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Ausgabe:

März/2001

Spalte:

276–278

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Chilton, Bruce, and Craig A. Evans [Eds.]

Titel/Untertitel:

Authenticating the Words of Jesus.

Verlag:

Leiden-Boston-Köln: Brill 1999. XVI, 480 S. gr.8 = New Testament Tools and Studies, 28,1. Lw. hfl 260.-. ISBN 90-04-11141-7.

Rezensent:

Jörg Frey

Der vorliegende Band ist Teil eines großen Forschungs- und Publikationsprojekts zur Frage nach dem "Historischen Jesus", das 1994 mit einer Darstellung des Forschungsstandes begann,1 1997 mit einer Sammlung von Aufsätzen der beiden Autoren weitergeführt wurde2 und 1999 durch die Publikation zweier Sammlungen von Einzelstudien unterschiedlicher Autoren (vorwiegend aus dem angelsächsischen Raum) seinen vorläufigen Höhepunkt erreicht hat. Neben dem vorliegenden Band ist ein zweiter Band zu den Taten Jesu unter dem Titel "Authenticating the Activities of Jesus" (NTTS 28,2, Leiden: Brill, 1999) erschienen. Beide Bände lassen sich als eine groß angelegte Auseinandersetzung mit den populären Thesen des nordamerikanischen "Jesus-Seminar" verstehen, die gleichermaßen in zwei Bänden zu den Worten und Taten Jesu verbreitet worden sind.3

Fast alle Autoren nehmen kritisch auf die Thesen dieser Forschergruppe Bezug, ebenso auf die Arbeiten von J. D. Crossan und die durch J. M. Robinson und J. S. Kloppenborg bestimmte Linie der Q-Forschung. Die kritische Auseinandersetzung wird eingeläutet durch zwei Beiträge der Herausgeber (C. A. Evans, "Authenticating the Words of Jesus", 3-14; B. D. Chilton, "Assessing Progress in the Third Quest", 15-26). Anders als Crossan meinen die Autoren nicht, dass man in der Frage nach dem irdischen Jesus die kanonischen Evangelien durch "bessere" Quellen aus (bzw. "hinter") außerkanonischen Werken ersetzen könne. Anders als Robinson und sein Kreis sind sie auch der Auffassung, dass man über die Logienquelle (oder gar ihre Re-daktionsgeschichte, Theologie oder Gemeinde) nur sehr unsichere Aussagen machen kann. Das methodische Problem zeigt Chilton an einem simplen Gedankenexperiment: Welches "Markusevangelium" ergäbe sich, wenn man dieses aus Mt, Lk und Q erschließen müsste? Da Lk nur einen Teil des Mk-Stoffes verarbeitet, würden bei einer solchen "Rekonstruktion" nur zwei Drittel unseres Mk als "Markusevangelium" erwiesen werden können (die Texte sind 7-9 aufgelistet), dabei würden das christologische Programm Mk 1,1 ebenso wie das Bekenntnis des Hauptmanns Mk 15,39 fehlen, und der tatsächliche Schluss des Werks in Mk 16,8 wäre nicht als solcher erkennbar. Daher wären viele Aussagen über die literarische Gestalt, redaktionelle Intention und die Christologie dieses Dokuments irreführend bzw. weit entfernt von dem, was wir auf der Basis des vorliegenden Textes über Mk wissen können! Diese methodische Einschränkung muss der Q-Forschung, deren Text trotz aller Rekonstruktionsversuche eben nicht vorliegt, stets präsent sein, andernfalls vermittelt sie ein falsches Gefühl der Sicherheit und bewegt sich nur allzu leicht auf Holzwegen.

