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Ausgabe:

März/2001

Spalte:

303–308

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

(1) Slenczka, Notger (2) Slenczka, Notger

Titel/Untertitel:

(1) Der Glaube und sein Grund. F. H. R. von Frank, seine Auseinandersetzung mit A. Ritschl und die Fortführung seines Programms durch L. Ihmels. Studien zur Erlanger Theologie I.
(2) Selbstkonstitution und Gotteserfahrung. W. Elerts Deutung der neuzeitlichen Subjektivität im Kontext der Erlanger Theologie. Studien zur Erlanger Theologie II.

Verlag:

(1) Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1998. 333 S. gr.8 = Forschungen zur systematischen und ökumenischen Theologie, 85. Kart. DM 108,-. ISBN 3-525-56292 6.
(2) Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1999. 364 S. gr.8 = Forschungen zur systematischen und ökumenischen Theologie, 86. Kart. DM 118,-. ISBN 3-525-56293-4.

Rezensent:

Bernd Oberdorfer

Das Bild der Theologiegeschichte der zweiten Hälfte des 19. und der ersten Jahrzehnte des 20. Jh.s ist in der neueren Forschung facettenreicher geworden. So ist die Behauptung einer radikalen Diskontinuität zwischen ,dialektischer' und ,neuprotestantischer' Theologie einer differenzierteren Betrachtung gewichen. Zunehmend finden auch Traditionslinien Beachtung, die sich dieser Unterscheidung entziehen. Eine weitere Facette fügt dem Bild jetzt die groß angelegte Göttinger systematische Habilitationsschrift von Notger Slenczka hinzu: Sie untersucht anhand der Protagonisten Franz Hermann Reinhold von Frank und Ludwig Ihmels (in Bd. I) sowie Werner Elert (in Bd. II) die innere Entwicklung der neulutherischen "Erlanger Theologie" im Übergang von der "älteren" zur "neueren Erlanger Schule". S. erschließt damit einen in der Gegenwart wenig wahrgenommenen Typus theologischen Denkens, dessen Rezeption im Falle Elerts noch durch dessen problematische Rolle im Kirchenkampf und durch seine (freilich weithin nur schlagwortartig bekannte) Lehre von der "Realdialektik" von Gesetz und Evangelium, von Zorn und Liebe in Gott zusätzlich belastet ist. Elert ist denn auch der weitaus größte (durchaus als eigenständige Monographie zu lesende und deshalb zu Recht als separater Band veröffentlichte) Teil der Untersuchung gewidmet. Die Arbeit erhebt primär theologiehistorischen Anspruch, wobei auf einen "Nachvollzug des ereignisgeschichtlichen Zusammenhanges der Positionen" bewusst verzichtet wird (I,41). Im Hintergrund steht aber deutlich das Interesse, die systematische Leistungsfähigkeit der ,Erlanger' Konzeption zu überprüfen. Dies geschieht im Medium minutiöser, aufwändiger, in spröd-nüchternem Ton gehaltener Textinterpretationen; die Textnähe hat freilich den Preis einer gewissen Redundanz und Umständlichkeit.

Aufschlussreich für S.s spezifisches erkenntnisleitendes Interesse ist es nun, dass er der Untersuchung nicht eine allgemeine Charakteristik der Erlanger Theologie als "Verbindung der gegenwärtigen Subjektivität des Glaubens mit einer entschiedenen Affirmation der Geltung der gegenständlichen Aussagen der lutherischen Bekenntnisse" (I,16) zu Grunde legt, sondern ausgeht von der konkreten Gestalt, die dieses Programm bei von Frank gewonnen hat. Dieses wird bei ihm nämlich in einer "an die Situation der Cartesischen Meditationen gemahnende[n]" (I,36) Weise auf die Gewissheitsproblematik zugespitzt und "mit einer ausdrücklichen und differenzierten Aufnahme des Rechtes des neuzeitlichen Autonomieanspruches" (ebd.) verbunden. Es ist v. Franks Grundfigur, dass in der Selbstreflexion das Subjekt seiner externen Konstitution gewahr und dabei der Wahrheit der Inhalte des christlichen Glaubens gewiss wird, an der S. in Zustimmung und Abgrenzung und in spezifischen Modifikationen und Transformationen auch Ihmels und Elert orientiert sieht, und es ist diese Grundfigur, deren Brauchbarkeit als Alternative zu einer abstrakten Negation der modernen Subjektivität ebenso wie zu deren neuprotestantischer unmittelbaren Affirmation S. auf den Prüfstand stellt.

