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Ausgabe:

März/2001

Spalte:

268–270

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Baumann, Gerlinde

Titel/Untertitel:

Liebe und Gewalt. Die Ehe als Metapher für das Verhältnis JHWH - Israel in den Prophetenbüchern.

Verlag:

Stuttgart: Katholisches Bibelwerk 2000. 261 S. gr.8 = Stuttgarter Bibelstudien, 185. Kart. DM 49,80. ISBN 3-460-04851-4.

Rezensent:

Ruben Zimmermann

Die Erforschung geschlechtsspezifischer Sprach- und Normbildungen in biblischen Schriften zählt zu den vorrangigen Aufgabenfeldern der feministischen Exegese. So sind im letzten Jahrzehnt auch zur Rolle der Frau in der religiösen Rede der Prophetenbücher eine ganze Reihe von Arbeiten entstanden. Während sich die meisten Untersuchungen auf einzelne Bücher und Traditionsgruppen (insbesondere Hos 1-3; Ez; Jer) beschränken, liegt das Verdienst der vorliegenden Arbeit darin, die prophetische Geschlechtermetaphorik im Überblick darzustellen und vor allem auch bislang wenig beachtete Texte zu analysieren.

Ausgehend vom "Bild Gottes als Vergewaltiger" (Nah 3,4-7; 9) untersucht die Vfn. Sexualmetaphern in der gesamten prophetischen Überlieferung, wobei sie die Frage der Gewalt gegen Frauen in einer - wie sie selbst betont (14) - feministisch-hermeneutischen Perspektive in den Mittelpunkt rückt. Nach einem instruktiven Forschungsüberblick (17-32) und einer knappen Darlegung der methodischen Zugangsweise (38-48) möchte die Autorin zunächst einige Hintergründe und Grundfragen zur prophetischen Ehemetaphorik erörtern: Sie steckt das Wortfeld der prophetischen Ehemetaphorik ab, indem sie Semantik und Vorkommen ausgewählter Lexeme (swl, glh, zuh, 52 ff.) untersucht. Ferner erläutert sie den Zusammenhang von Bundestheologie und Ehemetapher (66-75), beleuchtet die religionsgeschichtlichten Parallelen zur Metapher der "Stadt als Frau" und gibt Einblicke in den sozialgeschichtlichen Hintergrund zur Praxis der Frauenbestrafung im Alten Orient. Im Hauptteil (II: 91-228) folgen detaillierte Textanalysen zur Ehemetaphorik in den einzelnen Prophetenbüchern (Hos: 91-110; Jer: 111-141, Ez: 142-174, Jes: 183-211; Zwölfprophetenbuch: 212-228), die jeweils dem gleichen methodischen Raster folgen: Nach einem Überblick der Ehemetaphorik im ganzen Prophetenbuch mit eigenen Übersetzungen der zentralen Texte (a) analysiert die Vfn. einzelne ehemetaphorische Termini (b), wobei die sexuelle Gewaltmetaphorik eigens gewichtet wird (c). Die Analysen münden in eine "feministisch-theologische Interpretation" (d). Besonders innovativ sind innerhalb der Textanalysen die Ausführungen zu Jes und dem Zwölfprophetenbuch, über die bisher kaum Untersuchungen vorlagen. Eine Zusammenfassung, eine hermeneutische Schlussreflexion und ein Literaturverzeichnis runden die Untersuchung ab.

Als Ergebnis muss die Autorin festhalten, dass die "Gewalttätigkeit JHWHs gegen seine ,Ehefrau' in einer Weise geschildert (wird), die - im Rahmen alttestamentlicher und altorientalischer Sprache und Bildwelt - als sexuelle Gewalt verstanden werden muss" (233). Bei der Auslegung der prophetischen Ehemetaphorik auf einem heutigen Deutungshintergrund entstehen somit gravierende Probleme im Blick auf die Darstellung von Frauen und Männern und im Blick auf das Gottesbild. Wird Gott im Bild eines Vergewaltigers beschrieben, drängt sich die hermeneutische Frage auf, "wie ... mit einem solchen biblischen Gottesbild umzugehen (ist), wenn die Bibel auch heute noch relevant und in positiver Weise wegweisend sein soll" (237). Um nicht diese Teile der Bibel gänzlich ignorieren, tilgen oder "dekonstruieren" zu müssen, - wie radikale feministische Autorinnen aus den USA es fordern (M. Daly; A. Brenner; M. Shields) - schlägt die Vfn. die "Notwendigkeit kritischen Lesens" (235) der Prophetentexte und die Suche nach positiven "Gegenbildern" (238) vor.

