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Ausgabe:

April/2001

Spalte:

379–382

Kategorie:

Judaistik

Titel/Untertitel:

The Cambridge History of Judaism. III: The Early Roman Period. Ed. by W. Horbury, W. D. Davies, J. Sturdy.

Verlag:

Cambridge: Cambridge University Press 1999. XCIII, 1254 S. m. Abb. gr.8. Lw. $ 90.-. ISBN 0-521-24377-7.

Rezensent:

Johann Maier

Der eindrucksvoll voluminöse dritte Band der "Cambridge History of Judaism" behandelt in 32 Kapiteln die Zeit von 63 v. Chr. bis zum Ende des Zweiten Tempels, also die Epoche, die gerade für den Neutestamentler von besonderem Interesse ist. Die zeitliche Begrenzung wird allerdings in manchen Beiträgen recht großzügig überschritten, ob immer mit Sinn, mag im Blick auf den folgenden Band fraglich erscheinen. Auf das Vorwort von W. Horbury folgen S. XVII-XXVI ein Abkürzungsverzeichnis, darauf chronologische Tabellen in 3 Spalten (1. Rom/Italien, 2. Provinzen, 3. Palästina) und zwei in einem so anspruchsvollen Rahmen recht schlichte Kartenskizzen. Karte A gilt der Diaspora im Römischen Reich, Karte B. zeigt Palästina, weist aber außer zwei markierten jüdischen Siedlungsgebieten nur Weiß auf, was laut Legende "primarely Samaritan population" anzeigt. Zu einzelnen Kapiteln werden allerdings noch weitere Kartenskizzen geboten.

M. Broshi eröffnet die Darstellung (1-37) mit einem konzisen Überblick über "The archaeology of Palestine. 63 BCE-CE 70". Die Archäologie steht in dieser Epoche vor der einerseits erfreulichen, andererseits recht unangenehmen Tatsache, dass mit der Bautätigkeit des Königs Herodes und seiner Nachfolger ältere Befunde in großem Ausmaß beseitigt oder hoffnungslos überdeckt worden sind, so dass die archäologischen Befunde der herodianischen Periode dominieren. Sie betreffen freilich unter anderem die größte Tempelanlage (Jerusalem), die größte Palast-Festungsanlage (Herodeion) und einen der am besten ausgebauten Häfen (Caesarea) von damals. Dies alles im Rahmen der späthellenistisch-römischen Kultur, nur hinsichtlich bildlicher Darstellungen hielt sich auch Herodes an die jüdische Norm.

D. Bahat, "The Herodian Temple" (38-58) skizziert die Anlage nach Josephus und ergänzt die Angaben nach den letzten Grabungen im Westen und Süden.

E. M. Meyers, "Recent archaeology in Palestine: achievements and future goals" (59-74), beschreibt die forschungsgeschichtliche Situation und einige aktuelle Themenkomplexe wie Synagogenforschung, Urbanisierung und Hellenisierung sowie Aufstieg des Christentums; er empfiehlt eine engere Zusammenarbeit zwischen der an Textquellen orientierten und der archäologischen Forschung.

M. Williams, "The contribution of inscriptions to the study of Judaism" (75-93), bietet eine knappe Skizze des nicht sehr ertragreichen Befundes. Wichtig ist sein Hinweis, dass selbst die wenigen Funde sehr deutlich die Vielfalt der regionalen Eigenheiten innerhalb der jüdischen Diaspora bezeugen, ein Umstand, der auch bei der Behandlung und Wertung literarischer Zeugnisse zu beachten ist.

E. Gabba, "The social, economic and political history of Palestine. 63 BCE-CE 70" (94-167) ist eine kleine Monographie und rekapituliert in 12 Kapiteln kritisch den Lauf der Ereignisse, soweit er sich belegen lässt. Obwohl es in diesem Beitrag eines renommierten Althistorikers nicht so sehr um die jüdische Einstellung zu Rom geht, sind in dem ansonsten sehr nach theologischen Gesichtspunkten angelegten Sammelband hier die einzigen deutlichen Hinweise auf das nicht zuletzt geschichtstheologisch begründete Verhältnis zwischen "Israel" und Rom zu finden.

