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Ausgabe:

März/2001

Spalte:

273–276

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Lalleman-de Winkel, H.

Titel/Untertitel:

Jeremiah in Prophetic Tradition. An Examination of the Book of Jeremiah in the Light of Israel's Prophetic Traditions.

Verlag:

Leuven: Peeters 2000. 279 S. gr.8 = Contribution to Biblical Exegesis and Theology, 26. ISBN 90-429-0865-3.

Rezensent:

Werner H. Schmidt

"Die Propheten, die vor mir ... gewesen sind von alters her, haben über viele Länder ... geweissagt von Krieg, Unheil ..." Das Zitat, ob im Wortlaut von Jeremia (28,8) oder nicht, gibt in jedem Fall die Sachlage angemessen wieder: Jeremia setzt bereits die sog. Schriftprophetie des 8. Jh.s v. Chr. voraus; Nachwirkungen von Amos, Hosea, auch Micha und Jesaja sind spürbar. Jeremia steht in einer Geschichte der Prophetie und nimmt - abgewandelt - Einsichten wie Motive seiner Vorgänger auf, muss selbst ähnliche Erfahrungen in verschärfter Form machen und ist nur in diesem Zusammenhang zu verstehen.

Solche Rückbezüge lassen sich nicht erst in jüngeren, sondern schon in älteren Schichten des Buches finden, sind insofern ein Stück weit unabhängig von der leidigen, höchst unterschiedlich beantworteten Frage nach der "Echtheit", d. h. dem auf Jeremia selbst zurückgehenden Wortbestand. So greift die Arbeit "Jeremiah in Prophetic Tradition" ein interessantes wie in der heutigen Forschungssituation wichtiges Thema auf.

1. Am Jeremiabuch wurden überhaupt erst (K. Groß um 1930) Zusammenhänge mit anderen Prophetenüberlieferungen bzw. -büchern, zumal mit dem Hoseabuch, entdeckt.

Das einleitende Referat der Forschungsgeschichte (Kap. 1) gilt dem Jeremiabuch insgesamt. Die vielgestaltige Beziehung der Schriftpropheten zu ihren Vorgängern bildet bereits ein eigenes Arbeitsfeld und hätte mittlerweile eine besondere Forschungsgeschichte verdient, wenn man schon an das Verhältnis Amos - Jesaja denkt oder gar die Aufnahme prophetischer, zumal jeremianischer Traditionen bei Ezechiel, Deuterojesaja und Sacharja einbezieht. Das Verhältnis von Hosea1, Amos2, Micha3 und auch Jesaja4 zu Jeremia ist schon Gegenstand von Untersuchungen geworden.

2. In der gegenwärtigen Lage der Forschung mit tiefen Zweifeln an der "Echtheit" und mit der Spätdatierung wesentlicher Teile der Überlieferung ist die Beobachtung solcher Querverbindungen zu anderen Schriftpropheten hilfreich. So kann man Traditionen nicht für sich, sondern nur in diesem Zusammenhang betrachten und bewerten; ein Urteil in einem Bereich zieht Folgerungen für einen anderen nach sich.

Diese Querverweise sind zudem insofern für die Diskussion der "Echtheit" wichtig, als man zugespitzt die Frage stellen kann: Lässt sich das beobachtete Verhältnis auch umkehren: Sind eventuell die mit den Namen Amos, Hosea oder Jesaja verbundenen Traditionen von Jeremia - seinen Einsichten in späterer Zeit - abhängig? Oder sind die erkennbaren Abwandlungen nur in einer Richtung erklärbar, ist das Gefälle also unumkehrbar?