Doch hier stellen sich auch Rückfragen an die hermeneutische Perspektive. Der aus der Arbeit an Nahum und deshalb am Bild Gottes als Vergewaltiger (Nah 3,4-7) gewählte Blickwinkel hat die Geschlechtermetaphorik der Propheten von vornherein auf den Gewaltaspekt verengt und scheint für die textimmanenten "Gegenbilder" keinen Raum zu lassen. Ob diese Einseitigkeit wirklich in den Texten vorgegeben ist, scheint mir zweifelhaft. Als Leser und - ich denke auch als Leserin - hätte man sich gewünscht, auch etwas über die "Liebe" zu erfahren, die - wie der Buchtitel suggeriert - das Gegengewicht zur (sexuellen) "Gewalt" sein könnte. Bereits seit den ältesten literarischen Belegen der Geschlechtermetaphorik sind "Hure und Braut" ein festes Begriffspaar. So werden die Hurenmetaphern in Hos 2,5-15 durch eine Heiratsformel (Hos 2,4) und eine verheißene Verlobung (Hos 2,16 f.21 f.) gerahmt. Diese "ewige Hochzeit" wird nicht nur in werbender Liebessemantik ausgekleidet (z. B. zu Herzen reden, V. 16b), sondern die Frau wird- nun gar nicht mehr passiv - ihrem Gatten "mein Mann" (statt mein Eheherr, Hos 2,18) zurufen (V. 18) und in bewusst doppeldeutiger Semantik JHWH erkennen bzw. sich mit ihm vereinigen (jd').

Dass innerhalb "der prophetischen Ehemetaphorik ... von einer Verlobung nur bei Hosea erzählt" (99) wird, ist kaum zutreffend, denn von einer Brautzeit ist nicht nur bei Jer (2,2 f.; 33,11 u. a.) und bei Ez (16,8 f.60 f.) die Rede, bei Dtjes und Trjes sind Braut und Bräutigam die bevorzugten Bildspender der Metaphorik (Jes 49,18; 61,10; 62,4 f.). Selbst die Formulierung "die Blöße bzw. den Gewandsaum aufdecken" (glh 'rwh), die - wie die Vfn. nachweist - eine euphemistische Redewendung für sexuellen Missbrauch darstellt (56ff.), wird in dem insgesamt sicher problematischen Text Ez 16 nicht nur misogyn verwendet (Ez 16,36 f.), sondern in einem Wortspiel offenbar bewusst ins Gegenteil gekehrt: Der Vorübergehende bedeckt die Scham der jungen Frau (ksh 'rwh, Ez 16,8), um sie gerade vor sexueller Ausbeutung zu schützen. Bei Dt- und Trjes tritt dann die Frage von Schuld und Bestrafung (der Frau) in den Hintergrund (die Hurenmetaphorik wird nur noch im Blick auf Fremdmächte angewandt, vgl. Jes 47), es "finden sich keine Termini der sexuellen Gewalt", wie die Vfn. selbst notiert (194), die Existenz eines Scheidebriefes wird geleugnet (Jes 50,1), vielmehr wird Israel bzw. Jerusalem als eine von ihrem Mann verlassene Frau geschildert (Jes 54,6). Schönheit, Freude und sogar Erotik (Jes 62,4 f.) der neuen Brautzeit treten in den Vordergrund. - Auch wenn die Darstellung der Frau gerade in einigen frühen Prophetentexten problematisch ist und aus heutiger Sicht voyeuristisch bzw. pornographisch und damit misogyn gelesen werden kann, ist bedauerlich, dass die Vfn. die innerbiblische Entwicklung der Geschlechtermetaphorik zu Dtjes und Trjes hin nur begrenzt wahrgenommen (z. B. 194.198) und nicht in die Gesamtschau miteingebracht hat.

