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Ausgabe:

März/2001

Spalte:

335–337

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Stourton, Edward

Titel/Untertitel:

Die reine Wahrheit. Die katholische Kirche auf dem Weg ins dritte Jahrtausend. Aus dem Engl. von R. Pagani-Trautner u. P. Pawlowsky.

Verlag:

Mödling: St. Gabriel 1999. 283 S. gr.8. Geb. öS 290.-. ISBN 3-85264-573-5.

Rezensent:

Martin Schuck

Bei dem zu besprechenden Buch handelt es sich nicht um eine wissenschaftliche Veröffentlichung; dennoch ist dieses Werk für eine wissenschaftliche Beschäftigung mit dem römischen Katholizismus außerordentlich brauchbar. Der Vf., ein englischer Journalist, der in den 50er Jahren geboren wurde, reflektiert den Weg der römisch-katholischen Kirche seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil vor dem Hintergrund seiner eigenen Lebensgeschichte.

Als Katholik gehört er in England einer religiösen Minderheit an und wurde sehr bewusst katholisch erzogen. Als Junge erlebt er das Ende des Konzils und ahnte "nur sehr verschwommen, daß in Rom etwas Wichtiges geschehen war" (13). Zu diesem Zeitpunkt war er auf einer katholischen Privatschule, später, zwischen dem 13. und dem 18. Lebensjahr, wurde er im Benediktinerkloster in Ampleforth erzogen. Die Familie lebte während dieser Zeit in Ghana. Ein Gottesdienst in der Kathedrale von Accra vermittelt ihm "zum ersten Mal einen Eindruck, was die Kirche wirklich für die Welt bedeutet" (17). Die Gelegenheit, eine außereuropäische Kirche kennen zu lernen, so der Vf. weiter, "lieferte mir eine experimentelle Erfahrung der Universalität des Katholizismus und verschaffte mir einen Vorteil gegenüber den meisten englischen Katholiken" (17).

Damit ist das Thema des Buches angedeutet: Es ist die Frage nach der Verbindung zwischen Kontextualität und Universalität. Im römischen Katholizismus sind diese beiden Perspektiven innerhalb einer Institution vereint. Als Symbol dieser Zusammenschau erscheint dem Vf. das Zweite Vatikanum, und deshalb bezeichnet er sein Buch als "Bewertungsversuch, ob das Bestreben des Zweiten Vatikanischen Konzils, sich mit der Welt zu befassen, Früchte getragen hat und ob der Katholizismus nach wie vor Politik und Gesellschaft beeinflussen kann" (19). Letzteres zu bewerten erscheint ihm als schwierig, denn bei weltgeschichtlichen Ereignissen wie etwa dem Fall des Kommunismus und der Rolle, die der Papst dabei gespielt hat, gebe es immer "zwei parallele Interpretationen des Geschehens ..., die nie völlig übereinstimmen. In der einen, die in den Bereich der journalistischen Wahrheit gehört, stellt der Papst einen von vielen Faktoren dar, die zum Zusammenbruch des Kommunismus führten, und seine Rolle wird als historisches, nicht als spirituelles Phänomen gesehen. In der anderen Interpretation ist er das Instrument der göttlichen Vorsehung, mit deren Hilfe der Katholizismus den Kommunismus besiegt hat" (21).

Neben diesen grundsätzlichen Problemen, wo es ihm um nichts weniger als "um die Natur der Wahrheit" (21) geht, versucht S. eine Antwort auf die Frage zu finden, was es für den einzelnen Menschen, in welchem Teil der Welt er auch leben mag, bedeutet, katholisch zu sein, und ob dieses Gefühl der Zugehörigkeit zu einer Weltkirche auf irgendeine Weise verallgemeinerbar ist. Unter dieser Fragestellung beobachtet er Katholiken, die in unterschiedlichen kulturellen Kontexten leben; dabei gilt sein besonderes Interesse dem jeweiligen Zusammenhang zwischen religiösem Bekenntnis und politischer Praxis. Dass der jeweilige Kontext eine wichtige Rolle spielt, wird augenscheinlich beim Blick auf den polnischen Katholizismus einerseits sowie die lateinamerikanische Theologie der Befreiung andererseits.