Ergänzt wird er im Blick auf die Diaspora durch E. M. Smallwood, "The Diaspora in the Roman Period before CE 70" (168-191). Die Vfn. streift kurz die Frage des politisch-rechtlichen Status und behandelt dann in vier Kapiteln Rom und weitere große Städte, Ägypten und zuletzt Antiochien.

Noch von M. Smith stammt der Beitrag "The Gentiles in Judaism. 125 BCE-CE 66" (192-249). Beschrieben wird die Terminologie und - mit vielen bemerkenswerten Einzelbeobachtungen - das neue Verhältnis infolge der hasmonäischen Eroberungen und Eingliederungen sowie die danach aufkommenden Auseinandersetzungen zwischen den jüdischen und nichtjüdischen Bevölkerungsgruppen. Die Seiten 223-239 gelten König Herodes, der Schluss beschreibt kurz die Lage und Polarisierung danach bis 66 n. Chr.

Die jüdische Haltung zu Nichtjuden über 70 n. Chr. hinaus referiert R. Loewe in "Gentiles as seen by Jews after CE 70" (250-266), allerdings mit einem deutlich modernen, liberal-jüdischen Akzent.

H. Bloedhorn und G. Hüttenmeister, "The Synagogue" (267-297), referieren über Synagogenbauten, das heißt: Abgesehen von Gamala führt dies in die Periode nach 70 n. Chr. Anders S. J. D. Cohen mit "The Temple and the Synagogue" (298-323), der die beiden Institutionen vergleicht. Wie er zuletzt selber bemerkt, handelt es sich um zwei eigentlich nicht kommensurable Größen, zumal über Synagogen für diese Periode kaum Nachrichten erhalten sind und ihre Rolle im Rahmen des jüdischen Pluralismus jener Zeit nicht so einfach zu bestimmen ist. Hinter der Themenstellung stand wohl ein Begriff von "Synagoge", der dem der "Kirche" nachempfunden ist. Mehr Aussagen gibt es erst aus späterer Zeit, daher werden S. 519 ff. auch noch rabbinische Äußerungen zu Tempel und Synagoge angeführt und besprochen.

Auch der Beitrag von St. C. Reif, "The Early Liturgy of the Synagogue" (326-357), ist wegen ähnlich mangelhafter Voraussetzungen letztlich zu einem negativen Befund verurteilt. Eine Liturgie ohne Belege für liturgische Texte ist nicht zu beschreiben. Reif verweist sicher zu Recht darauf, dass für die Synagoge als Institution und liturgischen Ort in der Diaspora früher als in Palästina klarere Konturen aufzuweisen sind. S. 852 ff. folgt übrigens ein gesonderter Beitrag über "Prayer in the Qumran Texts", welcher sinnvollerweise mit dem von Reif zusammen gelesen werden sollte. Im modernen Trend, aber aus denselben Gründen nicht minder chronologisch im Abseits, liegt das Kapitel "Women in the Synagogue" von W. Horbury (358-401). Was behandelt wird, stellt einen interessanten Beitrag zur Rolle der Frau dar, aber nicht speziell in "der Synagoge" und auch nicht in der Zeit zwischen 63 v.-66 n. Chr. Den ganzen Komplex von S. 267-401 hätte man durch andere und der Periode angemessenere Fragestellungen passender gestalten können.

Der nächste thematische Block gilt den einzelnen jüdischen Richtungen, die somit dem Leser etwas unvermittelt begegnen, ohne ausreichende vorbereitende Darstellung der innerjüdischen Verhältnisse, Kontroversen und Entwicklungen. J. Schaper beschreibt "The Pharisees" (402-427) v. a. nach ihrer politischen und ritualgesetzlichen Seite, wobei er S. 406 f. in den Gegenpositionen in 4QMMT frühe pharisäische Halakah unter Jonatan Makkabäus und in der Einsetzung Simons zum Hohepriester 143 v. Chr. einen Bruch mit "Aaronide/Zadokite legitimacy" sieht. Im Blick auf die politische Rolle konstatiert er eine "quietistische" Note, auf religöse Vorstellungen geht er kaum ein.