Das Programm v. Franks erhält seine apologetische Dynamik aus dem Anspruch, dass sich bereits die "natürliche Gewißheit als Strukturmodell der christlichen Gewißheit" erweisen lässt (I,48-84). Freilich zeigt S. in einem Exkurs zu "Franks Verhältnis zur philosophischen Tradition" (I,50-58), dass dessen Anknüpfung an die Fragestellungen der neuzeitlichen philosophischen Erkenntnistheorie bereits auf die "Analyse der spezifisch christlichen Gewißheit ... hin konzipiert" ist (I,58). Focus der Konzeption ist daher eine Strukturbeschreibung der in der unableitbaren Erfahrung von Wiedergeburt und Bekehrung gründenden christlichen Gewissheit (vgl. I,84-120). Obwohl dieses Programm "dem Cartesischen Ansatz unmittelbar vergleichbar" ist, verfolgt v. Frank damit "ein strikt anticartesisches Ziel": das "Rückgängigmachen der von Descartes ausgehenden ,transzendentalen Kehre'" (I,101). Denn "im spontanen Vollzug der Bekehrung ... setzt" das Subjekt "sich als solches, das nicht durch sich selbst ist" (I,93). Diese Figur ist dergestalt mit der Sünden- und Gesetzesthematik verbunden, dass in der Bekehrung das "Scheitern [] der natürlichen Selbstkonstitutionsversuche des Menschen" (I,119) offenbar wird, und zwar "als eine von Gott gesetzte Realität, die v. Frank gerade ... in der universalen Signatur des Todes, die alles Geschöpfliche prägt (,) realisiert sieht" (I,118). So kann v. Frank die vorchristlichen existenziellen Erfahrungen aufgreifen, ohne diese "zum Grund der christlichen Erfahrung von Wiedergeburt und Bekehrung" zu machen (I,119).

Als Grundproblem dieser "großartigen Position" (I,218) macht S. freilich geltend, dass die Vergewisserung der "Objektivität" des göttlichen Grundes des christlichen Glaubens in der subjektiven Erfahrung die "Grenzen des subjektivitätstheoretischen Ansatzes" (I,121) sprenge: Problematisch ist der "Übergang von dem als Korrelat des Bewußtseins und nur so gesetzten Gott zu Gott als ontischer, vom Bewußtsein unabhängiger Voraussetzung desselben unter dem Prädikat der Absolutheit" (ebd.).

Genau dieses Problem konturiert S. durch die umfangreiche Darstellung der Auseinandersetzung v. Franks mit Albrecht Ritschl um Sinn und Recht des Absolutheitsprädikats, die zu den beeindruckendsten Partien des Werkes zählt (I,124-216). S. kann zeigen, dass die Schärfe des Gegensatzes auf einer überraschenden Nähe gründet: Beide wenden sich "gegen eine natürliche Theologie und gegen eine den christlichen Glauben mit der natürlichen Wahrheitserkenntnis vermittelnde Apologetik" (I,125); beide fundieren theologische Aussagen auf der existenziellen "Grundsituation" des Glaubenden in der Gemeinde (ebd.; vgl. I,148). Doch während v. Frank "von diesem Ausgangspunkt her die Grundbestimmungen der traditionellen Metaphysik (rekonstruiert)" (I,208), dient Ritschl der "Bezug auf die christliche Existenz als limitierendes Prinzip möglicher Aussagen über Gott" (ebd.); anders als v. Frank greift er zudem auf eine "religionsphänomenologische Definition des Gottesbegriffes" zurück, "zu dessen Gunsten (er) die metaphysische Tradition abstößt" (ebd.). Die Aufnahme des Absolutheitsprädikats bei v. Frank kann ihm daher nur als Rückfall in eine "dem Anliegen der Religion fremde" (I,209) Metaphysik erscheinen. v.Frank hingegen bezweifelt, "ob es Erfahrung von dem Gott, welcher die Liebe ist, geben kann, ohne daß dieselbe eine Erfahrung des absoluten Gottes wäre" (zit. nach I,127).

