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Ausgabe:

März/2001

Spalte:

257–259

Kategorie:

Bibelwissenschaft

Autor/Hrsg.:

Brenner, Athalya, and Jan Willem van Henten [Eds.]

Titel/Untertitel:

Recycling Biblical Figures. Papers Read at a Noster Colloquium in Amsterdam, 12-13 May 1997.

Verlag:

Leiden: Deo Publ. 1999. XV, 336 S. gr.8 = Studies in Theology and Religion, 1. Pp. hfl 148.-. ISBN 90-5854-004-9.

Rezensent:

Uwe F. W. Bauer

Dieses Buch ist das erste der neuen Reihe Studies in Theology and Religion (STAR) und enthält Beiträge von Lehrenden und Lernenden, die während einer Konferenz im Mai 1997 in Amsterdam vorgestellt wurden. Der enigmatische Titel Recycling Biblical Figures hat eine sehr breite Bedeutung. Recycling meint Aneignung, Bearbeitungen, Umarbeitung, Neuinterpretation etc. Biblical bezieht sich über die Hebräische Bibel hinaus auf die gesamte jüdische und christliche Tradition bis in die ausgehende Antike. Figures umfasst Konzepte, Ideen sowie ideologische und theologische Fragen. Die 15 diversen und disparaten Beiträge sind unter den drei Überschriften Gender in the Hebrew Bible, Revisited (I, 4 Texte); Reinterpretations: Three Examples (II, 3 Texte) und Retrieval, Recycling, Reception (III, 8 Texte) gruppiert. Das Buch schließt mit einem Namens- und einem Quellen-Index.

James Barr geht in seinem Beitrag One Man, or All Humanity? A Question in the Anthropology of Genesis 1 (3-21) der Frage nach, ob das Wort adam in Gen 1,27 zu Recht kollektiv und beide Geschlechter umfassend verstanden werden kann. Mit Blick auf Gen 2, Raschi, Jubiläen, Paulus, Gen 5,1-2 und einer Kritik statistischer Argumente kommt B. zu dem Ergebnis, dass Gen 1,26 f. gegen die sympathische Vorstellung einer egalitären Menschheit möglicherweise doch eher mythologisch in Analogie zu Gen 2 konzipiert und zu verstehen sei: Gott schuf zunächst ein Menschenpaar (Mann -> Frau), aus dem die übrige Menschheit dann hervorging.

Johannes C. de Moor vertritt in The First Human Being a Male? A Response to Professor Barr (22-27) die Gegenposition: Gott schuf zunächst die Menschheit nach seinem Bilde, d. h. androgyn (Gen 1), und separierte dann in einem zweiten Schritt Adam und Eva voneinander (Gen 2).

Hennie Marsman geht in Women in Ancient Israel. A Preliminary Exploration (28-49) - die These Radford Ruethers vom Zusammenhang zwischen Frauenunterdrückung und Monotheismus weiterführend - der Frage nach, ob die soziale und religiöse Stellung von Frauen im israelitischen Monotheismus (männliche Gottheit) wirklich schlechter ist als in einer polytheistischen Religion wie der von Ugarit. Dazu untersucht M. Brieftexte aus Israel, Ugarit und Elephantine. Ergebnis ist, dass die Ausgangsfrage der Tendenz nach bejaht werden muss.

In Mother to Muse. An Archaeomusicological Study of Women's Performance in Ancient Israel (50-77) untersucht Carol Meyers die Rolle von Frauen in der altorientalischen bzw. altisraelitischen Musikkultur, bestehend aus Tanz, Gesang, Instrumentenspiel (Paradigma Handtrommel, To). Unterschieden wird zwischen religiösem und säkularem Kontext sowie zwischen Ensemble und Solo (hier primär Trauerritual und Siegeslied). Analysiert wird die Schnittstelle von Musik, Geschlecht, sozialer Rolle und gesellschaftlichem Status. Ergebnis ist, dass die expressive Aktivität, die kulturelle Bildung und die Kunstfertigkeit von Frauen bei weitem unterschätzt werden, und zwar auf Grund des westlich geprägten Wertesystems, welches eben diese Beiträge von Frauen prinzipiell als weniger bedeutend ansieht als die von Männern.

In What Is Joseph Supposed to Be? On the Interpretation of n'r Genesis 37:2 (81-92) untersucht Ron Pirson das Wort n'r mittels der "Text-Semantik". Innerhalb von Gen ergibt sich folgende Alternative: n'r ist jemand, um den man sich sorgt (Junge), oder jemand, der sich um jemanden sorgt (Diener). In 37,2 meint r[n Diener, denn 1. sei bekannt, dass Josef jung ist (17 J.), und 2. sei er ein r[n zusammen mit den 4 Söhnen Bilhas und Silpas, also nicht mit den 6 Söhnen Leas und mit Benjamin. Der Gegensatz zwischen den 7 und den 5 Söhnen sei so zu verstehen, dass die Letzteren den Ersten dienten.