Umsichtig und klar gestaltet ist G. Stembergers Beitrag "The Sadducees- their history and doctrines" (428-443). Er schildert kurz die wenigen Quellen, hebt dann im zweiten Kapitel die Unsicherheiten bei der Identifizierung der Gruppe in der hasmonäischen Zeit hervor, auch die immer noch nicht ganz geklärte Namensableitung und das schillernde Verhältnis zu den Boethosäern. Im dritten Kapitel behandelt er das Verhältnis der Sadduzäer zu den Traditionen und deren Verbindlichkeit, sodann die bekannten gesetzlichen bzw. rituellen Differenzen und die wenigen Angaben über theologische Positionen. Etwas zu kurz kommt wohl die neuere Diskussion um die Qumrantexte. Ein kurzer Ausblick gilt den Karäern, wobei er al-Qirqisani's Ableitung von den Sadduzäern als inakzeptabel ablehnt.

O. Betz, "The Essenes" (444-470), schildert die Essener in der klassischen Art (vgl. ders. in TRE 10, 1982, 386-391), mit dem Akzent auf theologischen Themen und unter der Voraussetzung, dass die Qumrantexte essenische Originalquellen darstellen. Die Beschreibung der Quellen S. 444 f. lässt leider einen Bezug auf R. Bergmeiers wichtige Analyse (Die Essenerberichte des Flavius Josephus. Quellenstudien zu den Essenertexten im Werk des jüdischen Historiographen, Kampen 1993) vermissen. S. 468 f. kommen noch kurz die Therapeuten als ägyptisches Gegenstück zu den palästinischen Essenern zur Sprache.

Von K. Rudoph stammt der Beitrag über "Baptist Sects" (471-500), der z. T. (etwa bei den Manichäern) wieder weit über die Epochengrenze reicht. Unter dem Titel "The Trouble Makers" werden danach (501-568) durch M. Smith jene Kräfte beschrieben, die in dieser Zeit politisch militant in Erscheinung getreten sind, zuletzt insbesondere im Aufstand gegen Rom. "Räuber", Zeloten und Sikarier sowie Einzelfiguren mit (kritisch hinterfragten!) "messianischen" Ansprüchen passieren in Ergänzung zu E. Gabbas Darstellung der politischen Geschichte Revue, mit einem besonderen Blick auf Galiläa und zuletzt auf Jesus, insofern er von Pilatus als "König der Juden" verurteilt wurde.

Daran anschließend folgt "The Samaritans and their sects", eine konzise Übersicht von St. Isser (569-595). M. Goodman bietet mit "Galilean Judaism and Judaean Judaism" (596-617) eine sehr zurückhaltende und kritische Darstellung dieses theologisch manchmal überstrapazierten Verhältnisses. Der Beitrag war von den Herausgebern offenbar als Übergang zu einem weiteren Themenblock gedacht gewesen, der das frühe Christentum betrifft und verhältnismäßig viel Raum einnimmt, so dass der Eindruck entstehen muss, das Judentum vor 70 n. Chr. sei ganz wesentlich durch das aufkommende Christentum bestimmt worden, jedenfalls mehr als durch Pharisäer und Sadduzäer. Es handelt sich um: W. D. Davies und E. P. Sanders, "Jesus: from the Jewish point of view" (618-677), W. D. Davies, "Paul: from the Jewish point of view" (678-730) und J. C. Paget, "Jewish Christianity" (731-775).

Überraschenderweise folgt darauf ein Beitrag von C. C. Rowland über "Apocalyptic: The disclosure of heavenly knowledge" (776-797), ein kurzer Abriss dessen, was in der Theologie üblicherweise unter "Apokalyptik" im weiteren Sinne behandelt wird, wobei selbst noch die Nag Hammadi-Texte berücksichtigt werden. Vielleicht hatten die Hgg. an eine Behandlung der "Apokalypsen" und verwandter Schriften gedacht, weil gleich darauf ein Qumran-Themenblock folgt.

J. Campbell gibt einen Überblick über "The Qumran sectarian writings" (798-821), wobei er auch auf verschiedene Versuche zur Aufhellung des historischen Kontextes und der internen Entwicklung eingeht, sich dabei für die Essener-Hypothese ausspricht, ohne dabei die offenen Fragen auszuklammern. N. Golb setzt einen besonderen Akzent mit "The Dead Sea Scrolls and pre-Tannaitic Judaism" (822-851), indem er die Jerusalemer Herkunft der gefundenen Schriften verficht und die übliche Qumran-Essener-Hypothese sowie die Annahme einer "Qumrangemeinde" in der Anlage auf der Khirbet Qumran mit seinen bekannten Argumenten heilsam in Frage stellt. Bedenkt man, dass der Großteil der gewichtigsten Qumranschriften nicht in der römischen Periode abgefasst wurde, sondern früher, hätte man sich eine eingehendere Behandlung der Funde im Blick auf die Zeit ab 63 v. Chr. gewünscht, und dabei auch der offenen Fragen, die mit der Zäsur, die archäologisch für das Jahr 9/8 v.Chr. festgestellt worden ist - und dies auch im Blick auf die Quellenlage hinsichtlich der "Essener" in der Zeit danach.

