus behandelten Personen akribisch alle Charakteristika "des Juden" heraus. Obwohl nicht alle Charaktere in gleicher Weise ergiebig sind, gelingt es S., die Vorgehensweise des Josephus im Vergleich mit den biblischen Texten klar zu beschreiben. Josephus liegt daran, das jüdische Volk als ein in jeder Hinsicht herausragendes, tugendhaftes, gottesfürchtiges, intelligentes, geistbegabtes, tolerantes und nicht zuletzt loyales Volk zu präsentieren.

Beispielhaft stehen dafür jene großen biblischen Gestalten, die zu Typoi "des Juden" werden. An ihnen weist Josephus auf, wie Juden sich selbst verstehen sollten und wie sie von anderen gesehen werden sollten: "Josephus tried to accommodate his image of the Jews to the values and tastes of a cultured Hellenistic audience" (219). Dabei legt S. Wert auf die Feststellung, dass das Bild des Josephus ein Idealbild ist: "we do not know whether any real Jews actually lived the way that Josephus was suggesting they should" (229). Ein vergleichender Blick auf andere jüdische Bilder des Judentums fehlt.

An diesem Ergebnis dürfte freilich kaum ein Zweifel möglich sein, wohl aber an dem Weg, der bis dahin beschritten wird. Aus dem Ganzen der Darstellung sollen einige Aspekte herausgegriffen werden, um diesen Zweifel des Rez. an der Vorgehensweise von S. deutlich zu machen.

1. In der Abrahamsgeschichte (55-74) erscheint der Patriarch als das Urbild der Tugendhaftigkeit schlechthin; auf ihn bleiben Juden als ihren Stammvater stets bezogen. Diese Stammvaterschaft bezieht sich, so S., nicht nur auf die Abstammung als solche, sondern eben auch auf die Eigenschaften, die von Abraham her dem jüdischen Volk zukommen. Wichtig für S. ist u. a. die Weltoffenheit des Abraham als Modell "des Juden" (die Anführungszeichen stehen für die Ressentiments, die ein deutscher Rez. gegenüber einer solch pauschalen Verwendung vor allem des Singulars "der Jude" hat). Warum S. die Ismaelgeschichte in diesem Kontext (fast) übergeht und nur erwähnt, dass Ismael keine Beachtung findet, ist unverständlich. Sätze wie Ant I 277 werden beiläufig genannt und passen scheinbar nicht in das durchweg positive Bild, das S. zeichnen will. Immerhin gelingt es, die Tendenz des Josephus deutlich zu machen, die sich fortsetzt und zu einer grundlegenden Frage führt.

Doch zunächst 2.: Mose (94-113). Für die Beschreibung des Mose ist die wesentliche Kategorie die Tugend (harete). Aufgrund der immer wieder unterschiedlichen Übersetzung dieses zentralen Begriffes (merit, valour, virtue, gallantry) wäre eine Begriffsklärung angemessen. Das Mosebild ist - mehr noch als bei Abraham - von nahezu maßlosen Superlativen bestimmt. Daran knüpft sich jene Frage, die generell auch für alle anderen Darstellungen gilt, ob nämlich diese herausragenden Persönlichkeiten der Traditionen Israels tatsächlich das typische Bild "des Juden" glaubwürdig präsentieren können. Provoziert die Übertreibung nicht das Gegenteil des Beabsichtigten? Josephus liegt doch gerade daran, Mose und die anderen von der Masse des Volkes abzuheben, wenn er ihn gar noch als theios haues bezeichnet, auch wenn damit - so S. mit Recht - nicht seine Göttlichkeit ausgesagt sein soll.

