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Ausgabe:

Oktober/1998

Spalte:

962 –964

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Braulik, Georg

Titel/Untertitel:

Studien zum Buch Deuteronomium.

Verlag:

Stuttgart: Kath. Bibelwerk 1997. 285 S. 8 = Stuttgarter Biblische Aufsatzbände, 24. Kart. DM 79,-. ISBN 3-460-06241-X.

Rezensent:

Christoph Levin

Der Band setzt mit acht Aufsätzen aus den Jahren 1989 bis 1996 die Sammlung "Studien zur Theologie des Deuteronomiums" (SBAB 2) von 1988 fort. Offenbar hat der Vf. die Absicht, seine kleineren Arbeiten zum Deuteronomium fortlaufend in dieser Art zu vereinen; denn nicht der Wiederabdruck wird begründet, sondern warum einiges nicht übernommen ist. Die Beiträge sind unverändert wiedergegeben nach der Reihenfolge des Erscheinens. Sie werden durch Bibelstellenregister, Sachregister, Register hebräischer Wörter und Autorenregister neu erschlossen.

Die Sammlung theologisch-programmatischer, begriffsexegetischer sowie stil- und kompositionskritischer Untersuchungen läßt eine "Handschrift" erkennen. B. liest das Deuteronomium auf der Grundlage einer katholischen Ekklesiologie und Soziallehre. Das Gesetz richtet sich an das Gottesvolk, damit dieses im Gehorsam seine von Gott gegebene Bestimmung erfülle: religiös als Liturgie, ethisch als Realisierung des sozialen Ideals. Datiert wird das Deuteronomium in die Zeit Joschijas (bei langer Vorgeschichte des gesetzlichen Materials). Daß das deuteronomische Gottesvolk kein anderes ist als das vorexilische Juda, wird nicht als Anstoß empfunden. Der durch Joschija veranlaßte Gottesbund ist eine geschichtliche Setzung. Weil diese Heilsinstitution ihrer Wahrnahme durch das Gottesvolk bleibend vorausgeht, wird die Spannung zwischen Ideal und Wirklichkeit letztlich aufgehoben. Einer Zwei-Reiche-Lehre bedarf es so wenig wie einer Eschatologie.

(1) Besonders deutlich zeigt sich diese Theologie im ersten Beitrag: "Die Entstehung der Rechtfertigungslehre in den Bearbeitungsschichten des Buches Deuteronomium". B. setzt dem Urteil W. Zimmerlis: "Die Dialektik Gesetz-Evangelium ist im AT noch nicht offen vorhanden, weil der Name Christi im AT noch nicht offen ausgerufen ist" (1960), entgegen, "daß die theologische Dialektik zwischen Gesetz und Evangelium bereits zwischen diesen einzelnen Schichten [des Deuteronomiums] entwickelt wird" (13 f.). Nach der Redaktionsgeschichte, wie sie sich ihm und N. Lohfink darstellt, beginnt die Theologisierung des deuteronomischen Gesetzes (zusammen mit der Historisierung) noch zur Zeit Joschijas, indem die Vertragsurkunde im literarischen Rahmen von Dtn 1 bis Jos 22 mit der Landnahme verbunden wurde. So geriet die Heilsgabe des Landes unter die Bedingung des Gehorsams. Nicht das Exil soll es gewesen sein, das zur Konditionierung des Gottesverhältnisses durch das Gesetz geführt hat.

Die Krise führte im Gegenteil zu einer "Anpassung an die Realität": Das Gebot wird als Zukunftsentwurf gedeutet, der für die gegenwärtige, landlose Zeit noch nicht gelten muß. Anderseits macht der aufkommende Nomismus die Wiedererlangung des Landes von der Befolgung des Gebots abhängig. In spätexilischer Zeit wird der Nomismus angesichts der tatsächlichen Sündengeschichte durch die Betonung der vorausgehenden Zuwendung Jahwes überholt: "Die Beschneidung des Herzens durch Gott ... versetzt Israel erst in die Lage, Hauptgebot und Einzelgebote zu erfüllen" (26). "Evangelium" ist dann "das wahrhaft geinnerte deuteronomische Gesetz" (27). Die jüngsten Vorgänge in der evangelisch-katholischen Ökumene lehren, daß man auf den Gebrauch der Begriffe genau achten muß: Rechtfertigung als Befähigung zum Gehorsam ist etwas anderes als iustificatio impii, und die Dialektik zwischen Gesetz und Evangelium etwas anderes als die Dialektik von Gesetz und Evangelium. Vorausgesetzt, daß B.s Schlußfolgerungen exegetisch zutreffen, dürfte Zimmerli theologisch Recht behalten.

(2) Der Rezensionsartikel ("Literarkritik und die Einrahmung von Gemälden"), der sich mit der Dissertation von D. Knapp über Dtn 4 (GTA 35, 1987) befaßt, ist durch B.s eigene Studie über den Gegenstand veranlaßt (AnBib 68, 1978). Die Argumente gegen eine vereinfachende, schematische Literarkritik sind sehr beachtlich. Im Gegenzug neigt B. dazu, die formalen und inhaltlichen Spannungen als Stilmittel eines einzigen Verfassers zu deuten. Darin liegt eine gattungskritische Grundentscheidung, die ihrerseits Fragen weckt. Daß der Text im großen und ganzen einheitlich ist, ist nicht die einzige Alternative zu einer blockweisen Schichtung. Ein fließendes literarisches Wachstum könnte dem deuteronomisch-deuteronomistischen Schulbetrieb weit gemäßer sein. Statt einer übergreifenden Gestaltungsabsicht zu folgen, wäre die einzelne Textstufe im Zweifel auf die jeweilige Aussage beschränkt.

