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Ausgabe:

März/2001

Spalte:

298–300

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Bogun, Ulrich

Titel/Untertitel:

Darstellendes und wirksames Handeln bei Schleiermacher. Zur Rezeption seines Predigtverständnisses bei F. Niebergall und W. Jetter.

Verlag:

Tübingen-Basel: Francke 1998. XIV, 255 S. gr.8. Kart. DM 68.-. ISBN 3-7720 -2189-1.

Rezensent:

Friedrich Wintzer

U. Bogun hat in seiner materialreichen Zürcher Dissertation das darstellende und wirksame Handeln in der Sicht Schleiermachers untersucht. Das Spezifikum dieser homiletischen Untersuchung besteht darin, dass unter dem genannten Aspekt die drei Predigtkonzeptionen von Schleiermacher, F. Niebergall und W. Jetter erörtert und miteinander verglichen werden. Der Autor kennt sich in der neueren Wissenschaftsgeschichte der Homiletik aus und präzisiert seine Thesen zugleich durch Analysen von exemplarischen Predigten von F. D. E. Schleiermacher, F. Niebergall und W. Jetter. Die Dissertation untersucht das Verständnis und die Praxis des darstellenden und wirksamen Handelns folglich in Bezug auf drei Theologen der letzten beiden Jahrhunderte. Der Vf. zeigt, wie eine von Schleiermacher thematisierte homiletische Fragestellung bis heute unterschiedliche Antworten gefunden hat und findet. Die Dialektische Theologie wird in der Untersuchung nicht berücksichtigt, da diese ihre Predigtkonzeption in Abgrenzung gegenüber Schleiermacher und Niebergall formuliert hat. Der Vf. hat auf diese Weise eine Eingrenzung seines breiten Themas vorgenommen. B. zeigt in seiner Untersuchung differenziert auf, dass die Wirksamkeit der zweckfreien Darstellung in der Mitteilung liegt. Das darstellende Handeln sei ein Kennzeichen des Gottesdienstes bzw. des Kultus. Es sei an die Gemeinschaft der Christen gerichtet. Das wirksame Handeln werde von Schleiermacher als das die Kirche "reinigende" und "wiederherstellende" Handeln beschrieben. Als "verbreitendes" Handeln werde es in der Erziehung und Bildung verwirklicht. Für die Theorie der religiösen Rede folge daraus, dass das wirksame Handeln dem religiösen Bewusstsein dient und auf dem Dialog zwischen Prediger, biblischem Text und der Gemeinde gründe. Deshalb komme auch der Predigthörer in den Blick. Der Vf. erörtert darum ebenfalls das Verhältnis zwischen Glaubenslehre und Christlicher Sitte bei Schleiermacher.

Die Predigtkonzeption von F. Niebergall wird von B. zu Recht im Zusammenhang mit den religionssoziologischen Veränderungen in den Jahren vor und nach der vorletzten Jahrhundertwende erörtert. Die damaligen Entkirchlichungstendenzen führten zu einer Predigt, die auf den "modernen Menschen" eingehen wollte. Der zugespitzte Vorwurf Barths, die liberalen Pfarrer wollten es den Menschen "recht machen", sollte in diesem Zusammenhang erörtert werden. Niebergalls Kritik an Fezers "unmenschlicher" Predigttheorie wird ja in der Untersuchung erwähnt. Niebergall wollte, wie der Vf. hervorhebt, die Predigthörer ansprechen.

Das Predigtverständnis von W. Jetter sieht der Vf. durch eine partielle Abgrenzung von Niebergall gekennzeichnet, mit dem ihn aber die Hörerorientierung verbinde. In den Mittelpunkt stellt der Vf. mit guter Begründung die dialogische Konzeption von Jetter, die auch in "Symbol und Ritual" zur Sprache kommt. Jetters Verdienst bestehe darin, dass er die gottesdienstliche Einbindung der Predigt wieder akzentuiert habe. Grundsätzlich gelte für Jetter, in Übereinstimmung mit Luther und Ebeling, dass Gebet und Predigt in einem Wechselverhältnis stehen, da das Beten lehre, "von Gott recht zu reden". Zu Recht hebt der Vf. hervor, dass Jetter - ähnlich wie Schleiermacher - in der Gottesdiensttheorie sowohl das Individuum als auch die Gesellschaft berücksichtigt habe. Die Verbindungslinie zu Schleiermacher hat Jetter darin gesehen, dass auch dieser das darstellende Handeln als wirksame symbolische Kommunikation angesehen hat. Jetter habe wiederum auf Grund seiner Verbindung von ritualbezogener Gottesdiensttheorie und Predigttheorie sein dialogisches Predigtverständnis in den Mittelpunkt gerückt, das ihn mit E. Lange verbunden hat.