3. Diese Abwandlungen der Überlieferung sind noch in anderer Hinsicht bedeutsam: Die Wahrnehmung der Querverbindungen lässt eben nicht nur die Gemeinsamkeiten, sondern auch die Individualität des Propheten erkennen. Die vorliegende Arbeit sucht statt einer Nach- eine Vorgeschichte, nicht eine Wirkungs- oder Rezeptionsgeschichte, sondern: die "geistige Heimat" (H. W. Wolff) des Propheten Jeremia: "traces of an intellectual and spiritual heritage" (15), the prophet "in his theological context".5

4. Die Redaktion "aktualisiert" (24.28), vergegenwärtigt so mit dem Bewahren zugleich die prophetische Überlieferung. Darum sind prinzipiell Einflüsse a) auf den Propheten selbst bzw. seine Botschaft und b) später auf die Komposition oder Redaktion dieser Überlieferung, letztlich die Bücher, zu unterscheiden.6

Diese Unterscheidung Prophet - Redaktion ist in gleicher Weise bei den Vorgängern wie bei Jeremia selbst wichtig. Allerdings ist diese - grundsätzliche - Unterscheidung zwischen Jeremia und dem Jeremiabuch nicht leicht durchzuführen. Beide Fragerichtungen: nach der Vorgeschichte, der vorgegebenen Überlieferung und der prophetischen Zuspitzung in der Situation, einerseits und nach der Nachgeschichte bzw. Überarbeitung andererseits, haben ihr Recht.7

Dabei muss - wie im Pentateuch so auch in den Prophetenbüchern - die Angabe "deuteronomistisch" (bzw. hier jer.-dtr.) stilistisch ausgewiesen sein. Die Ausdrucksweise bietet, wenn es sich nicht um Einzelwörter, sondern um charakteristische Wortverbindungen handelt, am ehesten ein nachprüfbares, eindeutiges Argument und verdient insofern den Vorrang (bei der Identifikation bzw. der Näherbestimmung redaktioneller Zusätze). Die sprachlich ausgrenzbare Schicht lässt zugleich Eigenarten in der Intention erkennen, ist also mit theologischen Themen verbunden.8

Die Themen Buße und Hoffnung (Kap. 3) sowie der Bund (Kap. 4) bilden die beiden Hauptmotive bei der Suche nach prophetischen Traditionen im Jeremiabuch.9 "The theme of return, hope, and repentance is clearly present in the Book of Hosea" (113). Bei vorsichtiger Unterscheidung zwischen prophetischer Überlieferung und redaktionellen Ergänzungen10 gilt wohl: Hosea kündet Heil - nicht als Bewahrung vor, aber - in oder nach dem Gericht an.11 Jeremia nimmt diese Einsicht auf - ausdrücklich im Blick auf das Nordreich (3,12 f.; 31,3.20), der Sache nach auf das Südreich (24,5; 29,5-7; 32,15).

"Despite the abscence of the word berit, Amos is familiar with the substance ... "12 Hier wäre die Unterscheidung zwischen der schon früh13 bezeugten Verbundenheit Gott - Volk und dem Begriff berit "Bund" als eine besondere Ausprägung dieser Gemeinschaft hilfreich. Die Erwähnungen des "Bundes" im Jeremiabuch gehören kaum in die älteste Schicht bzw. Überlieferung; auch die Verheißung von "neuen Bund" stammt kaum von Jeremia, setzt aber - in Kritik wie Erwartung - zutiefst prophetische Einsichten voraus und gestaltet sie aus.14

Gewiss sind die Möglichkeiten der sog. "Echtheit" abzuwägen; begreift man aber durchweg für Zusatz gehaltene Texte (wie Am 9,11 ff.) in die prophetische Botschaft ein, dann bleibt unsicher, ob Jeremia diese Tradition überhaupt gekannt haben kann. Die gewachsene, im Buch erhaltene Überlieferung führt die Autorin so weit auf den Propheten selbst zurück, dass sie etwa Zusammenhänge zwischen Amos und Jeremia im Davidbund aufzeigt.15 - In der Regel wird der Kreis des "Authentischen" enger gezogen, die Frage nach der sog. "Echtheit" - zumal im Blick auf die Heilserwartung - zurückhaltender beantwortet.16

Umfasst prophetischer Schuldaufweis in der Anklage auch ein Heilsangebot? Vermag Exegese überhaupt eine im Wortlaut nicht ausdrücklich enthaltene Aussage-Absicht - nachprüfbar, verlässlich - zu erkennen? Wieweit trägt man eine nicht ausgesprochene Intention in den Text ein?17

