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Ausgabe:

März/2001

Spalte:

270–272

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Kepper, Martina

Titel/Untertitel:

Hellenistische Bildung im Buch der Weisheit. Studien zur Sprachgestalt und Theologie der Sapientia Salomonis.

Verlag:

Berlin-New York: de Gruyter 1999. X, 233 S. gr.8 = Beihefte zur Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft, 280. Lw. DM 158,-. ISBN 3-11-016406-X.

Rezensent:

Christian Wagner

Mit der von Martina Kepper verfassten Monographie über die hellenistische Bildung im Buch der Weisheit erscheint eine weitere von Otto Kaiser betreute Dissertation zur frühjüdischen Literatur des griechischen Alten Testaments.

Nach wie vor ist jener Forschungszweig ein Stiefkind protestantischer Bibelwissenschaft, wenngleich sich in letzter Zeit eine vielversprechende Trendwende abzuzeichnen scheint. So forderte der Marburger Alttestamentler bereits Anfang der 90er Jahre ein Umdenken in der Bewertung der ,Apokryphen': "Es ist an der Zeit, daß auch in der Evangelischen Theologie das Fehlurteil über diese Schriften als den anderen biblischen Büchern nicht gleichwertig revidiert" wird (so im ,Grundriß der Einleitung'). Jüngst hat nun auch der Göttinger Neutestamentler H. Hübner eine Lanze für jene atl. Bücher jenseits des ,Tenach' gebrochen: "M. E. ist die Exklusivität der veritas Hebraica als Authentizitätskriterium nicht haltbar. Und eine Reihe evangelischer Autoren setzt sich inzwischen auch über dieses weder theologisch noch historisch verifizierbare Urteil hinweg" (Weisheit 1999, 14 f.). Die Signalwirkung einer solchen Trendwende für die ökumenische Bibelarbeit und -wissenschaft ist nicht hoch genug zu veranschlagen.

M. Kepper stellt sich die Aufgabe, "am Beispiel des Weisheitsbuches exemplarisch die Auseinandersetzung einer jüdischen Schrift mit dem ,Hellenismus' nachzuzeichnen" (4). Dabei standen drei Themenkomplexe im Vordergrund (36): 1. Bildung(sprofil) des Autors (formaler Aspekt). 2. "Geistesgeschichtliche Einflüsse", wie sie sich in der Schrift zeigen, und deren spezifische Adaption (inhaltlicher Aspekt). 3. Zeitlich-territoriale Verortung von Weish auf Grund der unter 1. und 2. neu gewonnenen Erkenntnisse (historischer Aspekt).

In einem materialreichen Einführungskapitel (1-38) legt die Vfn. die für ihre Studie unentbehrlichen einleitungswissenschaftlichen Eckpunkte bezüglich Gattungsfrage (4-12), Literarkritik (13-25) sowie Datierung der Weisheitsschrift (25-35) in kritischer Distanz zur beackerten Sekundärliteratur neu fest. - Um Autor und Werk auf ihre formale "Verwurzelung in der griechisch-hellenistischen paideia zu befragen" (37), wendet sich die Vfn. sodann in einem ersten Hauptteil (2. Kapitel) der Analyse von "Sprache und Stil der Sapientia" (39-97) zu. Die Vfn. erhofft sich dadurch Indizien, die "im Zusammenspiel mit anderen Beobachtungen Schlüsse auf die Eigenart der Schrift und die Bildung ihres Verfassers gestatten" (40).

