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Ausgabe:

April/2001

Spalte:

363–365

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Becker, Joachim

Titel/Untertitel:

Der Ich-Bericht des Nehemiabuches als chronistische Gestaltung.

Verlag:

Würzburg: Echter 1998. 121 S. gr.8 = Forschung zur Bibel, 87. ISBN 3-429-02012-3.

Rezensent:

Klaus-Dietrich Schunck

Nachdem er sich bereits im Zusammenhang seiner Kommentierung der Bücher Esra und Nehemia1 sowie des 1. Chronikbuches2 intensiv mit den Problemen dieser Schriften und der Struktur des Chronistischen Geschichtswerkes beschäftigt hat, versucht der Vf. mit der vorliegenden Studie nun eine eingehendere Begründung für eine neue, schon in seinem Esra/Nehemia-Kommentar vertretene Auffassung nachzuliefern. Diese besteht aus zwei Komponenten: 1. Der sogenannte Ich-Bericht des Nehemiabuches, dem der Vf. Neh 1,1-7,5; 12,31-43; 13,4-31 zurechnet, trägt pseudepigraphischen Charakter, stammt also nicht von Nehemia, und 2. dieser Ich-Bericht ist im Rahmen des aus 1/2 Chr und Esra/Neh bestehenden Chronistischen Geschichtswerkes geschaffen worden und gehört somit von Anfang an zu diesem Werk dazu; der Unterschied zwischen Ich-Bericht und Er-Bericht im Nehemiabuch beruht allein auf darstellerischen Erwägungen.

Ausgangspunkt für diese in der einschlägigen Forschung neue Position ist der Bericht über die Wirksamkeit des Esra in Esra 7-10, den der Vf. in der Nachfolge zahlreicher anderer Forscher für eine fiktive Darstellung hält, die somit ebenfalls pseudepigraphischen Charakter trägt, und in der ebenso wie im Nehemiabuch Ich-Form und Er-Form abwechseln. Da dazu deutliche Entsprechungen im Inhalt und in der Sprache zwischen dem Esra-Bericht in Esra 7-10 und dem Nehemia-Bericht vorliegen, meint der Vf., für beide Berichte denselben Autor annehmen zu dürfen, nämlich den Chronisten.

Diese Auffassung wird durch eine den herkömmlich im Ich-Bericht unterschiedenen Textabschnitten folgende eingehende Analyse aller Stellen und Begriffe, die für die These des Vfs. in Anspruch genommen werden können, genauer zu belegen versucht. Hier liegt nun das Schwergewicht und zugleich das eine große Problem dieser Studie. Die Frage ist: Sind diese Stellen, Termini und Sachverhalte wirklich nur bei Annahme einer Abfassung durch den Chronisten überzeugend zu erklären? Alle vom Vf. angeführten Textstellen und Belege - auf die hier nicht im Einzelnen eingegangen werden kann - lassen sich auch von der Hand eines eigenständigen Autors des Ich-Berichts, der vor dem Chronisten wirkte, bzw. als spätere Zusätze eines Redaktors, der dazu nicht mit dem Chronisten identisch sein muss, verstehen. Und könnte der gegenüber Nehemia jüngere Chronist nicht auch Wörter und Begriffe, die Nehemia als Autor des Ich-Berichts verwendet hat, wieder aufgenommen haben?

Es zeugt von der fairen wissenschaftlichen Arbeitsweise des Vfs., dass er gegen seine Auffassung sprechende Argumente keineswegs übergeht und einräumt, dass zahlreiche Stellen und Sachverhalte auch auf eine literarische Eigenständigkeit des Ich-Berichts hinweisen könnten. Und ebenso verkennt er nicht, dass es in Bezug auf die Mauerbauliste Neh 3,1-32 Argumente gibt, die zwar eine spätere Einfügung der Liste in den Ich-Bericht ausschließen, nicht aber die Übernahme einer bereits vorhandenen Liste durch den Autor des Ich-Berichts. Für diesen verneint der Vf. dann freilich mit aller Entschiedenheit eine Identität mit Nehemia.

So gern man dem Vf. in seinen anregenden Überlegungen folgen möchte, kommt man doch nicht umhin festzustellen, dass Zweifel an seiner Auffassung bleiben, dass der Wechsel in der Darstellung zwischen Ich-Bericht und Er-Bericht auf denselben Autor, den er in dem Chronisten erblickt, zurückzuführen sei. Die Annahme einer bewussten literarischen Gestaltung und der Hinweis auf Analogien in anderen Schriften reichen hier nicht aus.

Der Studie ist ein knappes Literaturverzeichnis angefügt. Hier liegt bei der Anführung des Artikels zu liska-h eine Verwechslung in der Angabe des Autors vor; dieser Artikel wurde von D(iether) Kellermann, nicht aber von U(lrich) Kellermann abgefasst.

Fussnoten:

1) Becker, J.: Esra-Nehemia (NEB), Würzburg 1990.

2) Becker, J.: 1Chronik (NEB), Würzburg 1986.