Schließlich folgt, etwas weit abseits von dem Beitrag über Liturgie auf S. 326-357, noch ein sehr sachkundiger Beitrag von D. K. Falk über "Prayer in the Qumran texts" (852-876). Seine Ergebnisse passen insofern zum Beitrag von N. Golb, als das liturgische Material offenkundig nicht einfach auf eine "Qumrangemeinde" zurückgeführt werden kann.

Im Anschluss daran werden die beiden großen Autoren der Periode vorgestellt, "Philo of Alexandria" (877-900) durch C. Mondesert und "Josephus" (901-921) durch L. H. Feldman. Angesichts der Bedeutung der Werke des Josephus als Hauptquelle für die Periode wären noch einige weiterführende Darlegungen einzuplanen gewesen.

Die letzten Beiträge führen eindeutig über das Jahr 70 n. Chr. hinaus und wären eigentlich im nächsten Band zu erwarten. S. J. D. Cohen untersucht in "The rabbi in second-century Jewish society" (922-990) sehr eingehend und umsichtig die sozialgeschichtliche Einbindung der aufkommenden rabbinischen Elite in ihrer jüdischen Umwelt. In die westliche Diaspora führt L. I. Levine mit einer eindrucksvollen Übersicht über "The Hellenistic-Roman Diaspora CE 70-CE 235" (991-1024) ein. "The Legacy of Egypt in Judaism" (1025-1051) von J. G. Griffiths bringt allerdings auch Themen zur Sprache, die in den chronologischen Rahmen dieses Bandes gehören und relativ selten behandelt werden - nämlich das unterschiedliche Verhältnis urbaner und ländlicher jüdischer Kreise zu hellenistischer und ägyptischer Kultur. Speziell hingewiesen sei zudem auf das Kapitel über den Ursprung der Synagoge S. 1028 ff. Hingegen gehört der letzte Beitrag, "Jewish Elements in Gnosticism and Magic c. 70 CE-c. CE 270" (1052-1078) wieder in den nächsten Band der Reihe.

Ein Sammelwerk dieses Umfangs ist sicher nicht leicht so zu gestalten, dass die Autoren einander nahtlos und funktionsgemäß ergänzen. Aber nicht darin liegt die Problematik dieses Bandes. Sie liegt in einer in der Sache nicht nachvollziehbaren Planung und Anordnung der Beiträge. Die Einzelbeiträge bieten zu einem großen Teil im Rahmen des Bandes gewiss angemessene und anregende Informationen, doch fehlt eine Synthese, sei es als Einführung in die Epoche, sei es als Resümee des Ganzen am Schluss. Schließlich begann 63 v. Chr. eine Epoche, in der sich das Römische Reich in den Augen der meisten Juden von einem Bundesgenossen in das "vierte Reich" Daniels verwandelte, in die zweite gottfeindliche Weltmacht, die nach dem babylonischen Imperium den Tempel von Jerusalem zerstört hat, eine Wertung, die auch das frühe Christentum teilte. Daher wäre es sinnvoll gewesen, die antirömischen Tendenzen und die Diasporaufstände von 115-117 n. Chr. in einem Beitrag für sich zu behandeln, und zwar bis zum Ende des Bar-Kokba-Krieges, nach dem sich die Situation - im rabbinischen Sinne - ja erst stabilisiert hat.

Unausgewogen sind auch die Bibliographien zu den einzelnen Beiträgen ausgefallen (1079-1219). Manche davon sind mit unnötigen Angaben überladen, und manche weisen für ein so international bekanntes Werk allzu auffällige Beschränkungen hinsichtlich nichtenglischer Publikationen auf. Ein Sach- und Namenregister schließt den Band ab, der mit seinem Umfang und mit der Vielfalt seines Inhalts trotz nicht geglückter Planung sicher nützliche Dienste leisten und Anregungen vermitteln wird.