Vier weitere Aufsätze gelten methodologischen Fragen: Eine Studie des verstorbenen B. F. Meyer ("How Jesus Charged Language with Meaning: A Study in Rhetoric", 81-96), dessen Andenken der Band gewidmet ist, beschreibt die Rhetorik der Jesuslogien im Blick auf die Phänomene "Phanopoeia" (Visualisierung), "Melopoeia" (Rhythmisierung) und "Logopo-eia" (semantische Anreicherung durch Anspielung an biblische Themenkomplexe). In einer sehr interessanten Studie erörtern S. E. Porter und M. B. O'Donnell "The Implications of Textual Variants for Authenticating the Words of Jesus" (97-133). Die Autoren bieten eine Statistik und Klassifikation der Textvarianten in Jesuslogien, untersuchen Varianten-Typen (Einfügung, Auslassung, Umstellung, morphologische oder syntaktische Änderung) in den verschiedenen Textzeugen und erörtern am Beispiel des Mk die Relation von textkritischen Entscheidungen und Authentizitätsfragen. T. HolmÈs ("Doubts about Double Dissimilarity: Restructuring the Main Criterion of Jesus-of-History Research", 47-80) problematisiert das Kriterium der doppelten Unableitbarkeit: Zum Erweis der "Echtheit" notwendig sei nur, dass ein Logion nicht vom frühen Christentum hergeleitet werden könne, die Differenz zum zeitgenössischen Judentum sei nicht zwingend. B. J. Malina ("Criteria for Assessing the Authentic Words of Jesus: Some Specifications", 27-46) problematisiert den Zirkel der Aufstellung, Anwendung und "Verifikation" von Authentizitätskriterien und versucht, im Sinne eines "social scientific approach" andere Kriterien zu finden: Als authentisch gelten kann, was direkt politisch (bzw. theokratisch) Sinn hat. Freilich steht und fällt eine solche Aussage mit dem (unbewiesenen!) Postulat, "that Jesus proclaimed a political religion, not a kinship religion". Diese Alternative ist problematisch, ihre Anwendung führt zu großen Einseitigkeiten.

Eine ähnliche Tendenz vertritt auch die erste der beiden dem Vaterunser gewidmeten Studien: D. E. Oakman ("The Lord's Prayer in Social Perspective", 137-186) will - anders als das "Jesus Seminar" - die Abba-Anrede und die Bitten 4-6 für authentisch halten, da Jesus damit elementare Bedürfnisse der galiläischen Landbevölkerung angesprochen habe. Doch drängt sich auch hier der Eindruck auf, dass die Ausscheidung der Bitten 1-3, die nach O. aus den Bitten 4-6 heraus entwickelt wurden, allzu sehr in der gewählten sozialgeschichtlichen Methode (und im Postulat einer Entwicklung von der materiellen "Basis" hin zum religiösen "Überbau") gründet. Dass die 1. Bitte aus dem Segen über dem Brot erwachsen sei, ist kaum plausibel, und dass die 2. Bitte erst nachgetragen sei, beruht auf dem allzu modernen Postulat eines uneschatologischen Jesus. Die andere Studie zum Vaterunser von N. Metzler ("The Lord's Prayer: Seond Thoughts on the First Petition", 187-202) schlägt eine alternative Gliederung vor: Die 1. Bitte sei eine parenthetische Erläuterung zur Anrede, so dass die basileia-Bitte tatsächlich die 1. Bitte sei.

Auch die restlichen Studien zu einzelnen Passagen stehen zumeist in Auseinandersetzung mit dem "Jesus Seminar".