In intensiven und dichten Ausführungen analysiert S. diesen "Bruderzwist" (I,147) als theologischen Grundlagenstreit. Die - besonders gelungene, einen eigenständigen Beitrag zur Ritschlforschung darstellende - Behandlung von Ritschls Ansatz und seinem Verständnis von Gott als Liebe im Zusammenhang seiner theologischen Erkenntnistheorie (I,128-188) verteidigt diesen ebenso gegen den Vorwurf einer ethizistischen Reduktion des Christentums (vgl. I,138 f.), wie sie zeigt, dass mit Ritschls Werturteilslehre nicht eine Abkoppelung von der Welterfahrung verbunden ist: "die Religion ist nicht Rede von Gott, sondern die Konstitution und Darstellung des Verhältnisses, das der Mensch - indem zu Gott - zur Welt hat" (I,173). Die von Ritschl anerkannte Aufgabe, Gott selbst auch als "Subjekt" von "Wirkungen" zu bestimmen, darf dann jedenfalls nicht so erfüllt werden, "dass damit dieses Subjekt als etwas von diesen Wirkungen Unterschiedenes gefaßt"(I,176) und also unabhängig von der religiös-existenziellen Erschließungssituation verstanden wird. Wenn Ritschl genau dies v. Frank vorwirft, dann wird er zwar - wie der Abschnitt zu "Funktion und Begründung des Absolutheitsprädikates bei Frank" (I,188-213) deutlich macht - v. Franks Anliegen nicht gerecht. Gleichwohl spricht auch S. vom "Scheitern dieses Programmes". Der Grund dafür ist "der nichtbegründete und unvermerkte Übergang von der Beschreibung des Bewußtseins der Abhängigkeit zur Behauptung der Abhängigkeit des Bewußtseins" und entsprechend "der Übergang von der Beschreibung Gottes als im Subjekt erschlossener Grund desselben zu der Beschreibung Gottes als des eigentlichen, unvorgänglichen und auch gegen die Subjektivität selbständigen Grundes seiner selbst und daraufhin der Welt" (I,218). Obwohl S. demgegenüber "die Position Ritschls [als] die konsequentere" erscheint (I,216), will er dennoch v. Franks "Unfähigkeit, sich bei der Ritschlschen und verwandten Reduktionen beruhigen zu lassen, ernst[]nehmen ... als Anliegen des Glaubens selbst ..., der sich in seinem Gegenstand begründet weiß" (ebd.).

Ihmels schließt insofern an v. Frank an, als das "Problem der ,christlichen Wahrheitsgewißheit' ... das zentrale - um nicht zu sagen: das einzige - Thema" seiner Veröffentlichungen ist (I,219). Er unterscheidet sich von diesem aber grundlegend durch die These, dass diese "Gewißheit nicht in der mit einem subjektiven Vollzug gegebenen Reflexivität fundiert" (I,230), sondern "intentional ... verfaßt" sei (I,315). Deshalb betrachtet er "nicht die Erfahrung des Christen im Sinne des Erlebnisses von Wiedergeburt und Bekehrung als die Quelle der Vergewisserung der Inhalte des Glaubens ..., sondern das Wort in der Begegnung mit ihm: die apostolische Verkündigung bzw. die Schrift" (I,231). Nach der Diskussion von "Ihmels' Abgrenzung gegen v. Frank" (I,222-238) und einem Überblick über den Aufbau von Ihmels' Hauptwerk "Die christliche Wahrheitsgewißheit" (I,238-247) entfaltet S. dessen "Position ... im Zusammenhang" (I,247-295). Dass durch das Insistieren auf dem in Heiliger Schrift und Verkündigung konkretisierten verbum externum bei Ihmels das Thema der Verhältnisbestimmung von christlicher Wahrheitsgewissheit und neuzeitlich-säkularer Welterkenntnis nicht verloren geht, zeigt S. in dem wichtigen Abschnitt I,295-314.

Stärker expliziert als bei Ihmels, der es vielfach bei Andeutungen belässt, erscheint das "Postulat einer Vereinbarkeit der in einer religiösen Erfahrung gewonnenen Gewißheiten mit den Erkenntnissen der säkularen Wissenschaften" (I,302) bei dessen Erlanger Lehrer A. W. Hunzinger (vgl. I,302-313), genauer in dessen Unterscheidung eines subjektrelativen, perspektivischen, prinzipiell unabschließbaren, empirisch-wissenschaftlich erfassbaren "Weltbildes" und einer "einen Gesamtsinn der Wirklichkeit ,an sich'" entwerfenden "Weltanschauung". Als "Weltanschauung stiftende Instanzen" macht Hunzinger neben der Philosophie die Religion geltend (I,305). Das Christentum setzt in einer sekundären, aber gleichwohl notwendigen Weise "Gesamterklärung[en] der Wirklichkeit" (ebd.) aus sich heraus, die auch unabhängig von ihrer Fundierung in der christlichen Glaubensgewissheit kulturelle Prägekraft gewinnen können. S. spricht sogar von "eine[r] Art Programm der 'civil religion'" (I,313), das auf Elert vorausweise, der in seiner "Morphologie des Luthertums" "kulturelle Phänomene als im Medium nichtreligiöser Vollzüge bewahrte Säkularisate von ursprünglich in lebendigem religiösem Erleben vermittelten Realitäten und Erfahrungen zu deuten versuch[e]" (I,312). Was Ihmels betrifft, konstatiert S. freilich resümierend, die im Vergleich zu v. Frank "unleugbar" vollzogene "theologische Konzentration" sei erkauft durch den "Verlust des Anschlusses an die neuzeitliche Tradition der Philosophie": Das "große Thema" v. Franks, "die Problematik des Autonomieanspruches der Subjektivität", spiele bei ihm "keinerlei Rolle mehr" (I,316).

