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Ausgabe:

März/2001

Spalte:

324–326

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Kunzler, Michael

Titel/Untertitel:

Leben in Christus. Eine Laienliturgik zur Einführung in die Mysterien des Gottesdienstes.

Verlag:

Paderborn: Bonifatius 1999. 700 S. gr.8. Lw. DM 59,80. ISBN 3-89710-093-2.

Rezensent:

Klemens Richter

Schon 1995 hat der Vf., Paderborner Liturgiewissenschaftler, in der international erscheinenden Lehrbuchreihe zur katholischen Theologie AMATECA den Bd. 10 über "Die Liturgie der Kirche" (ebenfalls Bonifatius-Verlag, 672 S.) publiziert, dem sich diese "Laienliturgik" weitgehend verdankt. Der Unterschied besteht eher im Versuch einer für breitere Kreise gedachten Sprache als in der inhaltlichen Ausrichtung. Als Beispiel dafür seien die Überschriften der ersten beiden fundamentalliturgischen Kapitel genannt, die 1995 "Katabasis: Der Herabstieg Gottes zum Menschen" und "Anabasis: Der Aufstieg des Menschen zu Gott", im vorliegenden Band aber "Wenn Gott sich zum Menschen neigt: Wesentliches über den Gottes-dienst" und "Wenn der Mensch sich zu Gott erhebt: Gottesdienst als Tat des Menschen" lauten. Was also den Inhalt, die liturgietheologischen Einzelfragen anbetrifft, gibt es kaum Unterschiede, so dass jede Rezension des einen Werkes zugleich auch für das andere gelten kann.

Damit ist dann allerdings auch die Anfrage verbunden, was eine "Laienliturgik" heute eigentlich noch soll. Der Vf., der ein Jahr zuvor auch eine Laiendogmatik ("Amen, wir glauben. Eine Laiendogmatik nach dem Leitfaden des Apostolischen Glaubensbekenntnisses, Paderborn 1998, 696 S.) vorgelegt hat, beginnt daran anknüpfend im Stil paulinischer Briefe: "Über den Glauben, meine Lieben, habe ich Euch ein Buch geschrieben. Von vornherein stand fest, daß es Euch bestimmt war und allen Menschen, die ein Interesse daran haben und die dazu gehörenden Mühen auch nicht scheuen, sich eingehender als üblich mit dem Glauben zu beschäftigen. Nicht geschrieben wurde es für die werten Kollegen aus der gelehrten Theologenzunft" (25). Wen mag der Vf. dann als Laien betrachten? Auch kirchliche Amtsträger, die zwar Theologie studiert haben, der "Theologenzunft" aber nicht angehören? An vielen theologischen Fakultäten sind 90 % Laien, darunter wenigstens die Hälfte Frauen. Sind das Laien? Sie können das eine wie das andere Werk studieren. Und manchem Priester wäre ein Wissen zu wünschen, wie es die Laienliturgik anzielt. Den an liturgischer Bildung interessierten Kirchgänger dürfte aber auch das weit überfordern. Jedenfalls gibt es keine Laienliturgik im Unterschied zu einer für Amtsträger.

Auch der Begriff "Mysterien des Gottesdienstes" im Untertitel bedürfte der Erläuterung, wenn er verstanden werden sollte. Zweifellos ist es ein Gewinn der Liturgiereform des Zweiten Vatikanischen Konzils, den Mysterienbegriff wieder aufgenommen und damit ein auf das juridische Minimum verengtes Sakramentenverständnis vor allem der Neuscholastik aufgebrochen zu haben, so dass nunmehr wieder die Verkündigung des Wortes Gottes zu jeder liturgischen Feier gehört - ein Defizit, das nicht zuletzt durch den Blick auf die Ökumene beseitigt wurde. Aber was mag die Zielgruppe, an die sich das Buch wendet, unter Mysterien verstehen?