S. berichtet von einem Gespräch mit Michail Gorbatschow, in dem dieser ihm sagte, "daß der Katholizismus und der Kommunismus ,Konkurrenten im Kampf um die Seelen' gewesen seien" (115). Nahezu enthusiastisch schreibt er über die Rolle der katholischen Kirche und speziell Papst Johannes Pauls II. bei der Beseitigung des Kommunismus in Osteuropa. Schwerer fällt ihm dagegen eine positive Bewertung der Theologie der Befreiung. Zwar erkennt er ihre Bemühungen zur Schaffung von Gerechtigkeit an, kann aber die politischen Konsequenzen und die Hinwendung vieler Priester zum Marxismus nicht gut heißen: "Das Zweite Vatikanum befreite die Kirche in Lateinamerika, damit sie sich dynamisch mit der Welt auseinandersetzen konnte, aber als Konsequenz daraus wurde sie in die Politik getrieben und durch Revolution, Repression und Gewalt befleckt" (159).

Ähnlich widersprüchlich ist seine Haltung gegenüber Theologen, die auf Grund ihrer öffentlichen Äußerungen mit dem Vatikan in Konflikt geraten sind. Hier entscheiden weniger die Inhalte der Aussagen als die Art ihrer Präsentation darüber, ob ihnen mit Nachsicht begegnet wird. Im Falle von Tissa Balasuriyas aus Sri Lanka, der Behauptungen seines Buches "Mary and Human Liberation" widerrufen sollte, lässt er keinen Zweifel daran, dass er inhaltlich auf der Seite der Glaubenskongregation steht. Aber Balasuriyas ist eine sympathische Figur, denn "das gewinnende helle Kichern und die Art, wie jedesmal seine Augen aufleuchten, wenn er eine besonders unverschämte Idee entwickelte, deuteten auf eine jugendliche Lust auf anarchische Späße hin" (200). Hans Küng kann dagegen mit weniger Nachsicht rechnen: "Der Ärger, den Küngs Rebellion verursachte, wurde durch die Art, wie er seine Kampagne führte, zusätzlich verstärkt. Anstatt kleinlaut die Korrektur aus Rom hinzunehmen, verhielt er sich, als ob sich die Kirche im Zweiten Vatikanischen Konzil tatsächlich in eine offene Gesellschaft und in Demokratie verwandelt hätte" (81).

Als Kontrapunkt zum Zweiten Vatikanischen Konzil betrachtet S. die Enzyklika Humanae Vitae. Dass diese Enzyklika vom gleichen Papst erlassen wurde, der auch für die gelungene Weiterführung des Konzils verantwortlich zeichnet, ist ihm eine Anfechtung, denn die Hinwendung der Kirche zur modernen Welt scheint durch diesen Rückschlag in ihrem Ergebnis gefährdet: "Nach der schöpferischen Explosion des Konzils schien sich die Kirche auf ein bestimmtes Muster festzulegen. Im Jahrzehnt zwischen der Enzyklika und dem Tod Pauls VI. ging ihre gesamte Energie dafür auf, die Nachwirkungen der Revolution und der Gegenrevolution auszugleichen" (86).

S. versucht mit den Mitteln eines Journalisten die römisch-katholische Kirche als weltgestaltende Macht zu präsentieren. Das Ergebnis dieser Bemühung kann sich sehen lassen: Die Lebensbilder, die er zeichnet, wirken authentisch, die kulturellen Milieus werden differenziert dargestellt. Weil der Vf. nie einen Hehl aus seiner am eigenen Erleben orientierten Darstellung macht, kann man ihm manche Einseitigkeit in der Bewertung nachsehen. Insgesamt spürt man ihm förmlich den Wunsch ab, dass doch alle Nicht-Katholiken weltweit im Umgang mit Katholiken so urteilen möchten, wie Michail Gorbatschow über seine Audienz bei Johannes Paul II. geurteilt hat: "Eine Konversation zwischen zwei höchst aufgeklärten Menschen" (139).