Die These, dass dieses Thema ausgerechnet bei Werner Elert prononciert wieder aufgenommen sei, mag überraschen angesichts eines Theologen, der sich selber als "erratischer Block in der zeitgenössischen Theologie" (II,19) darstellte und auch weithin als solcher wahrgenommen wurde und wird - nach S. zu Recht. Doch überzeugend gelingt S.s "Versuch ..., Elerts Theologie nun eben nicht aus dem unmittelbaren zeitgenössischen Kontext, sondern im Rückgang auf ihre Wurzeln zu verorten" (ebd.), und d. h.: "Elert im Ausgang von seinen Ursprüngen in der Erlanger Theologie zu verstehen" (II,20). Intendiert ist dabei nicht weniger als eine Gesamtschau, "die Elerts theologische Position wirklich detailliert in ihrer Entwicklung verfolg[t]" und dabei auch die häufig vernachlässigten "frühen Veröffentlichungen" berücksichtigt (ebd.). Zu diesem Zweck rekonstruiert S. zunächst in Teil A "[d]ie Funktion des Gesetzesbegriffes bei Elert" (23-73). Dabei kann er entwicklungsgeschichtlich zeigen, dass überraschenderweise in den Publikationen des - "später so genannten - ,Lutheranissimus'" nicht nur bis 1920 "Zitate Luthers fehlen", sondern sogar bis 1924 auch der für Elerts Wirkungsgeschichte zentrale "Terminus ,Gesetz'" (II,26 f.). Die "Gesetzesproblematik" wird "in eine im wesentlichen unveränderte Theologie" eingefügt (II,30); ihre Aufnahme, so S. unter Rückgriff auf eine These von Kurt Meier, "hat dieselbe Funktion wie die apologetischen Bemühungen der Frühzeit, nämlich das Christentum in ein Verhältnis zur Kultur zu setzen" (II,24), und weiter: "Zunächst mittels des Schicksalsbegriffs Spenglers, dann unter Aufnahme desselben in den Gesetzesbegriff integriert Elert die zeitgenössische Wirklichkeitserfahrung unter den Bedingungen einer ebenfalls von Spengler übernommenen neuen Deutung der Moderne" (ebd.). Die bei Spengler zu findende "radikale Relativierung des Geltungsanspruches des naturwissenschaftlichen Weltbildes" im Namen einer elementareren abgründigen "irrationalen Wirklichkeit ..., die anschlußfähig scheint für religiöse Positionen" (II,49), wird bei Elert nun mit dem Gedanken vom Zorn Gottes verbunden: "Die Erfahrung des Deus absconditus ist genau die Erfahrung, in der sich das gesicherte, rationale Verständnis der Wirklichkeit als brüchig erweist" (II,54). Freilich will Elert die "Prophetien des Irrationalismus" theologisch-religiös überbieten: "Das Grauen vor Gott greift tiefer als die Kulturkritik der Propheten der Kontingenzerfahrung" (II,55).

Teil B (II,74-127) arbeitet Elerts Fassung der für die ,Erlanger Schule' spezifischen erfahrungsorientierten "Verhältnisbestimmung von Theologie und Glaube" (II,74) heraus: In Anknüpfung besonders an Ihmels betrachte er "das Dogma als den Ausdruck einer in einem unentrinnbaren Erleben sich vermittelnden Begegnung des Menschen mit Gott" (II,126). In Teil C ("Die Wahrheit der neuzeitlichen Subjektivität", II,128-253), dem umfangreichsten Abschnitt und zugleich systematischen Zentrum des Werkes, entfaltet S. die These, dass Elert in seinem Hauptwerk "Morphologie des Luthertums" "eine Auseinandersetzung mit dem neuzeitlichen Konzept der Subjektivität führt, die darauf abzielt, das Scheitern des Autonomieanspruches und die externe Konstitution des Subjektes als Korrelat der Unterscheidung von Gesetz und Evangelium zu etablieren" (II,128 f.).