(3) Für B.s Neigung zu weitgespannten stil- und kompositionskritischen Deutungen zeugt die Studie zu den "Siebenergruppierungen im Endtext des Deuteronomiums". Der Gesichtspunkt vereint eine Fülle unterschiedlicher Beobachtungen von kleinräumigen Worthäufigkeiten bis hin zu kompositionellen Entsprechungen. Bei aller Entdeckerfreude: Da der Endtext Ergebnis einer vielfältigen literarischen Geschichte ist, kann sich in solchen Einzelheiten schlechterdings keine Absicht verbergen.

(4) Der Aufsatz über die "Göttin Aschera in Israel" stammt aus einem Sammelband über "Gottesvorstellungen des biblischen Israel im Horizont feministischer Theologie". Gegenüber den häufig traktierten neueren religionsgeschichtlichen Befunden liegt B.s eigener Beitrag in der Deutung des Deuteronomiums. Er entdeckt in der charakteristischen "Du-Paränese" die Spuren einer "geschwisterlichen" Ethik: "Offenbar richtet sich das ,Du’ bzw. das ,Ihr’ ... gleichermaßen an die Frau wie an den Mann" (114). Die Vermutung drängt sich auf, daß der moderne Wunsch der Vater dieses Gedankens gewesen ist. So willkommen diese Frühform religiös veranlaßter Gleichberechtigung wäre: Die historische Plausibilität spricht gegen sie. "Alles geschieht ... sehr verdeckt" (116) - was Wunder!

(5) Für seinen Beitrag zur Festschrift für N. Lohfink hat B. sich durch J. Assmanns Studie über "Das kulturelle Gedächtnis" (1992) anregen lassen: "Das Deuteronomium und die Gedächtniskultur Israels". Der kennzeichnende Begriff ist lmd "lernen/ lehren". B. verfolgt in den Bahnen der Lohfink-Braulikschen Redaktionsgeschichte die Entwicklung des Motivs. Betont die erste Gestalt des Deuteronomiums das Lernen des Gesetzes in der Familie, so tritt später die regelmäßige kultische Rezitation durch Priester und Älteste hinzu. In exilischer Zeit wird im Sinne des Ersten Gebots besonders das Lernen verbotener mantischer Praktiken verwehrt. Die spätexilische Letztfassung schärft den Gesetzesgehorsam als Bedingung für das Überleben Israels ein.

(6+7) Der Aufsatz "Die dekalogische Redaktion der deuteronomischen Gesetze" führt eine Hypothese weiter, die B. 1991 in der Studie "Die deuteronomischen Gesetze und der Dekalog" (SBS 145) entworfen hat. Nach ihr wurde in nachdeuteronomistischer Zeit das Deuteronomium am Leitfaden des Dekalogs systematisch bearbeitet. Die Gesetze in Dtn 12-18 und 26 wurden neu gruppiert, Dtn 19-25 gar erst durch die dekalogische Redaktion eingetragen. Die Hypothese berührt notwendigerweise das Kapitel Lev 19 innerhalb des Heiligkeitsgesetzes, in dem sich eine Katechese des Dekalogs mit einer dem Deuteronomium verwandten Paränese verbindet. Gegenüber der gewohnten Sicht, nach der das Heiligkeitsgesetz das Deuteronomium voraussetzt, kehrt B. das traditionsgeschichtliche Gefälle um: Lev 19 sei Grundlage der dekalogischen Redaktion des Deuteronomiums.

In einem ergänzenden Beitrag "Weitere Beobachtungen zur Beziehung zwischen dem Heiligkeitsgesetz und Deuteronomium 19-25" dehnt er die These auf das ganze Heiligkeitsgesetz aus.

Die Parallelen, die er aus Lev 17-18 und 20-25 beibringt, sollen zeigen, daß Dtn 19-25 als Novellierung des Heiligkeitsgesetzes zu verstehen sei. Es ist lehrreich, wenn die eingefahrenen traditionsgeschichtlichen Sichtweisen in Frage stellt werden. Doch wage ich es, B.s Hypothese keine große Zukunft vorauszusagen, zumal die exegetischen Details keineswegs zu schlagenden Evidenzen führen. Es wird nicht leicht fallen, die Hypothese mit der Redaktionsgeschichte des Jeremiabuches, des Ezechielbuches und der Priesterschrift abzustimmen.

(8) Der letzte Beitrag, ",Weisheit’ im Buch Deuteronomium", hat die namentlich von M. Weinfeld vertretene Auffassung zum Gegenüber, das Deuteronomium gehe auf die Träger der israelitischen Weisheitstradition zurück. Anhand der nur acht Belege für h.km "weise sein" kann B. schlüssig zeigen, daß das Motiv im Deuteronomium eine späte Randerscheinung ist. Wo es auftritt, ist nicht die in der gemeinorientalischen Geisteskultur wurzelnde Weisheit der Maßstab der Tora, sondern umgekehrt die Tora der Maßstab der besonderen israelitischen Ausprägung der Weisheit.

Der gesammelte Wiederabdruck der Studien, die das für die alttestamentliche Theologiegeschichte überaus wichtige Verständnis des Deuteronomiums befruchtet haben und weiter befruchten werden, bedeutet eine nützliche Hilfe und wird gewiß in einigen Jahren in einem weiteren Band seine Fortsetzung finden.