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Ausgabe:

März/2001

Spalte:

314 f

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Kreß, Hartmut

Titel/Untertitel:

Menschenwürde im modernen Pluralismus. Wertedebatte - Ethik der Medizin - Nachhaltigkeit.

Verlag:

Hannover: Lutherisches Verlagshaus 1999. 172 S. 8 = Mensch - Natur - Technik, 10. Geb. DM 38,-. ISBN 3-7859-0782-6.

Rezensent:

Gunda Schneider-Flume

Eine Buchreihe zur Expo 2000: "Mensch-Natur-Technik. Beiträge aus christlicher Perspektive." Was ist die Absicht? Welche Leser sollen erreicht werden? Offensichtlich ein breiteres Publikum, dem verdeutlicht werden soll, dass aus christlicher Perspektive auch über Themen etwas zu sagen ist, die auf der Expo zur Anschauung kommen: Umwelt - Medizinethik - Werte, wobei der letzte Begriff in dem anzuzeigenden Buch durch die Aufnahme des Stichwortes Menschenwürde angedeutet ist.

Hartmut Kreß entfaltet die Themen in vier Abschnitten: A) Menschenwürde und Menschenrechte, B) Ethische Werte auf der Grundlage jüdischen und christlichen Denkens, C) Menschenwürde am Beginn und am Ende des Lebens. Heutige Fragen medizinischer Ethik, D) Bioethik und das Leitbild der Nachhaltigkeit. Den Kapiteln liegen Vorträge oder Aufsätze des Vf.s oder Ausführungen aus seinem Buch Verantwortungsethik heute1 zu Grunde. Dementsprechend sind die vier Abschnitte nur lose miteinander verknüpft, aber durch Überleitungen und Verweise aufeinander bezogen und durch wiederholende Zusammenfassungen leserfreundlich gestaltet.

Das Thema Menschenwürde soll Leitfrage sein. Grundlegend für das Verständnis des "vagen" und "uneindeutigen" Begriffes Menschenwürde ist für den Vf. das biblische Verständnis der Gottebenbildlichkeit (GE). Dafür gibt der Vf. sechs Interpretationen aus der Tradition an, die er - und das ist kennzeichnend für die Methode des Vf. s - harmonisch miteinander zu vermitteln sucht. So wird etwa das Verständnis der GE als Vernunftbegabung aus der griechisch-philosophischen Tradition trotz seines der biblischen Tradition widersprechenden leibfeindlichen Dualismus als nicht nur geistesgeschichtlich bedeutsam, sondern als grundlegend für das Verständnis der GE festgestellt. Es sei ja nicht zwingend, Vernunft leibfeindlich zu verstehen. "Dies vorausgesetzt, kommt dem Verständnis der Gottebenbildlichkeit im Sinne der Vernunftanalogie sogar eine überaus große Bedeutung zu" (17). Die harmonische Verschmelzung der Traditionen verhindert die Entfaltung der kritischen Kraft des Begriffes der GE: GE steht beim Vf. für einen humanistischen Bildungsoptimismus und nicht für den Auftrag an fehlbare (!) Menschen zur Vorsorge und Fürsorge für die Kreatur.

In der Wertedebatte greift der Vf. die Begriffe Toleranz und Wahrhaftigkeit auf, dafür sind die Gewährsmänner Moses Mendelssohn, Martin Buber und Georg Simmel für die Toleranz und Albert Schweitzer für die Wahrhaftigkeit. Es zeigen sich hier die räumlichen Grenzen eines solchen Büchleins. Es erscheint der Rezn. fraglich, ob in diesem Rahmen die Problematik von formaler und inhaltlicher Toleranz oder die neun (!) aufgeführten Wahrheitsbegriffe im Zusammenhang mit der Frage nach der Wahrheit am Krankenbett auch nur annähernd verständlich gemacht werden können.

Die anregenden Informationen in den konkreten materialethischen Ausführungen in den Teilen C zur Präimplantationsdiagnostik (PID) und D zur Bioethik im Anschluss an Schweitzers Leitidee der Ehrfurcht vor dem Leben lassen die problematische Methode der ethischen Urteilsfindung des Vf.s gleichwohl erkennen. Im Zusammenhang mit dem Thema Embryonenschutz etwa wird informiert über die vielen Ansichten der religions- und kulturgeschichtlichen Tradition zur Frage nach dem Zeitpunkt, von dem an ein Embryo als menschliches (beseeltes) Wesen anzusehen sei. Demgegenüber wird festgestellt, dass der naturwissenschaftliche Erkenntnisfortschritt bewirkt habe, "daß der Embryonenschutz heute früher angesetzt und nachdrücklicher akzentuiert" werde (104). Es gebe deshalb für das Lebensrecht von Menschen überhaupt keine einschränkenden Voraussetzungen, Eigenschaften oder Bedingungen. Als Begründung dafür wird wiederum die GE herangezogen. Die Argumentation zur Frage der PID verläuft dann folgendermaßen: Es wird festgestellt, dass die pränatale Diagnostik sich inzwischen breit eingebürgert habe und "gesellschaftlich de facto akzeptiert" sei. Dies angenommen, stellt der Vf. fest: "Durch die PID kann der Mutter und dem ungeborenen Kind also eine späte belastende Abtreibung erspart werden." (109) Diese Bemerkung ist zweifellos zutreffend, aber ist das Verantwortungsethik, mit Hilfe derer für einen wenngleich begrenzten Einsatz der PID plädiert werden kann?

Trotz der kritischen Anfragen ist festzuhalten, daß das Büchlein viele sorgfältige Informationen auch zu konkreten Fragen der Ethik gibt. Wünschenswert wäre allerdings auch eine christliche Perspektive zur Entscheidungsfindung gewesen.

Fussnoten:

1) Kreß, Hartmut, u. Wolfgang E. Müller: Verantwortungsethik heute. Grundlagen und Konkretionen einer Ethik der Person. Stuttgart-Berlin-Köln 1997.