Nach informativen Ausführungen zu Begriff und Konzept der Morphologie (II,129-153) rekonstruiert S. (II,153-217) die "Tiefendimension" des Werkes anhand einer Analyse von Elerts grundlegender, gegen Troeltsch profilierter These, "daß auch die neuzeitliche Subjektivitätstheorie eine Fortwirkung der subjektivitätstheoretischen Implikate de[r] lutherischen Rechtfertigungslehre sei" (II,153). Eindringlich interpretiert S. Elerts Versuch, die kantische Unterscheidung von intelligiblem und empirischem Ich und mithin "die säkulare Subjektphilosophie" (II,160) als Derivat der lutherischen Beschreibung der Rechtfertigungserfahrung (wenn auch mit einem dieser entgegengesetzten Resultat!) darzustellen. Nach Elert ist letztere nämlich als externe Konstitution eines "transzendentalen Ichs" zu bestimmen, dessen "Selbstverhältnis" in der Begegnung mit Gesetz und Evangelium sich negativ als "Selbstnegation" bzw. als "Selbstdistanzierung" vom ,empirischen' Sünder-Ich und positiv als "Selbstbeurteilung gemäß der zugesprochenen Gerechtigkeit Christi" vollzieht (II,207), wobei das Selbst in beiderlei Hinsicht zum gleichsam ausdehnungslosen "punctum mathematicum" wird (vgl. II,190-194). Freilich ist Elerts Kantinterpretation, wie S. unter dem Titel "Transzendentalität und Transzendenz" ausführlich nachweist (II,217-244), "bestenfalls originell", indem sie "äußerlich aufgenommene Begriffe mit Theologumena Luthers [vermischt]" und "am originalen Entdeckungszusammenhang dieser Zusammenhänge bei Kant nicht im geringsten interessiert ist" (II,233, Anm. 211). Nach S.s abschließendem Urteil wäre das von Elert formulierte "anspruchsvolle() Programm" (II,220) erst dann Erfolg versprechend, wenn "die Leistungsfähigkeit eines im Sinne Elerts verstandenen Konzeptes einer ,extern konstruierten' Subjektivität vor den nicht hintergehbaren Fragestellungen einer neuzeitlichen Subjektivitätstheorie" (II, 252 f.) aufzuweisen wäre, auf deren "interne[] Logik" (I,252) Elert sich eben nicht eingelassen habe.

Teil D (II,254-340) zeichnet auch Elerts dogmatisches Hauptwerk "Der christliche Glaube" in die herausgearbeitete Fragestellung ein. Trotz einer Interpretation ad optimam partem führt der ebenso ausführliche wie dichte Durchgang durch das Werk freilich zu einem weitgehend kritischen Resultat. Elerts Verständnis des Glaubens als "Anerkennung der Geltung einer Ordnung für den jeweils Glaubenden und in der Folge als heteronome Unterstellung unter eine absolute Autorität" (II, 277, vgl. 278) impliziere einen "völlig autoritären Begriff des Glaubens einerseits, des Evangeliums andererseits ..., dessen Verbindung zum Glauben als Vertrauen und zum Evangelium als Ausdruck der Liebe Gottes kaum mehr erkennbar ist" (II,280); der so gefasste Glaube sei "doch wohl eher die Wirkung des Gesetzes" (II,284). Nach vertiefenden Ausführungen zu Elerts Deutung der Rechtfertigungslehre (292-313) kulminiert die Kritik in der Rekonstruktion seiner Konzeption von "Zwei-Naturen-Lehre und Deus absconditus" (II,314-334). S. entfaltet nämlich die These, dass Elerts "nicht nur formale, sondern geradezu autoritäre Struktur des Verhältnisses von Evangelium und Glaube ihren Grund in einem von der Erfahrung des Deus absconditus her geprägten Gottesbegriff" habe (II,314): "Faktisch entnimmt Elert die Eigentümlichkeiten, die ein Wirken Gottes als Wirken Gottes kennzeichnen, der Erfahrung des Gesetzes bzw. des Deus absconditus, und identifiziert das Wirken Gottes im Evangelium als Wirken Gottes durch eben die Erfahrungsmomente, die sein Wirken im Modus des Gesetzes kennzeichnen" (II,331). Entgegen "der Selbstdeutung und dem Selbstverständnis Elerts" entstamme der "Begriffsinhalt von ,Gott' ... nicht der Christologie, sondern die Christologie ist eine Näher- und Neubestimmung dieses Begriffsinhaltes" (II,333).