In der Botschaft aller drei Propheten findet die Autorin vier Schritte (236): Möglichkeit zur Reue bzw. Buße - Ablehnung - unabänderlicher Gerichtsbeschluss - Hoffnung auf Neubeginn. Schon Amos' dritte Vision (7,8) deutet aber die Gewissheit an, enthält - noch vor dem eingefügten Bericht über die Reaktion auf die Botschaft18 - Gottes Urteil: "Ich gehe nicht mehr (schonend) vorüber". Besteht entsprechend Jeremias Besonderheit gegenüber den sog. Heilspropheten, mit denen er sich auseinandersetzen muss, nicht von vornherein, wie die Vision (1,13 f.) nahelegt, in seiner erheblich schärferen, tieferen Einsicht?

Fussnoten:

1) K. Groß, Die literarische Verwandtschaft Jeremias mit Hosea: Diss. Berlin (1930); ders., Hoseas Einfluß auf Jeremias Anschauungen: NKZ 42 (1931) 241-256.327-343; A. Deissler, Das "Echo" der Hosea-Verkündigung im Jeremiabuch: Künder des Wortes. FS J. Schreiner (1982) 61-75; N. Kilpp, Niederreißen und aufbauen: BThSt 13 (1990); J. Jeremias, Hoseas Einfluß auf das Jeremiabuch: Hosea und Amos. FAT 13 (1996) 122-141; M. Schulz-Rauch, Hosea und Jeremia: CTM A 16 (1996).

2) J. M. Berridge, Jeremia und die Prophetie des Amos: ThZ 35 (1979) 321-341; W. Beyerlin, Reflexe der Amosvisionen im Jeremiabuch: OBO 93 (1989; dazu W. Thiel, ThLZ 116, 1991, 176-178); J. Pschibille, Hat der Löwe erneut gebrüllt? Sprachliche, formale und inhaltliche Gemeinsamkeiten in Jeremias und Amos' Verkündigung: BThSt (2001).

3) H. W. Wolff, Wie verstand Micha von Moreschet sein prophetisches Amt? Studien zur Prophetie. TB 76 (1987) 79-92; J. M. Vincent, Michas Gerichtswort gegen Zion (3,12) in seinem Kontext: ZThK 83 (1986) 167-187; Jun-Hee Cha, Micha und Jeremia: BBB 107 (1996).

4) U. Wendel, Jesaja und Jeremia: BThSt 25 (1995).

5) "Their words were relevant first of all in their own times." (15 f.)

6) "Jeremiah knew the contents of these pre-exilic prophetic in a written form." (240) Bleibt nicht unsicher, wie sich die Einflüsse der sog. Schriftpropheten aufeinander vollzogen? Die Aufnahme im prophetischen Wort selbst beruht am ehesten auf mündlicher Überlieferung (vielleicht auch durch Schüler vermittelt; vgl. Jes 8,17); sie könnte Gemeinsamkeiten und Eigenarten verständlich machen. Der Zusammenhang innerhalb prophetischer Bücher lässt sich schriftlich - redaktionsgeschichtlich - erklären. Nach Jer 26,17 f. scheint Mi 3,12 aus der Erinnerung zitiert zu werden.

7) Die eingangs gestellte Frage nach dem Jeremiabuch als "a Deuteronomistic product" oder "the work of the prophet himself" (9) formuliert methodisch wie sachlich keine "Alternative" (vgl. 47 f.82.235).