In einem ersten Unterabschnitt werden vier signifikante Begriffe (misoxenia, thre-skeia, diagno-sis, krate-sis), die in der bisherigen Forschung als ,Reflexe auf historische Ereignisse' gelten, einer ausgreifenden wortstatistischen Überprüfung unterzogen sowie auf ihre Datierungsrelevanz hin methodisch reflektiert. Anknüpfend an die lexikographischen Untersuchungen von J. M. Reese und C. Larcher wendet sich die Vfn. sodann in einem zweiten Unterpunkt der bisher in der atl. wie ntl. Exegese weithin vernachlässigten1 Kategorie der ,Hapaxlegomena' zu, also jener Vokabeln, die innerhalb der Septuaginta oder gar der Gesamtgräzität nur in Weish belegt sind, "da dieser Teil des Wortschatzes des Weisheitsbuches besonders geeignet erscheint, das spezielle sprachliche und gedankliche Profil der Sapientia im Umfeld der jüdisch-hellenistischen Literatur der zwischentestamentlichen Zeit zu erheben" (51). K. beschränkt ihre Analyse der Hapaxlegomena in Weish auf ihr weiteres wortstatistisches Vorkommen in der sog. pseudepigraphischen Literatur (58-63), in den Werken Philos (63-65) und in den griechisch-hellenistischen Profantexten (66-71). Unter grammatikalischem Gesichtspunkt gesondert betrachtet werden die in Weish belegten Hapaxlegomena totius graecitatis (71-73). In einem dritten Unterpunkt wird Weish auf semitisch-biblische (z. B. Hebraismen, Schriftzitate) sowie griechisch-hellenistische (Rhetorik, Asianismus/Attizismus) Stilmerkmale hin befragt (74-97). Danach ist der hinter Weish stehende Gelehrte ein "in der Auslegung der Bibel kundiger Mensch ..., auf den der alttestamentliche Begriff des sofer anzuwenden ist" (78).

Nach den formal-sprachlichen Analysen gilt dem Untertitel der Arbeit entsprechend das Interesse der Vfn. im dritten und vierten Kapitel (2. und 3. Hauptteil) jenen inhaltlich-thematischen Charakteristika, die sich in besonderer Weise zur ideen- und motivgeschichtlichen Standortbestimmung von Weish eignen: Anthropologie und Theologie. Im dritten Kapitel (98-146 "Gegen eine reduktionistische Anthropologie") wendet sich K. in einer akribisch betriebenen Einzelauslegung der ersten Frevlerrede (Weish 2,1-20) zu. Allerdings bleiben dem Leser stichhaltige Gründe für die Beschränkung auf diese Perikope vorenthalten. Umso weniger überrascht daher das unspezifische Ergebnis, wonach in Weish 2,1-20 Begriffe und Motive verwendet sind, "die sowohl in der alttestamentlichen als auch in der griechisch-hellenistischen Literatur zu finden sind" (200).

Auf Grund der im vierten Kapitel vorgenommenen Interpretation von Weish 13,1-9, die zu einer Charakterisierung des Autors bezüglich der Gotteserkenntnis führen soll, glaubt die Vfn. annehmen zu können, dass der Autor von Weish auf Grund seiner Kenntnis der Analogie-Schlussfolgerung, der in der Stoa entwickelten Gottesbeweise und der aristotelischen Erkennbarkeit der Dinge an ihrer dynamis bzw. energeia "mit dem philosophischen Propädeutikum seiner Zeit vertraut gewesen ist" (200). In einem separaten Schlusskapitel (196-204 "V. Zusammenfassung") sind die neu gewonnenen Erkenntnisse der Studie nochmals thesenartig und prägnant zusammengefasst. Auf ein zu kurz gefasstes Abkürzungsverzeichnis folgt ein von S. 207-233 reichendes ausführliches Literaturverzeichnis.

Nach grober Skizzierung von Aufbau, Inhalt und einzelnen Detailergebnissen der Studie K.s sei es gestattet, in gebotener Kürze und zugegebenermaßen selektiv zu markanten Gesichtspunkten kritisch Stellung zu beziehen, freilich ohne dabei die an sich solide und insgesamt überzeugende Arbeit K.s grundsätzlich in Frage stellen zu wollen:

Mit besonderem Nachdruck zu monieren ist das Fehlen von Registern, das ein gezieltes und effizientes Recherchieren und Rezipieren nicht unwesentlich erschwert. Formalen Unregelmäßigkeiten begegnet man ferner auf den Seiten 41-73; dort ist der laufende rechte Kolumnentitel den Unterpunkten falsch zugeordnet: "Sprachgebrauch als Reflex auf historische Ereignisse" (53-73) ist korrekterweise den Seiten 41-49 zuzuordnen, während der Kolumnentitel auf den Seiten 41-49 ("Die Hapaxlegomena in der Sapientia") sich auf die Seiten 53-73 zu beziehen hat. Im Rahmen des Aufweises literarischer Abhängigkeit zwischen Weish 16,13b und Tob 13,2 (82) blieb ferner die sicher ältere Parallele in 1Sam 2,6, von der aus hätte argumentiert werden müssen, außer Acht. Obwohl die Vfn. zu Recht an dem definitorisch unklaren und zudem oftmals (ab)wertenden Begriff ,(hellenistischer) Einfluss' Kritik übt und dafür den weniger vorbelasteten Terminus ,Bildung' favorisiert (5.204), hält die Vfn. dennoch nicht durchgängig daran fest (36 f.199). Ein besonderes Augenmerk richtete der Rez. auf die von der Vfn. selbst erstellte Übersetzung der in Kapitel III und IV ausgelegten Perikopen (Weish 2,1-20; 13,1-9), zählt doch Weish auf Grund ihres singulären, nuancenreichen und eigenwilligen Vokabulars zu den schwierigsten Texten der griechischen Bibel. Dabei ergaben sich im Einzelnen folgende Kritikpunkte: S. 104: Das Verbalabstraktum iasis (2,1c Vfn. "Medizin"; EÜ ebenfalls inadäquat: Arznei [= farmakon]) ist wohl zutreffender mit ,Heilung' zu übersetzen, zumal ja im darauffolgenden Stichos vom ho analysas ex hadou die Rede ist. Zu hinterfragen bleibt ferner, ob es sich bei den ichne- nefele-s (2,4c wörtlich: ,Spuren von einer Wolke') tatsächlich um den "Schatten einer Wolke" (so die Vfn.) handelt. Bei anapodismos te-s teleute-s he-mo-n (2,5b wörtlich: Rückkehr von unserem Tod; EÜ: unser Ende wiederholt sich) denkt die Vfn. an eine "Rückkehr an [!] unserem Ende". S. 126: In 2,6a bleibt bei to-n onto-n agatho-n das markante onto-n unübersetzt, obgleich die Vfn. auf S. 128 die Sinnnuance von onto-n hervorhebt. S. 133: In Weish 2,19a meint die Vfn. hybris mit "Gewalt" übersetzen zu sollen. S. 150: mataioi (13,1) ist hier wohl nicht unbedingt mental im Sinne von "töricht" (so die Vfn.) zu verstehen, sondern vielmehr in Verbindung mit dem im Hyperbaton stehenden fysei (wörtlich: ,ihrem Wesen nach'; Vfn.: "von Geburt an") existentiell: nichtig (zu mataios in der Bedeutung ,nichtig' vgl. Weish 15,8 theo-n mataio-n (der [vom Menschen geformte] Götze, Scheingott). S. 170 f.: Das in 13,3.5 vorkommende genesiarche-s wird inkonsequent und unzutreffend einmal mit "Uranfang" und einmal mit "Urheber" wiedergegeben. S. 188: Die unkorrekte Wiedergabe von hÛmo-s (13,6a ,dennoch') mit "gleichsam" (so die Vfn.) beruht auf einer lexikographischen Verwechslung mit homo-s.

Trotz der Ausstellungen bleibt festzuhalten: Die mit großer formaler und wissenschaftlicher Sorgfalt erstellte und in der Diktion klar und flüssig geschriebene Untersuchung von K. besticht durch philologische Kompetenz und argumentative Akribie. Die Vielzahl der neu gewonnenen Detailerkenntnisse K.s zum Bildungsprofil in Weish wird die kanondogmatisch unvoreingenommene Erforschung jenes frühjüdischen Buches jenseits des ,Tenach' entscheidend vorantreiben.

Fussnoten:

1) Angesichts der auf S. 52 Anm. 41 von der Vfn. konstatierten monographischen Forschungslücke von Wortschatzrecherchen zu anderen deuterokanonischen Büchern sei es dem Rez. gestattet, auf dessen zeitgleich entstandene Studie zu den Septuaginta-Hapaxlegomena im Buch Jesus Sirach (BZAW 282) hinzuweisen.