Das 2. Kapitel enthält eine Analyse exemplarischer Predigten von Schleiermacher, Niebergall und Jetter. Der Vf. geht von dem richtigen Urteil aus, dass die Rede von der Predigt auch die Predigten einschließen müsse. Er zeigt auf, dass in der neueren Homiletik die Namen von Schleiermacher, F. Niebergall und Jetter den Weg vom darstellenden zum wirksamen Handeln und zurück zum darstellenden Handeln kennzeichnen. B. analysiert besonders die Hallenser Predigten von Schleiermacher, die er mit Rössler grundsätzlich als Reflexionspredigten charakterisiert. Eingehend stellt B. Schleiermachers Auslegung von neu- und alttestamentlichen Texten dar, ebenfalls das Verhältnis von Text und Thema, das die Einheit der Predigt als Rede charakterisiert. Auch die Auswirkungen der Glaubenslehre auf die Predigtlehre kommen zur Sprache. Es ist verständlich, dass das Predigtwerk von Schleiermacher freilich nur exemplarisch untersucht wird. Die Arbeit von Trillhaas bleibt deshalb nach wie vor lesenswert. Erfreulich ist, dass der Vf. Predigten von F. Niebergall ohne Vorurteil untersucht hat. Das unterscheidet ihn von Fehlurteilen in der Nachfolge der Dialektischen Theologie. B. präzisiert Niebergalls pädagogische Homiletik im Zusammenhang seiner vielfachen Predigttätigkeit, die in der rheinischen Landeskirche begann. Niebergalls Motiv-Quietiv-Dimension wird von B. erörtert, z. B. hinsichtlich Niebergalls Predigt über den Turmbau zu Babel. B. zeigt auf, dass der Wertebegriff für Niebergall eine große Rolle gespielt hat. Interessant ist auch die Darstellung der Aufwertung der Liedpredigt, die Niebergalls volkspädagogischem Interesse entspricht.

Der anschließende Abschnitt analysiert Beispiele aus Jetters Predigtbänden "Unterwegs mit dem Wort" und "Vertrauen lernen". Die Untersuchung enthält kurze Mitteilungen zur Biographie und zur theologischen Entwicklung von Jetter, die u. a. durch Brunner, Ebeling und durch die Kirchlich-theologische Sozietät in Württemberg geprägt war. Ähnlich wie Trillhaas distanzierte sich Jetter später zunehmend von der dialektischen Theologie, wie seine Predigten zeigen. Diese waren durch eine dialogische Struktur gekennzeichnet und knüpften insofern an Einsichten Schleiermachers an; auch wenn B. die Vergleichbarkeit der beiden Predigtkonzeptionen nur mit Einschränkungen behaupten kann. Der Vf. weist darum selber auf die Vertrautheit Jetters mit der Theologie und Predigt von Luther hin, die sich in Jetters Predigtkonzeption unter dem Aspekt des Vertrauens profiliert.

Abgeschlossen wird die Untersuchung über das darstellende und wirksame Handeln bei Schleiermacher und die Rezeption dieser homiletischen Begriffe bei Niebergall und Jetter mit einem dritten Kapitel, in dem B. das darstellende und wirksame Handeln im Rahmen der Sprechakttheorie erörtert. B. nimmt den Begriff des Handelns zum Anlass, um über die Sprache als Handlung im Anschluss an Austin zu reflektieren. Er führt in die vor ca. 20 Jahren für die Homiletik fruchtbar gemachte Sprechakttheorie ein, wobei er einen Akzent auf Strawsons Näherbestimmung des illokutiven Sprechaktes legt. B. möchte mit Hilfe der Sprechakttheorie die bleibende Aktualität der Unterscheidung von wirksamem und darstellendem Handeln aufzeigen. Es ist B. auf diese Weise gelungen, unter dem genannten Aspekt den Zusammenhang der gegenwärtigen Predigttheorie mit der neueren Wissenschaftsgeschichte der Homiletik, die er anhand von exemplarischen Predigten erläutert, zu verdeutlichen.