Die Zielsetzung dieses Werkes ist exakt die, die der Vf. auch schon 1995 beschrieben hat, dort S. 15: Die Leser "sollen eingeführt werden in die Geschichte, die gegenwärtige Gestalt und die theologische Systematik des Gottesdienstes. Sie sollen bekannt gemacht werden mit den gewachsenen Strukturen, mit dem geistlichen Anspruch liturgischer Vollzüge und auch mit der Frage nach der Gestalt der Liturgie von morgen." Der Vf. geht dabei davon aus, dass es sich bei unserem Gottesdienst um eine Teilhabe an der "himmlischen Liturgie" handle, die es gegenwärtig zu setzen gilt. Dies steht ganz in der Tradition ostkirchlichen Denkens, dem er sich stark verbunden weiß. Damit wird dann aber eine Prämisse eingeführt, die eine etwas andere Akzentuierung auch in vielen einzelnen Ausführungen mit sich bringt als es sonst in der westlichen katholischen Liturgiewissenschaft üblich ist (vgl. dazu vor allem das seit 1984 erscheinende und bislang in sieben Faszikeln vorliegende Handbuch der Liturgiewissenschaft "Gottesdienst der Kirche", hrsg. von Hans Bernhard Meyer u. a., Verlag F. Pustet Regensburg).

Diese Prämisse bestimmt den Aufbau beider Publikationen, die jeweils in sechs Teile gegliedert sind. Wie seit dem Konzil üblich wird Gottesdienst zunächst als Handeln Gottes an den Menschen, also katabatisch verstanden: Gott ruft seine Gemeinde zusammen, in der zunächst sein Wort verkündet wird, auf das dann die Antwort der Gemeinde in Lob, Dank und Bitte erfolgen kann. Damit wird einem jahrhundertelangen einseitig kultisch-anabatischen Denken der Abschied gegeben. Zwischenüberschriften von Teil 1 sind: Gottesdienst - was ist das überhaupt?; Durch Christus, unseren Herrn; Im Heiligen Geist und der Kirche; Für Zeit und Ewigkeit. Teil 2 behandelt dann die eher anthropologische Seite der Liturgie, gegliedert in die Zwischentitel: Hinter der Kultur steht der Kult (z. B. Fragen der Inkulturation, Aufgabenfelder der Liturgiewissenschaft); Beten und Singen kann man nur über den Leib (leibliche Ausdrucksformen, Sprache in Verkündigung und Gebet, Gesang und Musik); Was die Feier zum Fest macht (liturgische Kleidung, liturgischer Raum, Geräte, tätige Teilnahme, Liturgie im Spannungsfeld von Ordnung und Freiheit sowie Aspekte der Ökumene).

Diesen beiden grundlegenden Kapiteln, einer Art von Fundamentalliturgik, folgen die einzelnen liturgischen Feiern, im Teil 3 die Feier der Eucharistie, Teil 4 handelt über die Sakramente und sakramentlichen Feiern (Initiation, Kommunionspendung außerhalb der Eucharistiefeier, Formen christlicher Buße, Krankensalbung, Weihesakrament, Eheschließung, Benediktionen und Begräbnisliturgie). Die Teile 5 und 6 stehen unter der Überschrift "Heiligung der Zeit", zunächst "Liturgia verbi - Stundengebet und Wortgottesdienst" bis hin zu Aspekten von Volksandachten, dann "Die Feier des Herrenjahres" vom Sonntag, über den österlichen Festkreis, Weihnachten, die weiteren Herrenfeste sowie dann auch die Feste Mariens und der Heiligen. In all diesen Bereichen wird immer auch ein Blick auf die orthodoxe Liturgie geworfen, dann aber auch auf die Liturgie in den Kirchen der Reformation, das aber zumeist weniger ausgeprägt.

