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Ausgabe:

März/2001

Spalte:

301 f

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Quitterer, Josef, u. Edmund Runggaldier [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Der neue Naturalismus - eine Herausforderung an das christliche Menschenbild.

Verlag:

Stuttgart-Berlin-Köln: Kohlhammer 1999. 220 S. m. Abb. gr.8. Kart. DM 71,-. ISBN 3-17-015409-5.

Rezensent:

Christofer Frey

Eine "philosophy of mind" scheint derzeit ein aussichtsloses Unterfangen zu sein, weil niemand zu zeigen vermag, wie Phänomene des "Geistes" mit der Physik bzw. Chemie des Gehirns zu verbinden sind (und umgekehrt). Ist das Gehirn als Organ bzw. als Organisation der Neuronen ein Konstrukt des "Geistes" ("mind") oder der Geist ein Epiphänomen des Gehirns?

Den verschiedenen naturalistischen Strömungen der Gegenwart widmet sich eine Diskussion, die in einem Sammelband mit Beiträgen zu einer Konferenz an der Gregoriana in Rom dokumentiert ist.

Der Naturalismus darf nicht mit dem klassischen Monismus (der die Welt als die Summe physikalischer Tatsachen ansieht) verwechselt werden. Er präsentiert sich vielmehr im Holismus Quines, im Ansatz Davidsons usw. Löffler spricht vom Naturalisierungsprogramm (z. B. 30 ff.) - welche zunächst als Nichtnatur ausgegebene Wirklichkeit soll oder kann überhaupt "naturalisiert" werden? Die verschiedenen Beiträge des Sammelbandes beziehen sich auf Äußerungen des Selbstbewusstseins, der personalen Identität und der Willensfreiheit, z. B. Handlungen (z. B. 9), aber auch auf Alltagserfahrungen (vgl. 146 ff.). Das Schlüsselproblem bleibt die Kausalität, von Hume bekanntlich nicht als empirisches Faktum, sondern als Ordnungsmuster des Psychischen, von Kant als Grundlage aller Erfahrung, als Verstandesgesetz (also "mental") verstanden. Hieran müsste auch ein nachklassischer Monismus Anstoß nehmen.

Darum widmen sich die meisten Beiträge des Sammelbandes dem Thema der Verbindung von Mentalem und Physischem. Neben dem Epiphänomenalismus beansprucht vor allem die "Supervenienztheorie" Aufmerksamkeit, eine asymmetrische, nicht typische und auch nicht weiter bestimmbare Kausalität: Wenn gehirnorganische Kausalität wirkt, verändert sich auch das Mentale, das seinerseits aber nicht das physikalische Substrat kausal verändern kann.

Löffler diskutiert in einem der informationsreichsten Beiträge des Bandes die Ansätze eines methodologischen, semantischen oder ontologischen Naturalismus (32 ff.). Die beiden ersteren kommen allerdings ohne ontologische Implikationen nicht aus, denn selbst die Annahme, dass jegliche Angabe eines Fundaments unserer Erkenntnis unsicher sei (so Quine, vgl. 17), enthält eine Voreinstellung zum Ganzen der Wirklichkeit. Die meisten der beitragenden Vff. wählen nicht den Weg klassischer Apologetik, die erkennbare Defizite der abgewiesenen Position (z. B. eines Positivismus) zum Anlass metaphysischer Überhöhung nahm (skeptisch gegenüber Pannenberg und Clayton, die apologetische Modelle entwickeln, Löffler, 64). Stattdessen wird die Konsistenz der naturalistischen Argumente geprüft: Welche Fragen lassen diese aus, z. B. die Genese der Kognition (vgl. Fabrocini zur genetischen Erkenntnistheorie Piagets, 135 ff.), welche Realität klammern sie ein (z. B. jene des Erlebens - dazu u. a. Brüntrup, 114 passim) oder welche Frage beantworten sie nicht (z. B. "Was ist der Mensch?")?

Deshalb plädiert Runggaldier für die Überwindung des klassischen Reduktionismus (Runggaldier, 17). Bestimmte Aussagenklassen wie qualia seien zu verteidigen, menschliche Willensakte als unverzichtbar anzuerkennen und verschiedene Erkenntnisformen zu beachten (vgl. Löffler, 59 f.).

Die Vff. verfolgen kein einheitliches antinaturalistisches Programm. Zunächst geht es ihnen um erweiternde Fragestellungen (die Uneinholbarkeit der Komplexität neuronaler Systeme, das evidente Erleben im Alltag, Handlungen und nicht nur Ereignisse, Bekundungen des Willens). Darüberhinaus wäre zu überlegen, zu welcher semantischen Klasse holistische Begriffe wie "Natur", "Wirklichkeit" o. ä. überhaupt gehören. Was verändert sich an den umfassenden Kategorien, wenn die Allzuständigkeit des Kausalbegriffs entweder modifiziert oder zum Aspekt zurückgenommen wird? "Metaphysische" Fragen dieser Art lassen sich nicht vermeiden; und darin liegt ein Grund für christliche Philosophen, sich mit dem neuen Naturalismus zu befassen.

Ein wenig isoliert bleiben die Beiträge des amerikanischen Philosophen A. Plantinga oder des Fundamentaltheologen R. Schwager. Ersterer will mit Hilfe von "Retorsionsargumenten" zeigen, dass die logische Konsistenz eines Naturalismus zu schwach, aber der Theismus möglich ist. Der zweite versucht im Gespräch mit Teilhard de Chardin oder Karl Rahner, der "Außenansicht" des Wirklichen eine "Innenansicht" des Geistes entgegenzustellen. Dieses Programm erschwert Brüntrup, wenn er (mit D. Chalmers) das Rätsel der kausalen Konnexion von Physischem und Geist mit dem Geheimnis in einer genuin phänomenologischen Sicht konfrontiert. Solch eine Unterscheidung setzt die Aspekthaftigkeit des Wirklichen in aller unserer Erkenntnis voraus. Anders als in dem aus dem Empirismus hervorgegangenen Neonaturalismus zeigt sich hier wieder die transzendentale Dimension der Philosophie. Sie kann durch Löfflers Frage eingeleitet werden, ob der Naturalismus methodologisch, semantisch oder ontologisch zu verstehen sei (vgl. 32). Die Vff. des Sammelbandes diskutieren vor allem unter dem zweiten und dritten Aspekt und müssen deshalb sprachphilosophisch-erkenntnistheoretische oder ontologische Alternativen suchen. (Letztere v. a. bei Plantinga und Schwager, während die sprachphilosophischen Möglichkeiten vielleicht zu wenig aufgegriffen werden.)

Im Blick auf diese Möglichkeit kann ein interessierter Leser dieses wenig apologetischen, eher von der Freiheit des Diskurses gestalteten Sammelbandes auf eine Fortsetzung hoffen.