Statt hier das Fehlen der "typischen Termini der Ehemetaphorik" (197) zu beklagen, hätte die Vfn. besser das Set der zuvor festgelegten Lexeme angesichts einer Fülle von Braut- und Ehemetaphern bei Dt- und Trjes ausweiten sollen. Der Gewalt- und Strafaspekt gerät in der Bildfeldtradition mehr und mehr aus dem Blick und die Liebessemantik einer neuen Brautzeit dominiert die Metaphorik. Vor allem das personifizierte Zion erscheint gerade in der späteren Prophetenüberlieferung als selbständige und aktive weibliche Größe, und kann nicht mehr als passive, mannergebene Frau beschrieben werden, die schutzlos der Männergewalt ausgeliefert ist. Auch die weitere Wirkungsgeschichte der Metaphorik, wie sie etwa in der allegorischen Cant-Interpretation (vgl. TgCant; mTaan 4,8, MShir) oder im neutestamentlichen Bildfeld der "Messias-Hochzeit" sichtbar wird, zeigt eine klare Betonung der hoffnungsvollen-ganzheitlichen Aspekte der Liebesbeziehung, die zur Grundlage der späteren Brautmystik werden konnte, wie sie in den apokryphen Apostelakten und dann in der mittelalterlichen Mystik gerade von Frauen rezipiert wurde.

Auf Grund des historisch-philologischen Ansatzes kann man der Vfn. nicht unterstellen, dass sie einer bestimmten hermeneutischen Perspektive von vornherein den Primat gegenüber den Texten eingeräumt hat. Doch die Untersuchung gibt ein Beispiel einer in rezeptionsästhetischer Sicht ganz unvermeidlichen positionellen Interpretation, die den Textsinn auf bestimmte Aspekte einschränkt. Zwar hebt die Vfn. immer wieder hervor, dass die biblischen Texte und ihr sozialgeschichtlicher Hintergrund nicht mit gegenwärtigen Wertmaßstäben beurteilt werden dürften (36; 237 u. a.). Die historisch-kulturelle Prägung der Sexualität und Geschlechterbeziehungen - wie sie in unserer Zeit vor allem von M. Foucault hervorgeboben wurde- müsste m. E. aber im Blick auf manche kühnen Vermischungen zu größerer Vorsicht mahnen: So ist (zumindest für mich als Mann) schwer nachvollziehbar, wo und wie die "Texte der prophetischen Ehemetaphorik heute leicht zur Legitimation oder womöglich zur Anstachelung von sexuellen Gewalttaten von Vätern gegenüber ihren Töchtern oder von Männern gegenüber ihren Frauen verwendet werden" (36) können.

Grotesk wirkt auch der Gedankengang, dass "die Texte zu der Fiktion anregen (könnten), daß durch eine Vergewaltigung der Frau eine Ehe wiederhergestellt werden oder eine Heilung der Verhältnisse geschehen könnte" (141). Hier ist wohl eher zu fragen, welche gegenwärtigen Erfahrungen und Befürchtungen an die Texte herangetragen werden. Könnte es- in historisch-kontextueller Sicht - nicht sogar sein, dass die "erstaunliche Pose der Selbstzurücknahme" (193) oder positiv gesprochen: die unbedingte Versöhnungsbereitschaft des Mannes (z. B. Hos 3,1-5; Jes 54,7-9) im krassen Widerspruch zum Ideal des zeitgenössischen jüdischen Mannes stand, dem es nach der Tora (vgl. Dtn 24,1-4) sogar verboten war, eine untreue oder ehebrecherische Frau wiederanzunehmen? Die biblische Bildersprache dient hier gerade nicht der Verfestigung patriarchaler Rollenzuweisung, sondern fordert ihre Durchbrechung.

Das Verdienst der Arbeit liegt unbestritten darin, die prophetische Ehemetaphorik erstmals in deutscher Sprache im Überblick dargestellt zu haben und dabei auch bislang wenig oder nicht beachtete Texte mit hohem analytischen Feinsinn in den Diskurs eingebracht zu haben (Jes; Zwölfprophetenbuch). Die detaillierten Textanalysen sind dabei nicht nur für feministische Rezipient(inn)en anregend, denn sie zeugen von profundem philologischen und historischen Sachverstand. Die hermeneutische Zuspitzung und m. E. den Texten gegenüber auch interpretative Verengung auf den Gewaltaspekt muss allerdings nicht geteilt werden und lässt die Impulse außer Acht, die die Ehemetaphorik nicht nur für die jüdisch-christliche Wirkungsgeschichte gibt (vgl. Jesus-Bräutigam-Bildfeld), sondern auch für die heutige Rezeption im Blick auf ein ganzheitlich-leibliches Gottesbild.