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Ausgabe:

März/2001

Spalte:

264 f

Kategorie:

Bibelwissenschaft

Autor/Hrsg.:

Lundin, Roger, Walhout, Clarence, and Anthony C. Thiselton

Titel/Untertitel:

The Promise of Hermeneutics.

Verlag:

Grand Rapids-Cambridge: Eerdmans 1999. XII, 260 S. 8. Kart. $ 20.-. ISBN 0-8028-4635-1.

Rezensent:

Ulrich H. Körtner

Mit ihrer vorliegenden Studie knüpfen die Autoren an ihren 1985 erschienenen Aufsatzband über "The Responsibility of Hermeneutics" an. Während die frühere Arbeit die ethischen Implikationen des Interpretationsvorgangs analysierte, legt das vorliegende Buch den Nachdruck auf das Verheißungspotential der Hermeneutik (XII). Gemeint ist zunächst, die säkulare Verheißung einer an Gadamer und Ricur anknüpfenden Hermeneutik aus den Aporien postmoderner, einseitig rezeptionsorientierter Texttheorien zu befreien. Sodann aber zielen die Autoren auf eine hermeneutische Theorie der Verheißung im biblischen bzw. systematisch-theologischen Sinne ab.

Ausgangspunkt ist eine massive Kritik des Cartesianismus, der auch für den hermeneutischen Relativismus der Postmoderne und einen traditionslosen Individualismus verantwortlich gemacht wird. Der Ausweg wird in einer von Gadamer geprägten philosophischen Hermeneutik gesucht, die ihrerseits zur Philosophie des späten Wittgenstein und zur Sprechakttheorie Austins und Searls in Beziehung gesetzt wird. Stark beeinflusst sind die Vff. auch von N. Wolterstorff. Gemeinsam vertreten sie das Konzept, Texte als Medium von Sprechakten zu interpretieren, wodurch die Frage nach dem Autor und seiner Interaktion mit dem Leser neues Gewicht bekommt. Unter Berufung auf Ricur und Levinas wird der Autor als Instanz des Andersseins interpretiert, welches das Selbstsein des Textrezipienten konstituiert. Theologisch betrachtet verweisen die biblischen Texte auf Gott als den ganz Anderen. Die ethische Dimension der Hermeneutik ist dementsprechend im Respekt vor der Andersheit des Anderen zu sehen, der auf den biblischen Begriff der Agape gebracht wird.

Die Kritik der cartesianischen Tradition von Hermeneutik ist vor allem das Thema des Beitrags von R. Lundin (1-64). Luther und Descartes erscheinen als Antipoden am Beginn der Neuzeit, die sich unter dem Einfluss des Letzteren zu einem "Zeitalter von Waisen (orphaned age)" (25 ff.) entwickelt habe. Auch F. Schleiermacher wird in der cartesianischen Tradition verortet. Unterbelichtet bleibt allerdings Schleiermachers Dialektik von Hermeneutik und Kritik, deren Aufgabe sich durch Verdikte gegen Descartes keineswegs erübrigt. Problematisch ist auch die Weise, in der Lundin Schleiermacher in die Nähe des ahistorischen Denkens der Postmoderne rückt. Dass ausgerechnet Schleiermacher "the constructive hermeneutical significance of history" missachtet habe (34), ist eine erstaunliche Behauptung.

Eine Theorie der Texte als Sprechakte entwickelt C. Walhout (65-131), der an N. Wolterstorffs Unterscheidung zwischen Texten als Objekten und als Instrument von Handlungen anknüpft (65). Zwar räumt Walhout der Kritik an der psychologisierenden Kategorie der Intention des Autors ein gewisses Recht ein, "however, what an author does in forming a text is always crucial to hermeneutics, and we can analyze these actions apart from what the author subjectively intended" (71). An die Stelle der Intention des Autors tritt der Begriff des "authorial stance" (100). Überzeugend entwirft Walhout eine "narrative Hermeneutik", welche für fiktionale Texte nicht nur die Kategorie der Mimesis, sondern auch diejenige der Referenz und damit die Frage nach dem Wahrheitsanspruch sinnvoll erscheinen lässt. Die theologische Perspektive von Zeit und Erzählung aber ist die Eschatologie bzw. die Haltung der Hoffnung (129).

Die damit ins Spiel kommende Kategorie der Verheißung ist Gegenstand des Beitrags von A. Thiselton (133-239). Verheißungen sind für Th. illokutionäre und wirklichkeitsverändernde Sprechakte. Als solche sind auch gewichtige biblische Texte zu verstehen. Dies geschieht in kritischer Abgrenzung von "Reader-Response"-Theorien und ihrem ahistorischen Textverständnis (152 ff.), denen positiv die rezeptionsästhetische Theorie von H. R. Jauß gegenübergestellt wird (191 ff.). Eine den Horizont der Zeit ernstnehmende Hermeneutik hat die Geschichtlichkeit der Texte wie jedes Interpretationsvorgangs zu bedenken (183 ff.). Dies entspreche vor allem dem Wirklichkeitsverständnis der biblischen Tradition.

In ihrer Kritik an Einseitigkeiten radikaler rezeptionsorientierter Texttheorien ist den Autoren zuzustimmen. Berechtigt ist auch die Kritik an Intertextualitätskonzepten, die übersehen, dass nicht Texte neue Texte generieren, sondern menschliche Agenten, die in einem sozialen, kulturellen und historischen Kontext existieren. Freilich ist auch der sprechakttheoretische Ansatz der Vff. diskussionsbedürftig. Texte sind von sich aus stumm und müssen zuallererst zum Sprechen gebracht werden. Anders als in der mündlichen Kommunikation ist der Autor nicht anwesend, sondern abwesend. Für sich genommen sind Texte daher keine Sprachhandlungen, sondern deren Resultat. Zu Sprechakten können sie - und das ist, wenn man die biblischen Texte als Instrumente göttlicher Sprechakte deuten will, auch theologisch belangvoll - bestenfalls immer wieder werden, indem sie rezitiert und interpretiert, d. h. aber gelesen und angeeignet werden. Mit anderen Worten liegt auf dem Problem der Applikation stärkeres Gewicht, als es im vorliegenden Buch den Anschein hat.