Angesichts des durchweg, wenn auch bei v. Frank, Ihmels und Elert in unterschiedlicher Intensität negativen Ergebnisses könnte man fragen, warum man sich die Lektüre des voluminösen Doppelwerkes zumuten soll, die zudem vom Autor durch sperrige Syntax und durch Verzicht auf rhetorische Gefälligkeit nicht unbedingt einladender gemacht wird. Ganz ohne Zweifel bringt die Arbeit reichen theologiehistorischen Ertrag. Sie erschließt nicht nur in konzisen Textanalysen das Werk wenig gelesener ,neulutherischer' Theologen des 19. und 20. Jh.s, sondern kann, gerade indem sie induktiv deren jeweiliges Eigengepräge herausarbeitet, besonders überzeugend einen übergreifenden ,Erlanger' Schulzusammenhang plausibel machen, der sich in einer gemeinsamen systematischen Fragestellung geltend macht. Dabei ist die textorientierte immanente systematische Rekonstruktion methodisch eine große Stärke; zumindest bei Elert kann man allerdings fragen, ob seine Theologie nicht doch stärker als bei S. geschehen in den geschichtlichen Kontexten, in denen sie entstand, verortet werden müsste, um wirklich verständlich zu werden.

Was den systematischen Ertrag betrifft, bleibt S. freilich eigentümlich zurückhaltend. Diesen sieht er in dem negativen Nachweis, daß die dargestellten Positionen "ihr Ziel nicht erreichen, und daß das Problem der konstitutiven Funktion der neuzeitlichen Subjektivität für alle ihr geltenden Inhalte ... so einer Lösung nicht zuzuführen ist", wie es bei ihnen geschah (II,354). Unter Berufung auf Aristoteles betont er die positive Bedeutung der Einsicht in Aporien und entlässt den Leser mit der Aussicht: Nur "dem, der die Ausweglosigkeit aushält, zeigt sich das Ziel" (ebd.). Darüber, wie dieses Ziel erreicht werden könnte, gibt er ausdrücklich "keine Handreichung" (254). So bleiben nur Mutmaßungen, die sich auf verstreut vorgetragene Hinweise stützen können. Deutlich ist, dass S. sich der ,Erlanger' Fragestellung einer "Vermittlung des Gegensatzes von autonomer Subjektivität und kollektiver, externer Normativität" (I,29) verpflichtet weiß, dass er aber mindestens an zwei Stellen grundlegende Vorbehalte gegen die Erlanger Lösung artikuliert: Zum einen habe schon v. Frank (um so mehr aber Ihmels und Elert) die Implikationen der neuzeitlichen subjektivitätstheoretischen Wende nicht tiefgreifend genug wahrgenommen, und dies konterkariere den Anspruch, gerade in der Erfahrungsorientierung die Selbstbeschreibung des christlichen Glaubens für die geschichtliche Gegenwart zu leisten, da die Auseinandersetzung mit der Neuzeit letztlich oberflächlich bleibe. Zum andern moniert er bei Elert, dieser sei gegen seine Intention einem vorchristlich-abstrakten, christologisch nicht vermittelten Gottesbegriff verhaftet und könne deshalb das argumentative Potential nicht nutzen, das die altlutherische Christologie für die Gotteslehre immer noch bereit halte. Täuscht der Eindruck nicht, dann deutet dieser zweite Hinweis die Richtung an, in der sich S. die auch von ihm geforderte kritische Auseinandersetzung mit der neuzeitlichen Subjekts-Autonomie so vorstellen kann, dass sie das von deren führenden Theoretikern vorgegebene Niveau nicht unterbietet. Das Anliegen der Erlanger wäre mithin nur durch eine streng durchgeführte christologische Konzentration konsistent aufzugreifen. Dass dabei auch die ,theologiepolitische[n]' Karten neu gemischt werden, deutet S. selber an, indem er den Anliegen der Gegner seiner Protagonisten, namentlich Ritschl oder Troeltsch, gerechter zu werden sucht als diese selbst. Sehr viel mehr erfährt man leider nicht. Die Arbeit endet mit einem Doppelpunkt; man darf gespannt sein, was folgt.