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Ausgabe:

März/2001

Spalte:

294 f

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Metz, Wilhelm

Titel/Untertitel:

Die Architektonik der Summa Theologiae des Thomas von Aquin. Zur Gesamtsicht des thomasischen Gedankens.

Verlag:

Hamburg: Meiner 1998. XI, 276 S. 8 = Paradeigmata,18. Geb. DM 78,-. ISBN 3-7873-1376-1.

Rezensent:

Günther Mensching

Die Absicht, eine "Gesamtsicht" eines großen Autors der Theologie- und Philosophiegeschichte darzulegen, ist heute eher ungewöhnlich. Die historische Forschung verliert sich in immer kleinere Details der Entstehungs- und Wirkungsgeschichte, aber auch die systematische Auseinandersetzung mit den Klassikern hat zumeist immer engere Teilaspekte einzelner Denker im Auge. Anders als der überwiegende Trend will der Vf. die vielen einzelnen Gedanken des Thomas von Aquin auf ihr prinzipielles Zentrum, "den einen Gedanken des Thomas selbst" (2) beziehen. Bei einem Autor wie Thomas, der eine schier unübersehbare Fülle gänzlich verschiedener Probleme erörtert hat, ist die Frage nach deren systematischer Einheit sehr angebracht.

Die These des Vf.s ist es, dass alle strukturellen literarischen Eigentümlichkeiten der "Summa theologiae" aus deren systematischer Zentralaussage sich ergeben. Dabei ist es ihm klar, dass Thomas selbst dieses Vorgehen nirgends dargelegt hat. Nicht das, was er ausdrücklich sagt, sondern das, was er tut, ist hier maßgeblich. Ausgehend von dem "ordo disciplinae", den Thomas selbst in den articuli über die Theologie als Wissenschaft am Anfang der summa darlegt, erschließt der Vf. die Struktur des Gesamtwerks bis in die kleinste Einheit, den Artikel. Das dort gelehrte Subalternationsverhältnis von Theologie und übrigen Wissenschaften verbindet sich mit dem zentralen Dogma der Trinität zu einer "triadischen Makrostruktur" (passim). Dabei geht der Vf. davon aus, dass bei Thomas die Trinität Vorrang vor der Christologie und vor der Schöpfungslehre habe.

Unter dieser Voraussetzung arbeitet er überall "triadische Strukturen" heraus, so Deus - exitus - reditus oder memoria - intelligentia - dilectio/voluntas. Eine wichtige Rolle nimmt auch das Verhältnis von Theorie, Praxis und poiesis ein, an dem der thomasische Aristotelismus verdeutlicht wird. Das Verhältnis von Neuem Testament, Augustinus und Aristoteles als der maßgeblichen Autoritäten erscheint ebenso als triadisch wie das Schema der Artikel, das in der "Summa theologiae" gegenüber sonstigem Brauch vereinfacht ist. Dem formalen Niederschlag der mittelalterlichen Disputation misst der Vf. eine den Kern der Lehre symbolisierende Bedeutung bei. Ob das sed contra tatsächlich den "ausgezeichnete[n] Ort für die auctoritas" darstellt, mag fraglich sein, richtig und wichtig ist sicher, dass die Struktur des thomasischen articulus das rekursive, der syllogistischen Formen sich bedienende Verfahren wiedergibt, in dem der Vf. zu Recht ein aristotelisches Erbe erblickt, ohne welches Thomas gar nicht verstanden werden kann.

Nach einem langen und instruktiven Kapitel über die "Summa theologiae" im Kontext der anderen Werke des Thomas von Aquin und der Scholastik überhaupt kommt der Vf. auf die prima pars des thomasischen Hauptwerkes zurück, um "die beiden (sic!) Mittelpunkte" ihres Gedankenganges zu erläutern. Er stellt den Gedanken des Deus trinus als den einen Mittelpunkt dar, der auch der Schöpfungslehre vorgeordnet sei. Die Lehre von der imago Trinitatis erscheint als das andere Zentrum, unter dem die Erkenntnis, insbesondere Gottes, sowie die Anthropologie überhaupt stehe.

Dass der Aufbau der "Summa theologiae" keineswegs zufällig oder gleichgültig sei, ist durchaus keine neue Einsicht des Vf.s. Wie bei eingehender Lektüre des Originaltextes deutlich wird, soll die Ordnung der Gedanken die der Welt als Schöpfung wiedergeben und, soweit dies überhaupt möglich ist, der scientia Dei et beatorum nahekommen. Die fast rein strukturelle und damit formale Betrachtung, die der Vf. dem Werk widmet, ist freilich nicht so voraussetzungs- und folgenlos, wie der Vf. anzunehmen scheint. Zwar ist richtig, was er über den Unterschied der thomasischen Systematik zum System Hegels sagt, der reflexiven Struktur ist er jedoch nicht auf die Spur gekommen, die sich bei Thomas bereits deutlich zeigt und bei Hegel zu sich selbst kommt. Aber die historische Entwicklung des Denkens, das trotz zahlloser Antinomien und Brüche auch eine innere Kontinuität aufweist, taucht in dem Buch nicht auf. In welchen Auseinandersetzungen Thomas von Aquin Stellung bezieht und welche epochalen doktrinalen Gegensätze sich in seiner Lehre keineswegs bruchlos niederschlagen, wird nirgends auch nur erwähnt. Stattdessen wird wiederholt beteuert, die summa sei "perfekt", was ihre Argumentation anbelange. Das Ganze der summa und ihre Teile stünden in "vollkommenem Einklang miteinander". Darin bestehe die "hochmittelalterliche Klassik des Thomas von Aquin" (114). Die Dogmatik des 13.Jh.s in ihrer thomasischen Gestalt wird einfach als gültig unterstellt. Unter dieser zeitlosen Voraussetzung ist es leicht, die Harmonie des Systems, die Ganzheit und die gelungene Synthese seiner Gedankenführung zu rühmen, indem auch mehrfach die fragwürdige Analogie zum Kathedralenbau bemüht wird. Diese Leitbegriffe bestimmten bereits das Thomasverständnis der Neuscholastik und bedingen bei M. wiederum eine in Voraussetzungen und Konsequenzen ganz konservative Auffassung, von der viele neuere Interpreten mit gutem Grund abgekommen sind. Dass zahllose quaestiones nicht der Harmonie der articuli fidei wegen geschrieben sind, sondern um in scharfe und tief gründende Kontroversen einzugreifen, kann man freilich nur entdecken, wenn man für das historische Element des Denkens einen Sinn hat. Dann freilich erschließt sich auch zuallererst das Einmalige des Werkes von Thomas von Aquin, dem der Vf. ein Denkmal setzen will.