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Ausgabe:

März/2001

Spalte:

286–288

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Paesler, Kurt

Titel/Untertitel:

Das Tempelwort Jesu. Die Traditionen von Tempelzerstörung und Tempelerneuerung im Neuen Testament.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1999. 304 S. gr.8 = Forschungen zur Religion und Literatur des Alten und Neuen Testaments, 184. Lw. DM 108,-. ISBN 3-525-53868-5.

Rezensent:

Otto Böcher

Das vorliegende Buch ist eine 1997 von der Theologischen Fakultät der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg angenommene Dissertation. Die Untersuchung, betreut von Jürgen Roloff, wurde für den Druck leicht überarbeitet und ergänzt; sie ist einem Thema gewidmet, das, wie der Vf. zu Recht vorausschickt (9), trotz seiner hohen theologischen Bedeutung erstaunlicherweise bisher noch nicht monographisch behandelt wurde: dem prophetischen Wort Jesu gegen den Tempel in Jerusalem.

Bekanntlich bildet die Aussage der Gegner Jesu, dieser habe behauptet, den Jerusalemer Tempel abbrechen und in drei Tagen neu errichten zu wollen (Mk 14,58 par. Mt 26,61), ein belastendes Argument für seine Verurteilung. Schon Otto Michel hatte beiläufig vermutet, in Mk 14,58 spiegele sich vielleicht ein Kampfwort des historischen Jesus "ähnlich wie in Joh 2,19 ... ,brecht diesen Tempel ab, und in drei Tagen will ich ihn aufrichten'" (O. Michel, Der Umbruch: Messianität = Menschensohn, in: Tradition und Glaube, FS Karl Georg Kuhn, Göttingen 1971, 310-316 [314]; nicht bei Paesler). Noch näher hätte m. E. ein Verweis auf Mk 13,2 parr. gelegen. Dieses Jesuswort als vaticinium ex eventu zu bagatellisieren, ist unberechtigt; schon Micha 3,12 par. Jer 26,18 belegt prophetischen Tempelpessimismus (vgl. noch JosBell 6,300-309). So füllt P.s Arbeit in mehr als einer Hinsicht eine längst ärgerlich gewordene Lücke, die der Vf. einleuchtend mit der traditions- bzw. redaktionskritisch festzustellenden "Unbestimmtheit" des Jesus-Logions von der Tempelzerstörung erklärt (9).

Nach Vorwort (5 f.) und Einleitung (9 f.) gliedert sich P.s Monographie in drei große Kapitel. Ein quellenkritischer Teil (1, S. 11-122) untersucht nacheinander die Texte Mk 14,58; 15,29-32; Mt 26,61; Apg 6,14; Joh 2,13-22; Mk 13,1 f.; 2Kor 5,1 und ThEv 71. Der Vf. kommt zu dem Ergebnis, dass Mk 14,58; 15,29 ursprünglich nicht zum Bestand des Passionsberichts gehört habe, sondern "von einer vormarkinischen, dem Jerusalemer Kultus feindlich gegenüberstehenden Redaktion ... eingetragen wurde" (121; ausführlich 11-39). Von der Markuspassion abhängig seien Mt 26,61; 27,40; Apg 6,14 (121), nicht jedoch Mk 13,2 und Joh 2,19 (ebd.; ausführlich 76-92 und 61-75). Schon auf der Basis der Quellen- und Traditionskritik sieht der Vf. wichtige Argumente (kein vaticinium ex eventu, semitischer Sprachhintergrund) für ein authentisches Herrenwort in der Urform von Mk 13,2b (89-91).