So begründet Ch. L. Quarles ("The Authenticity of the Parable of the Warring King: A Response to the Jesus Seminar", 409-429) die Authentizität von Lk 14,31-32 und beleuchtet in erhellender Weise die philosophischen Prämissen der Arbeit des "Jesus Seminar" (423-429). D. C. Allison, Jr. ("Q 12:51-53 and Mark 9:11-13 and the Messianic Woes", 289-310) argumentiert für die Authentizität von Q 12,51-53 und schließt daraus, dass auch Mk 9,11-13 in der Substanz (nicht im Wortlaut) auf Jesus zurückgehe. B. Chilton, "(The) Son of (the) Man, and Jesus" (259-287), zeigt, dass man die Rede vom Menschensohn dem irdischen Jesus nur absprechen kann, wenn man apriorisch einen höheren Selbstanspruch Jesu ausschließen will. Freilich habe Jesus in unterschiedlichen Graden von Identifikation von sich selbst als dem Menschensohn und vom Menschensohn als einer von ihm selbst unterschiedenen Gestalt gesprochen, und erst nach Ostern seien beide Sprechweisen miteinander verschmolzen. H. C. Kee ("Jesus: A Glutton and Drunkard", 311-332) erhebt den historischen Ort von Q 7,18-35 und zeigt, dass die von Robinson und Kloppenborg vertretene Unterscheidung einer frühen weisheitlichen und einer später hinzutretenden apokalyptischen Schicht in Q "purely arbitrary and artificial" (328) ist. W. Klassen begründet "The Authenticity of the Command: 'Love Your Enemies'" (385-407) - die freilich auch vom "Jesus Seminar" für wahrscheinlich gehalten wird. S. McKnight ("Public Declaration and Final Judgment? Matthew 10:26-27 = Luke 12:2-3 as a Case of Creative Redaction", 363-383) interpretiert Q 12,2-3 und weist dessen sekundäre Vergegenwärtigung in Mt 10,26-27 auf. J. I. H. McDonald ("Questioning and Discernment in Gospel Discourse: Communicative Strategy in Matthew 11:2-9", 333-361) erörtert die Funktion der Frage-Struktur am Beispiel von Mt 11,2-9. E. J. Schnabel ("The Silence of Jesus: The Galilean Rabbi Who was More than a Prophet", 203-257) will auf der Basis eines (etwas langatmigen) Nachweises, dass Jesus sonst in den Evangelien alle Fragen beantwortet - was aber ein literarisches, nicht zwingend ein historisches Phänomen ist - das Schweigen Jesu im Prozess als Ausdruck seines messianischen Selbstbewusstseins interpretieren. In der einzigen Studie, die den Rahmen der Evangelien überschreitet, behandeln W. H. Wachob und L. T. Johnson "The Sayings of Jesus in the Lettter of James" (431-450).

Der sorgfältig redigierte und mit guten Stellen- und Autorenregistern (451-480) erschlossene Band vereint verschiedenartige - und unterschiedlich überzeugende - Aufsätze mit einer weithin gemeinsamen argumentativen Stoßrichtung. Der Band (und das ganze Projekt der Herausgeber) zeigt, dass die Frage nach authentischem Jesusgut trotz aller methodologischen Probleme unausweichlich gegeben ist und dass die Welle des "Third Quest" wie auch die Diskussion um die Kriterien der Authentizität nach wie vor im Gang ist.4 Die vom amerikanischen "Jesus Seminar" ausgelösten Diskussionen verdienen es, auch in der europäischen Forschung wahr- und (kritisch!) aufgenommen zu werden.

Fussnoten:

1) B. Chilton/C. A. Evans [Eds.]: Studying the Historical Jesus: Evaluations of the State of Current Research, NTTS 19, Leiden: Brill 1994. Vgl. zuvor die Bibliographie von C. A. Evans, Life of Jesus Research. An Annotated Bibliography. Leiden: Brill 1989 (rev. ed. 1996).

2) B. Chilton/C. A. Evans, Jesus in Context: Temple, Purity, and Restoration, AGJU 39. Leiden: Brill 1997.

3) R. W. Funk/R. W. Hoover [Eds.]: The Five Gospels: The Search for the Authentic Words of Jesus. Sonoma: Polebridge Press; New York: Macmillan 1993; R. W. Funk [Ed.]: The Acts of Jesus: What Did Jesus Really Do? The Search for the Authentic Deeds of Jesus, San Francisco: Harper Collins 1998.

4) S. dazu aus der deutschsprachigen Forschung G. Theissen/D. Winter: Die Kriterienfrage in der Jesusforschung, NTOA 34. Freiburg Schweiz: Universitätsverlag; Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1997, sowie jetzt A. Scriba, Echtheitskriterien der Jesus-Forschung. Kritische Revision und konstruktiver Neuansatz, BWANT Stuttgart: Kohlhammer 2000.