Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

März/2001

Spalte:

321–324

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Klaus, Bernhard

Titel/Untertitel:

Antikes Erbe und christlicher Gottesdienst. Eine kulturgeschichtliche Spurensuche.

Verlag:

Stuttgart: Calwer 1998. XIII, 232 S. m. Abb. u. Taf. gr.8. Kart. DM 39,80. ISBN 3-7668-3562-9.

Rezensent:

Jörg Neijenhuis

Unter dem anspruchsvollen Titel "Antikes Erbe und christlicher Gottesdienst" unternimmt der emeritierte Professor für Praktische Theologie der Universität Erlangen-Nürnberg, Bernhard Klaus, eine kulturgeschichtliche Spurensuche, so der Untertitel des Buches, die in einem ersten Teil beim Messgottesdienst, in weiteren vier Teilen bei einigen Festen und Gedenktagen im Kirchenjahr - Weihnachten, Marienfeste, Epiphanias und Nikolaustag - fündig wird. Seine Beweggründe, nach Spuren des antiken Erbes im christlichen Gottesdienst zu suchen, legt der Vf. im Vorwort (XI-XIII) dar: Weil derzeit das überkommene gottesdienstliche Erbe zeitgemäß verändert werden soll - denn der Erlebniswert gilt etwas und der Zeitgeist setzt gar Maßstäbe -, soll die Kirche für ihren Dienst durch die Vergegenwärtigung des antiken Kulturerbes eingeladen werden, dieser bewahrenswerten Größe Respekt und Freude zu zollen.

Zu diesem Zweck nehmen die meisten dargestellten gottesdienstlichen Riten, Feste und Gedenktage Bezug auf die einschlägigen biblischen Texte - der Nikolaustag freilich ausgenommen -, und falls vorhanden, auf die ägyptischen, griechischen, hellenistischen, germanischen Mythen, ebenso auf entsprechende Kunstwerke und schließlich auf das mit den Festen verbundene Brauchtum. Auch führt der Vf. zahlreiche Quellentexte an, so z. B. einen Quellenvergleich des Gebetes an Isis mit einem darauf fußenden Mariengebet in lateinischer Sprache, dem er eine deutsche Übersetzung anfügt (110-112), und gibt dem Buch 13 zum Teil farbige Abbildungen bei. Durch ein Literatur- und Anmerkungsverzeichnis (die Fußnoten im Abschnitt zur Liturgie des Gottesdienstes, S. 1-54 stimmen mit ihrem Text S. 205-209 nur bis Fußnote 47 überein; im Text folgt Fußnote 51 unmittelbar, im Anmerkungsverzeichnis bleibt aber die nummerische Reihenfolge mit Fußnote 48 erhalten; S. 202 wird nach einem Zitat keine Fußnote, sondern ein Werk, allerdings ohne Seitenangabe angegeben) zeigt der Vf., dass er wissenschaftliche und populäre Schriften zu Rate gezogen hat.

Im ersten Teil legt der Vf. die Liturgie des Messgottesdienstes, die aus Elementen des jüdischen Synagogalgottesdienstes und der hellenistisch-römischen Kultpraxis entstanden ist, dar und weist auf die Besonderheit der Abendmahlsfeier als einer eigenständigen und nicht aus der religiösen Umwelt ableitbaren Größe hin. Dabei nimmt er die Position ein, dass die Salutatio nach dem Gloria den Wortteil des Gottesdienstes einleite - wie es die preußische Agende 1895 vorsah - und genauso leite die Salutatio die Eucharistiefeier ein. Damit hebt er die Eigenwertigkeit beider Hauptteile des Gottesdienstes hervor (XII). Am Beispiel der Einzugsriten mit dem Introitus, an dem Gesang und der Musik und anhand von Kyrie und Gloria werden Einflüsse hellenistisch-römischer Kultpraxis aufgezeigt. Insbesondere geht der Vf. auf die Kaiserverehrung und die dazu gehörenden Bräuche ein, deren Spuren sich bis heute in der Liturgie wiederfinden. Am Ende dieses ersten Teils zieht er ein scharfes Fazit: Wenn die Salutatio nach den neuen Vorstellungen an den Anfang des Gottesdienstes gesetzt werden soll, geht das antike Erbe im Eingangsteil des Gottesdienstes verloren. Denn nun kann nicht mehr Gott, gegenwärtig in Wort und Sakrament, gelobt werden, weil die Gemeinde begrüßt wird.