Die Motive des heute vorliegenden Textbestandes des Jesus-Logions Mk 14,58; Joh 2,19 erforscht der zweite, motivgeschichtliche Teil (II, S. 123-228): das Jerusalemer Heiligtum (der Tempel zur Zeit Jesu, mit einem Exkurs "Alttestamentliche Voraussetzungen"), die Erneuerung des Heiligtums (die kultische Insuffizienz des Jerusalemer Heiligtums, das himmlische Heiligtum/die himmlische Stadt, die Erneuerung des irdischen Heiligtums, dazu ein Ausblick auf die Fortführung des Motivs in 4Esra), die Dreitagesfrist; ferner befragt der Vf. noch einmal die Urform von Joh 2,19 sowie den Vers Mk 14,58. Als Ergebnis (228) hält er fest, dass das ursprüngliche Jesuswort (Mk 13,2b), das dem Tempel die Zerstörung angedroht habe, schon früh erweitert worden sei. Wichtig ist seine Beobachtung, dass es in Joh 2,19 um die Wiedererrichtung desselben, in Mk 14,58 um die Errichtung eines anderen Tempels geht (74 f. und 203f.). Christliche Endzeithoffnung hatte für das zerstörte Jerusalemer Heiligtum zunächst "seine eschatologische Erneuerung durch Jesus als Protagonisten des apokalyptischen Endzeitdramas" erwartet. Die Dreitagesfrist jedoch verweist auf Jesu Auferweckung; Christus wird selbst zum eschatologischen Heilsort, und die in Mk 14,58 hinzugefügten Epitheta "von Menschenhand gemacht - nicht von Menschenhand gemacht", aus der hellenistisch-jüdischen Götzenpolemik stammend, betonen den "adversativen Zug des Tempelworts" (228; vgl. 203-222). Das Ostergeschehen ermöglicht einen alternativen Heilsweg, der die an den Tempel gebundene jüdische Soteriologie überbietet.

Schließlich bietet Teil 3 (Jesus und die Tempelworttradition, 229-266) "eine ausführlichere Untersuchung des jesuanischen Hintergrundes der Tempelwort-Tradition, wie er vermutlich in Mk 13,2b vorliegt" (229). In sie bezieht der Vf. auch Mt 5,23f.; Mk 11,15-19; Lk 13,34 f. ein. Für Mk 13,2 (256-261) kommt der Vf. zu der zweifellos zutreffenden Annahme, es handle sich um ein authentisches Logion des historischen Jesus (261); auf S. 256 findet sich die Rekonstruktion des aramäischen Wortlauts. Die urchristliche Eschatologie, Christologie und Soteriologie hat durch Ergänzungen der Urform die Tempelpolemik Jesu "weitergedacht" (264). Der auferweckte Christus wird als der "eigentliche Ort der Gottesbegegnung dem kultischen Bauwerk der Juden gegenübergestellt" (265). Paulus schließlich hat den Bezug zum irdischen Tempel völlig aufgegeben; das himmlische, nicht von Menschenhand gemachte Haus (2Kor 5,1) ist zum "Signum für die individuelle Zukunftshofffnung der Christen nach dem Tode" geworden (265). Ein sinnvoll gegliedertes Literaturverzeichnis (267-299) und ein Stellenregister (300-304) beschließen den Band.

Formale Versehen halten sich in engen Grenzen. Auf S. 61-75 stimmen die Seitentitel nicht (statt Joh 3,13-22 muss es heißen: Joh 2,13-22); wahrscheinlich haben sie auf den Korrekturabzügen noch gefehlt. Ein Name der Herausgeber der Festschrift E. L. Rapp von 1976 (288) ist falsch.

Nach Aufbau, Beweisgang und Sprache ist Kurt Paeslers Untersuchung gleichermaßen gelungen. Im Umgang mit der reichlich benutzten Sekundärliteratur erweist der Vf. Sorgfalt, Selbständigkeit und lernfähige Offenheit. Seinen Schlussfolgerungen wird man vorbehaltlos zustimmen können. Vielleicht hätte der Vf. die - höchst wahrscheinliche - Authentie auch von Mt 23, 37-39 par. Lk 13,34 f.Q (250-255) stärker herausstellen sollen; auch dieser Text ist offensichtlich ein Beleg für das prophetische Selbstverständnis des historischen Jesus, nicht anders als die von P. rekonstruierte Urform von Mk 13,2. Faszinierend ist der Nachweis der eschatologischen, christologischen und soteriologischen Ausweitungen dieses Jesus-Logions durch die Autoren und Redaktoren des Neuen Testaments.