Sieht man von dem immer wieder durchscheinenden Blick aus ostkirchlicher Sicht ab, gibt es bei Kunzler in fundamentalliturgischer Hinsicht durchaus Parallelen zum evangelischen "Handbuch der Liturgik. Liturgiewissenschaft in Theologie und Praxis der Kirche", hrsg. v. Hans-Christoph Schmidt-Lauber/ Karl-Heinrich Bieritz, Göttingen/Leipzig 1995. Der Bonner Liturgiewissenschaftler Albert Gerhards hat in einem Vergleich dieser beiden Werke, wobei ihm allerdings diese Laienliturgik noch nicht vorlag (Die Kunst, Liturgie zu lehren und zu lernen. Neuere Hand- und Lehrbücher der Liturgiewissenschaft, in: ThRv 92, 1996, 181-194, hier 188) geschrieben: "Auch für Kunzler ist Liturgie in erster Linie Dialog und Lebensaustausch zwischen Gott und Mensch. Liturgie ist, analog dem Sprachgebrauch der Kirche des Ostens, für ihn vor allem die Eucharistiefeier, die das Zentrum der übrigen Sakramente und der anderen Liturgiefeiern bildet. In ihrem Festcharakter ist irdische Liturgie Abbild der ,himmlischen', ein Topos christlicher Liturgie, der über die École franÁaise in die Theologie im Vorfeld des Zweiten Vatikanischen Konzils gelangt ist. Das Bild der ,himmlischen' Liturgie verdeutlicht zwar das Geschenkhafte christlichen Gottesdienstes, führt aber leicht zu einer Spiritualisierung. Zwar warnt K. wiederholt vor dieser Gefahr, kann dieser aber auf Grund des methodischen Ansatzes - die deutliche Trennung der katabatischen und anabatischen Seite - selbst nicht ganz entgehen."

Eine Einzelkritik ist bei einem so umfangreichen Werk an dieser Stelle kaum möglich. Nur Weniges soll angeführt sein. So schränkt der Vf. in seinen Bemerkungen zum alttestamentlichen Gottesdienst (73-80) den Begriff Liturgie auf den christlichen Gottesdienst ein, weil jüdischer Gottesdienst eben nicht "durch Christus, unseren Herrn" vollzogen wird, denn "erst in der Menschennatur kam die himmlische Liturgie des Dreifaltigen auf Erden und machte die irdische Liturgie möglich". Damit favorisiert K. offensichtlich ein Verheißungs-Erfüllungs-Schema, wohl typisch für ostkirchliche Theologen, aber in dieser Form eine völlig singuläre Ansicht in der deutschsprachigen Liturgiewissenschaft. An anderer Stelle hat dieser Rückgriff auf orthodoxe Theologie positive Auswirkungen. Wird nämlich nach katholischem Kirchenrecht die Eheschließung als juridischer Akt gesehen, ist für die Orthodoxie der Konsens nur die notwendige Voraussetzung für das eigentliche Geschehen, das in der Proklamation des Ehesegens besteht. Würde diese Sicht auch katholischerseits übernommen (vgl. dazu Eheschließung - mehr als ein rechtlich Ding? hrsg. v. K. Richter, QD 120, Freiburg 1989), dann ergäbe sich hier auch ein Ansatz für das Gespräch mit den reformatorischen Kirchen (vgl. F. Schulz, Benedictio nuptialis. Evangelische Marginalien zu einer katholischen Darstellung der Riten um Ehe und Familie, in: ders., Synaxis, Göttingen 1997, 285-300).

Sicherlich ist noch der eine oder andere Punkt bei K. diskussionswürdig, auch ergänzungsbedürftig. Wer es genau wissen will, sollte hinsichtlich der katholischen Positionen - wobei immer auch die Liturgie in den anderen Kirchen des Westens mitbedacht wird - zu dem schon genannten "Handbuch der Liturgiewissenschaft" greifen. Was das vorliegende Werk betrifft, ist zu bedenken, dass es derzeit das einzige Werk dieser Art katholischerseits aus der Hand eines Verfassers darstellt. Im Allgemeinen ist es zuverlässig und methodisch klar aufgebaut. Beim Studium ist deutlich zu merken, dass eine Nähe zum Vorlesungsskript besteht, was aber gerade in der Fülle der Anmerkungen auch zu praktischen Fragen eher ein Vorteil ist. Auf jeden Fall werden hier wichtige Themen in die katholische und ökumenische Liturgiewissenschaft eingebracht. Dennoch sei dem Leser der ThLZ empfohlen, das oben ebenfalls schon genannte Werk "Die Liturgie der Kirche" desselben Verfassers zu benutzen.