Im zweiten Teil des Buches wird das Weihnachtsfest im Zusammenhang mit dem Kult um den Sonnengott Helios, aber auch mit dem Kaiserkult - Caligula ließ sich als Sonnengott feiern - gedeutet. Andere, ähnliche Übertragungen, wie z. B. aus dem Mithraskult, werden ebenfalls erwähnt. Mit dem dritten Teil über die Marienfeste wird auf die Muttergottheiten, z. B. Kybele, hingewiesen, insbesondere der Isis-Kult wird beigezogen. Im vierten Teil zum Epiphaniasfest nennt der Vf. die bis heute wirksamen Beziehungen der verschiedenen Weihnachtstermine zwischen Ost- und Westkirche, damit auch den Bezug auf die Taufe Jesu. Er verweist auf die Bedeutung des Wassers und den Osiriskult, dann auf Dionysos, der am 6. Januar Wasser in Wein wandelte. Nicht zu vergessen sind die drei Magier, die heute vielfach das Brauchtum bestimmen. Insbesondere im fünften und letzten, recht umfänglichen Teil zum Nikolaustag geht es um das Brauchtum. Es werden viele Legenden wiedergegeben, auch solche, die in mittelalterlicher Zeit entstanden sind. Selbst in der Neuzeit hat die Legendenbildung nicht aufgehört, denn die Konsumgüterindustrie hat sich der Gestalt des Nikolaus bemächtigt. Daran zeigt der Vf. auf, wie das antike Erbe durch Kommerzialisierung vertan wird, und beklagt, dass selbst die katholische Kirche St. Nikolaus aus dem offiziellen Heiligenkalender gestrichen hat; der Nikolaustag ist als ein nicht gebotener Gedenktag übriggeblieben. Was m. E. aber zu Recht geschehen ist: Die Gruselgeschichten, die sich um Nikolaus gebildet haben - Beispiele: Kinder werden ermordet und eingepökelt, aber Nikolaus erweckt sie wieder zum Leben; Nikolaus in Gestalt von Knecht Ruprecht übt mit der Rute in der Schule schwarze Pädagogik aus -, können es mit allerhand gegenwärtigen Gewalt- und Horrorfilmen aufnehmen. Hier gilt es m. E. zu berücksichtigen, dass ein historischer Kern um den Bischof von Myra fehlt. Eine begründete Legendenkritik fällt daher schwer, nun scheinen der Phantasie Tor und Tür geöffnet zu sein. Und selbst dann, wenn der Wildwuchs zurechtgestutzt würde, bliebe nach wie vor die Frage bestehen, ob solche Legenden denn zur Förderung des Glaubens taugen, so dass sie als Vorbild für den Weg der Nachfolge Christi dienen können. Wenn der christologische Bezug der Heiligenverehrung verloren gegangen ist oder nicht mehr hergestellt werden kann, braucht auch das vermeintliche antike Erbe nicht tradiert zu werden. Da hilft es wenig, wenn der Vf. berichtet, dass Menschen aus unserer Zeit von Erscheinungen des hl. Nikolaus berichten und bestätigen, dass Nikolaus sich als Nothelfer erweist (179 f.).

