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Ausgabe:

April/2001

Spalte:

387–389

Kategorie:

Judaistik

Autor/Hrsg.:

Rottzoll, Dirk U.

Titel/Untertitel:

Abraham Ibn Esras langer Kommentar zum Buch Exodus. Eingel., übers. u. kommentiert. 1: Parascha Schemot bis Beschalach (Ex 1-17). 2: Parascha Jitro bis Pekudej (Ex 18-40).

Verlag:

Berlin-New York: de Gruyter 2000. CL, 1117 S. gr.8 = Studia Judaica, 17, 1/2. Lw. zus. DM 398,-. ISBN 3-11-016475-2.

Rezensent:

Timotheus Arndt

Nach Abraham Ibn Esras Kommentar zur Urgeschichte (1996, rez. von Stefan Schreiner in ThLZ 122, 1997, 251 f.) und Abraham Ibn Esras Kommentaren zu den Büchern Kohelet, Ester und Rut (1999, rez. von Johann Maier in ThLZ 125, 2000, 611-614) liegt nun auch Abraham Ibn Esras langer Kommentar zum Buch Exodus, eingel., übers. und kommentiert von Dirk U. Rottzoll vor. Die letzte Arbeit ist mit CL und 1117 Seiten wesentlich umfangreicher als die beiden früheren zusammen.

Dem Übersetzungsteil gehen zwei Hauptteile - auf den römisch gezählten Seiten - voran. Im ersten Hauptteil diskutiert Rottzoll die klassischen Einleitungsfragen nach Verfasserschaft, Abfassungszeit und Abfassungsort des Kommentares. Im zweiten Hauptteil bietet er Einleitungsinformationen zu Werken, auf die sich Abraham Ibn Esra im vorliegenden Kommentar bezieht. In der Vergangenheit vorgebrachte Gründe gegen die Verfasserschaft Ibn Esras weist R. als ungenügend zurück (XVI-XXIX).

Mit der Diskussion um die Abfassungszeit (XXX-XL) klärt er zugleich Eckdaten in Abraham Ibn Esras Biographie, soweit das anhand der überlieferten Hinweise möglich ist. Damit korrigiert er seine Angaben in der Einleitung zu seiner Übersetzung des Kommentares zur Urgeschichte S. IX mit Anmerkung 2. Die heute vorliegenden relevanten Auskünfte führen zu der Annahme, dass Ibn Esra 1089 geboren wurde und im Alter von 75 Jahren am Montag, dem 27. Januar 1164 (d. i. dem 1. Adar I. 4924), gestorben ist. Den langen Exodus-Kommentar vollendete er im Jahre 1153 im Alter von 64 Jahren.

Die Diskussion um den Abfassungsort (XLI-XLIX) endet mit der Entscheidung für Rouen. Hier korrigiert R. die Angabe in der Einleitung zu seiner Übersetzung des Kommentares zur Urgeschichte S. XV mit Anmerkung 35.

Im zweiten Hauptteil stellt R. Quellen von Abraham Ibn Esras Kommentar vor (LI-CL). Er versteht darunter Werke, die Ibn Esra ausdrücklich oder anscheinend zitiert. Diese sind nach Epochen und Regionen geordnet. Die einzelnen Werke oder Personen werden so ausführlich vorgestellt, wie es die jeweils auffindbaren Informationen zulassen. Dadurch gerät dieser Hauptteil zu einem kleinen Kompendium wichtiger Gelehrter bis in die Zeit des Abraham Ibn Esra. Nach diesen je für sich schon interessanten Arbeiten betreten wir die "Übersetzungswerkstatt".

Aus dem Vorwort auf den Seiten V bis VI sind die herangezogenen Handschriften und Drucke bekannt. Auf sie wird bei übersetzungsrelevanten Abweichungen verwiesen. Dabei geht es meist um Einfügungen aus dem kurzen Kommentar in MS St. Petersburg Ebr. I/024.

Bei der Trennung in zwei Bände wird die Paraschen-Einteilung zitiert. Das Inhaltsverzeichnis (IX-XII) listet nur die Kapitelanfänge auf. Im Text sind den einzelnen Paraschen Kurzgedichte - durch Fettdruck hervorgehoben - vorangestellt. Diese für Ibn Esra offenbar maßgebliche Gliederung hätte in der Gestaltung stärker hervorgehoben werden dürfen.

Die Übersetzung eines dicht formulierten Textes voller Fachbegriffe - zumal aus unterschiedlichen Wissenschaftsgebieten - ist jedesmal eine besondere Herausforderung und verlangt schwerwiegende Entscheidungen. R. verzichtet darauf, uns Reflexionen über sein Vorgehen mitzuteilen. Offensichtlich hat er nicht die Absicht, einem breiten Publikum ohne Hebräisch-Kenntnisse einen flüssigen deutschen Text vorzulegen. Die Arbeit bietet eher solchen eine Hilfe, die etwa des biblischen Hebräisch kundig sind und sich auf einen weiteren Bereich hebräischer Texte einlassen wollen. Beim Studium der R.schen Edition sollte der hebräische Bibeltext im Kopf oder zur Hand sein und am besten auch eine Ausgabe des hebräischen Kommentartextes.