Hier dürften die Studien von L. H. Feldman, die S. ausführlich rezipiert, in eine angemessenere Richtung gehen, wenn Feldman die Repräsentation Israels nach außen vor allem unter Hinweis auf seine herausragenden Persönlichkeiten geschehen lässt und nicht von den Persönlichkeiten her ein allgemeines "Bild des Juden" abzuleiten versucht (vgl. dazu die Rezension von M. Vogel zu L. H. Feldmans gesammelten Studien in ThLZ 126, 2001, 38-40). An dieser Stelle müsste auch deutlicher differenziert werden, wie der Vorgang, den S. bei Josephus' Präsentation voraussetzt, rezeptionstheoretisch eigentlich funktionieren kann. Dabei spielt die Frage eine Rolle, welches Gewicht der Vergleich mit dem alttestamentlichen Text haben kann und welche (unterschiedliche) Rolle er für die Rezeption der Nacherzählung spielt. Was wir heute im analytischen Vergleich beobachten, kann nicht ohne weiteres für die pagane Leserschaft des Josephus vorausgesetzt werden, für die jüdische allerdings schon. Das heißt aber, dass methodisch die Rezeptionsvorgänge unterschiedlich zu beurteilen und zu beschreiben sind.

3. Im Abschnitt über die Gegner des Mose (113-145) begegnet im Zusammenhang mit Bileam das Motiv des Tempels. S. versteht dies im Zusammenhang von Restaurationsvorstellungen des Josephus in seiner Zeit. Nach Ant IV 314 habe Josephus mit einem Wiederaufbau des Tempels gerechnet, möglicherweise schon zu seinen Lebzeiten. Freilich spricht Ant XX 166 eine andere Sprache. Der Hinweis von S. auf diese Stelle übergeht das Problem zu schnell und missachtet darüber hinaus den Unterschied in den Erzählstufen. Es ist eine Sache, der biblischen Tradition folgend über die Vorvergangenheit zu Bileams Zeiten zu reden, eine andere, über die unmittelbare Vergangenheit zu reflektieren, die immer noch gegenwärtig ist und die von jenen aktuell verantwortet wird, in deren Diensten Josephus schreibt. Die Spannung, die sich zwischen Aussagen wie IV 314 und XX 166 für die Lesenden auftut, ist so kurz nicht zu lösen, sondern hat den Erzählfortgang insgesamt zu berücksichtigen; nicht alles kann in gleicher Weise auf die Gegenwart des Josephus bezogen werden.

Ähnliches wäre 4. auch über die Behandlung der Herrschaftsstrukturen zur Königszeit und der Reichsteilung (145-216) zu sagen sowie zu den kritischen Bezügen, die S. zur römischen Herrschaft herstellt. (Hier begegnet zum ersten und - so weit ich sehe - einzigen Mal der Begriff "deuteronomistisch" [185] als Charakterisierung der Theologie des Josephus, ohne den Begriff - angesichts der gegenwärtigen Diskussion - auch nur andeutungsweise zu erläutern oder zu problematisieren.)

Insgesamt bleibt der Eindruck des Werkes ambivalent. Es wird ein interessantes und wichtiges Problemfeld aufgezeigt, hinter dessen Anspruch aber die Untersuchung der Texte zurückbleibt. Im Ergebnis begegnen dem Leser nach der Herausarbeitung der idealen Eigenschaften "des Juden" häufig zusammenfassende Sätze, die an das Programm nur erinnern; etwa zu den Gegnern des Mose: "Josephus makes this point in language that is often reminiscent of Greek democracy, but the substance of his argument could hardly be more different" (141); zum Königtum: "Presumably, his Gentile audience would not have been insensitive to the implied criticism of Roman hegemony of the world either" (169); zu Salomo: "There can be no doubt that it was a notion which must have had deep implications for Josephus' understanding of what it was to be a Jew in the Roman empire" (188).

Solche und ähnliche Schlussfolgerungen stehen als Resümee am Ende der Textanalysen, ohne dass sie darin begründet worden wären. Ohne klare Bezüge zu den entsprechenden Referenzen, auf die jeweils verwiesen wird, und ohne die Analyse dieser Bezüge bleiben solche weitreichenden Sätze Behauptungen, so dass S. letztlich sein interessantes Programm leider nicht einlösen kann.