Auch wenn nicht erkennbar ist, dass der Vf. mit seinem Buch in eine wissenschaftliche Erörterung eingreifen will, sondern vielmehr seinen Lesern das antike Gut ans Herz legen möchte, sind doch vielerlei Anfragen zu stellen. Zwei seien hervorgehoben: Der von ihm immer wieder verwendete Begriff des "Erbganges" mag auf das antike Religionsgut zutreffen, wenn es die hellenistische Götterwelt betrifft und besonders in den Gedenktagen wieder zu entdecken ist. Diesen Begriff aber gleichermaßen auf synagogale Elemente, die sich im christlichen Gottesdienst wiederfinden, anzuwenden, scheint m. E. problematisch zu sein. Denn immerhin lebt die Synagoge nach wie vor - Vererbungen nehmen im Allgemeinen aber nur jene vor, die dem Lebensende nahe sind, und das Erbe kann erst angetreten werden, wenn der Erblasser verstorben ist. Wenn es also darum geht, jüdische synagogale Elemente im christlichen Gottesdienst zu bewahren, ist neben der antiken synagogalen Praxis auch auf die gegenwärtige hinzuweisen.

Auch wird der Begriff "Kultur" nicht abgeklärt. Es zeigt sich im Laufe der Lektüre dieses Buches deutlich, dass für den Vf. nur die Hochkultur einen Platz im gottesdienstlichen Leben haben soll: "Im christlichen Gottesdienst hat der emotional äußerst wirksame rhythmische Lärm, mit Schlagwerk und Musikinstrumenten erzeugt, erst zu unserer Zeit Eingang gefunden. Das ist kein Erbe abendländischer Kultur!" (37) Mit dieser Musik sind Jazz und Popmusik gemeint - aber da erweist sich schon der nicht geklärte Begriff Kultur als nachteilig. Man denke nur an Bachs Kantaten, auch da spielen Musikinstrumente und wird z. T. sogar recht laut das Schlagwerk verwendet. Hierbei geht es m. E. nicht so sehr um Kulturfragen, sondern vielmehr darum, was die Hörer und ggf. die Musiker mit ihrer Musik an Inhalten verbinden! Sollen mit höllisch lauter Musik Dämonen vertrieben werden (z. B. bei den Saturnalien) oder soll mit gelegentlich auch dröhnendem Orgelspiel oder kräftigem Schlagwerkeinsatz das Lob Gottes angestimmt werden? Dieses Thema ist dann weniger als Kulturfrage interessant als vielmehr einer theologischen Erörterung wert.

Mit der Nennung der Kirche als Adressat dieses Buches und dem damit verbundenen Wunsch des Vf.s mag erklärbar sein, warum der Vf. auf fast jegliche kritische Aufarbeitung des historischen Materials verzichtet: Das Eingehen von antikem Erbe in den christlichen Gottesdienst wird dem Leser so plastisch wie möglich vor Augen gestellt und so sehr ans Herz gelegt, dass der "Erbgang" als etwas ganz Selbstverständliches erscheint. Das mag manchem Leser die Lektüre vereinfachen, aber der Kirche insgesamt ist in ihrer momentanen Situation m. E. kein großer Dienst erwiesen worden. Denn weder der Gottesdienst in seiner überkommenen Gestalt, zumindest in den evangelischen Kirchen in Deutschland, noch das antike Erbe wird als etwas Selbstverständliches betrachtet. So beobachtet ja auch der Vf., dass derzeit um eine kulturelle Gestalt des Gottesdienstes angesichts der Spaß- und Erlebnisgesellschaft gerungen wird. Dieses Ringen scheint mir kein Grund zur Beunruhigung oder gar für schlimme Befürchtungen zu sein. Es ist vielmehr Anlass wahrzunehmen, dass auch die Alte Kirche um ihre kulturelle Gestalt gerungen hat. Diese Spur, zweifelsohne eine recht problematische, fällt leider im ganzen Buch aus. Diese Spur aufnehmend, hätte das Buch in einer kritisch-prüfenden Weise, z. B. gegenüber den Legenden, verdeutlichen können, wie leichtfertig es ist zu meinen, auf die tradierte Kultur verzichten zu können oder sich dieser gar nicht bewusst zu sein. Nur so kann es dazu kommen, dass das Erbe verspielt wird und der Gottesdienst nicht nur kulturlos, sondern auch noch inhaltslos wird.