8) Die redaktionsgeschichtliche Erklärungsweise von W. Thiel (nach dem Referat mit dem Urteil S. 26: "he does not give a clear criterion") scheint mir - bisher in der Forschung - die höchste Präzision und den meisten Informationsgehalt zu haben; so kann es sich m. E. nicht um eine Einschränkung oder Aufhebung seines analytischen Ansatzes, sondern nur um eine behutsame Weiterführung handeln. Sie kann in eine Richtung gehen, die mit drei - nicht leicht zu beantwortenden - Fragen angedeutet sei: 1.Tritt diese jeremianisch-deuteronomistische Schicht, die in der Regel als literarisch abgrenzbare Redaktion erscheint, nicht gelegentlich eher als Traditionsschicht auf, die im Wortlaut nicht exakt bestimmbare, nur mündlich erhaltene Überlieferung Jeremias (wie in Kap. 7) aufnimmt? 2. Ist die jer.-dtr. Schicht, die in der Ausdrucksweise zusammenhängt, sprachlich eher einheitlich wirkt, sachlich aber ein Themenspektrum vom Schuldaufweis bis zur Heilsverheißung umgreift, zugleich literarisch einheitlich oder in sich gestaffelt, d. h. eher das Ergebnis einer bearbeitenden Schule? 3. Das Deuteronomium selbst bildet keine Einheit; eine Überarbeitungsschicht (im Prophetengesetz Dtn 18,16 ff.) könnte bereits eine Reaktion auf Jeremia darstellen (vgl. 18,20 mit Jer 28,17 u. a.). So nahm das Deuteronomium prophetische Traditionen auf (vgl. 55 ff.; K. Zobel, Prophetie und Deuteronomium: BZAW 199, 1992) und scheint wieder auf sie zu reagieren.

9) "In my search for traces of a prophetic tradition in Jeremiah, I paid attention to the issues of repentance/hope/return and covenant." (209) Dabei geht die Vfn. auch den Nuancen des Verbs "zurückkehren" nach (132 ff.).

10) Vgl. außer den Kommentaren (bes. J. Jeremias, ATD 24/1, 1983): Th. Naumann, Hoseas Erben. Strukturen der Nachinterpretation im Buch Hosea: BWANT 131 (1991).

11) Hos 2,16 f. (bzw. 2,14 f.); 11,8 f. im Kontext von 11,5 f.; vgl. als Ausgestaltung 14,5. Dagegen ist 3,5 wohl Nachtrag. Insofern widerspricht Hosea Amos' harter Kritik nicht, sondern geht über sie hinaus.

12) 187; vgl. 214.236 f. u. a.

13) Vgl. als im Alten Testament selbst bewahrtes, ähnliches Zeugnis für die Bindung einer Gruppe an einen Gott Num 21,29: "Volk des Kamosch".

14) Vgl. zuletzt W. Groß, Zukunft für Israel: SBS 176 (1998); auch den Interpretationsversuch in: Ernten, was man sät. FS K. Koch (1991) 161-181, bes. 173 ff. Ob Jer 14 f. (wie 3,21 ff.) Nachklang eines exilisch-nachexilischen Bußgottesdienstes ist?

15) "From Amos 9:11 it is clear that Amos had expectations of the continuity of the house of David" (188; vgl. 123 f.131). Jeremiah "continues Amos' hope of a Davidic king in future times of salvation" (208; vgl. 237).

16) So stellt sich von der Sicht des Prophetenbuchs her auch ein anderes Verständnis des Propheten ein: Im Buch Hosea, Amos und Jeremia "there was a time when judgement was announced and repentance demanded in terms of the (Sinaitic) covenant ... In all three books there will be a time of new relationship." (208)

17) Vgl. die (120) referierten Ansätze von M. Buber und H. W. Wolff (dazu 122 f.). Muss der Prophet nicht mit dem "Kern" seiner Verkündigung übereinstimmen, damit ihm nicht von zeitgenössischen Hörern innerer Widerspruch vorgeworfen werden kann? Zum Thema vgl. den Versuch: Einsicht als Ziel prophetischer Verkündigung: F. Diedrich-B. Willmes (Hrsg.), Ich bewirke das Heil und erschaffe das Unheil (Jesaja 45,7). FS L. Ruppert. FzB 88 (1998) 371-396.

18) "This place of the story of Amos and Amazjah thus clarifies the irreversibility of the coming judgement." (216 zu Am 7,10-17)