R. folgt einem gestuften Verfahren: Das kommentarauslösende Bibelzitat und auch einzelne hebräische Ausdrücke aus dem Kommentar bleiben unübersetzt. Der Kommentartext wird Wort für Wort - gebunden an die Vorgaben gängiger Lexika, nahezu konkordant - ins Deutsche übertragen. Diese für sich meist noch unverständliche Wortfolge wird durch eingeklammerte Wörter und Wendungen ergänzt. Diese Ergänzungen haben ein gefächertes Aufgabenspektrum: Sie klären syntaktische Bezüge zwischen den Wörtern, stellen grammatisch richtige Sätze her, nennen Bezugswörter für Pronomina und tragen Interpretationen ein. In diesen Klammern stehen auch Bibelstellen und weitere hebräische Ausdrücke aus der Vorlage. Hier gestattet sich der Übersetzer deutlich größere Freiheiten.

Dieses Verfahren ergibt allerdings weder eine flüssige noch eine vorlagengetreue Übersetzung. Ihr Vorzug ist die klare Trennung zwischen der aus der Vorlage gesicherten - wenn auch unzureichenden - Erkenntnis und ihrer notwendigen - wenn auch bisweilen etwas umständlichen - Interpretation.

Weitere Erläuterungen finden sich mitunter in Anmerkungen. In der Hauptsache dienen die Anmerkungen - die selten weniger als die halbe Seite füllen - dazu, Vergleichstexte anzuführen, seltener auf solche zu verweisen. Neben längeren Zitaten aus anderen Werken sind dies meist die Entsprechungen aus dem kurzen Kommentar und oft auch Parallelen aus dem selben Kommentar. Dabei lauten die Übersetzungen im Text und ihre Wiederholungen in diversen Anmerkungen nicht immer gleich. - S. 226, Anm. 91 ist ein "nicht" zu streichen. Das Zitat ist auf S. 532 richtig übersetzt. Anmerkung 39 auf Seite 896 schließlich bietet u. a. den mit der Anmerkung versehenen Text selbst noch einmal. - Dieses Verfahren bietet einen mageren Ersatz für andere Verweissysteme oder Register. Der Arbeit ist nur noch ein Verzeichnis der in den Anmerkungen häufiger benutzten Werke angefügt (1110-1117).

Im Wesentlichen bleibt zutreffend, was die Rez. der beiden vorangehenden Werke notiert haben. R. hat sich durch umfangreichen Text gearbeitet und seine Werkstatt zugänglich gemacht. Sie zeigt die Notwendigkeit und eröffnet die Möglichkeit einer Reihe weiterer ins Detail gehender und zusammenfassender Arbeiten.

Neben verschiedenen kleinen Versehen finden sich Druckfehler im Deutschen wie Hebräischen. Bei ansonsten unpunktierten hebräischen Wörtern bildet der shin und sin unterscheidende Punkt eine überflüssige Fehlerquelle.

Auf S. XXX ist am Ende des Kolophones offenbar der Reim verkannt. Der Schluss muss heißen: Der Kommentar ist "wertvoll wie (der Edelstein) shoham". Auf Seite XXXIII muss es statt 1188/89 richtig 1088/89 heißen.

Dem mathematischen Text S. 89 bis 92 fehlt eine mathematische Übersetzungs-Terminologie. Er ist daher unverständlich. Doch gleicht R. dies in der Regel durch Rechendemonstrationen in entsprechenden Anmerkungen aus. Allerdings sind auf S. 91 in Anmerkung 194 die Worte "von F nach E" zu streichen. Das Dreieck ist - wie oben richtig übersetzt - nur gleichschenklig, nicht gleichseitig. In Anmerkung 195 ist statt von Seitenlängen von Flächeninhalten zu handeln, wie es in den Zitaten von Creiznach in Anmerkung 196 geschieht.

Anmerkung 177 auf S. 89 lässt uns etwas ratlos: "Man beachte, daß sich im Anschluß an diesen Satz in [vieren der fünf Manuskripte] eine größere Textpassage findet, die in den Druckausgaben fehlt." Warum enthält uns R. ausgerechnet deren Übersetzung vor?

S. 362 sollte es besser heißen: "das leugnet der gesunde Verstand nicht". Die Übersetzung "gewogene[r] Verstand" gibt R. selbst später (z. B. 576) zu Gunsten des Ausdruckes "gesunde[r] (Menschen-)Verstand" auf.

In den Gedichtübersetzungen stören nicht nur unregelmäßig gesetzte Zeilentrenner. Mitunter bleibt der Sinn merkwürdig schwebend, anders als im hebräischen Original. Zum Wochenabschnitt "bshallach" (369) müssen die beiden mittleren Zeilen richtig heißen: "... Während er sorglos ist, dringt ihm der Pfeil durch die Leber. // Sieh, Übermütiger, und nimm dir zu Herzen ...".

S. 997 muss es richtig heißen: "So ist der Brauch in jedem Lager, in dem man an einem Ort etwa (ein) Jahr (lang) verweilt, dass man Hütten macht und Tore für das Lager errichtet."

S. 1025 im zweiten Absatz ist die Übersetzung fehlerhaft und unfertig geblieben. Die Anmerkungen 131 und 132 helfen nicht weiter. Es könnte heißen: "Und siehe, der Eine hat kein ,Bild' (= stellt keine innerweltliche Realie dar). Er aber verhält sich wie ein Allgemeinbegriff (= eine Art Universalie) zu allen Abbildungen (= allen Realien)." Ein Verweis auf Ibn Esras Platonismus wie S. 108 Anm. 313 ist hier angebracht.