Davon ausgehend, dass Paradigmen die Exegese bestimmen, stellt Richtsje Abma in H-Hour for the Kingdom of Israel? Hosea 1:1 in the Light of Two Paradigms of Interpretation (93-126) ein historisch-biographisches Paradigma einem literarisch-funktionalen gegenüber. Nach dem Referieren einiger traditioneller Auslegungen von 1,1 hinterfragt A. das zu Grunde liegende referentielle Textverständnis (Repräsentation von Welt) und propagiert selbst ein nicht-referentielles (Präsentation von Welt). Der Name Hosea z. B. sei nicht gewählt, weil es eine solche historische Figur gegeben habe, sondern weil er wie Joschua und Jesaja die Wurzel js' enthalte, die das Handeln JHWHs charakterisiere. So finde sich in den Überschriften aller wichtiger Untergliederungen der Nebiim [vyi. Zudem spiele Hosea auf Hosea ben Elas, den letzten König Israels an. So werde ein Hinweis darauf gegeben, dass das Buch Hosea im Kontext des Endes des Nordreiches zu lesen sei. Andere Beobachtungen führen A. zu der Überzeugung, dass Hosea 1-3 nicht vor dem babylonischen Exil verfasst sein kann.

Albert O. Mellinks Beitrag Ignatius' Road to Rome. From Failure to Success or in the Footsteps of Paul? (125-165) ist eine Auseinandersetzung mit der These von Schoedel und Trevett, die geringe Selbsteinschätzung des Bischofs Ignatius und seine Angst, das Ziel (ewiges Leben nach dem Martyrium) nicht zu erlangen, sei die Folge seines misslungenen Versuchs, die Einheit der Gemeinde in Antiochien angesichts massiver Spannungen zu wahren. Demgegenüber meint M., die Tumulte in Antiochien seien durch äußere Verfolgungen verursacht worden, Ignatius habe klug daran getan, sich in seinen paränetischen Briefen gegenüber anderen Christen demütig zu zeigen, und seine Unvollkommenheitsvorstellungen angesichts seines nahenden Martyriums seien aus dem Bewusstsein der von Paulus betonten Spannung zwischen dem Noch-Nicht und dem Schon-Jetzt zu erklären.

Heather A. McKay stellt in Eve's Sisters Re-cycled. The Literary Nachleben of Old Testament Women (169-191) die These auf, weibliche Charaktere spielten bereits im AT eine untergeordnete Rolle, und diese Tendenz verstärke sich im NT, bei Philo und Josephus dreifach: Starke weibliche Charakterzüge würden beseitigt, Frauen männlichen Verhaltensvorstellungen angepasst und die Darstellungen von Frauen-Charakteren insgesamt eingeschränkt (Ausnahme: Rahab im NT). Die These wird an Sara, Rebekka, Rahel, Rahab, Isebel, Batseba, Lots Frau, Pharaos Tochter, der Witwe von Sarepta und der Königin von Saba durchgespielt.

In Response to Heather McKay: 'Killer Queens' - The Recycling of Jezebel and Herodias as Fin de SiËcle Phantasies (192-204) kritisiert Caroline Vander Stichele zunächst McKays Darstellung von Isebel im NT und bei Josephus, spürt sodann den intertextuellen Assoziationen zwischen Herodias (Mk 6, Mt 14) und Isebel nach, die das Image von Herodias als killer queen verstärken, und zeigt schließlich, dass beide Charaktere als romantische Inkarnation des Bösen (Fatal Woman) in Musik und Literatur des ausgehenden 19. Jh.s auftauchen.

Carole R. Fontaine geht in The Strange Face of Wisdom in the New Testament. On the Reuse of Wisdom Characters from the Hebrew Bible (205-229) davon aus, dass weisheitlich-weibliche Charaktere in der Hebräischen Bibel einer hartnäckigen Strategie patriarchaler Literatur entsprechend ambiguos sind (Madonna/Hure-Syndrom). F. wählt deshalb als Paradigmen die weise Königin (positiv) und die weise Frau (negativ). Letztere werde in Apg 16,16 im Vergleich mit der "Hexe" von En-Dor und der Weisheit Bileams (er spricht in Num 24,16 wie die Frau in der Apg von Gott, "dem Höchsten") bagatellisiert und dadurch bestraft, dass Paulus ihren Geist austreibe. Die Königin von Saba, die in den Evangelien als Königin des Südens auftrete und die Funktion einer "Out-Group-Female" habe, die einen "In-Group-Male" beschäme (hier die Männer der Generation Jesu), werde ihrer meisten positiven Eigenschaften entkleidet.

Demgegenüber meint Pancratius C. Beentjes in Response to Carole Fontain. Intertextuality and Beyond (230-233), der Geist der versklavten Frau werde ausgetrieben, weil er für kommerzielle Zwecke missbraucht werde, und die Königin des Südens könne auf Grund der parallelen Textstruktur (Niniviten//Königin) gar nicht anders dargestellt werden.

Ross S. Kraemer geht in Recycling Aseneth (234-265) der Entwicklung der Asenat Tradition nach, die ihren Abschluss in der anonymen griechischen Schrift Josef und Asenat fand. Nachdem K. die frühjüdische und die rabbinische Tradition gestreift hat, diskutiert sie die Entstehung des Kurz- und des Langtextes sowie deren Verhältnis. Ergebnis ist u. a., dass der oder die Autor(en) des aus dem 3./4. Jh. n. Chr. stammenden Kurztextes frei aus biblischen und parabiblischen Quellen schöpften, dass der Langtext eine redaktionelle Bearbeitung (Anpassung an den biblischen Text, Hinzufügung von Angelologie) des Kurztextes ist und nicht vor dem 6. Jh. fertig war und dass beide Texte sehr wahrscheinlich einen christlichen Hintergrund haben.

Johannes Tromp vertritt in Response to Ross Kraemer: On the Jewish Origin of Joseph and Asenath (266-271) die Position, der Anlass, zumindest des Kurztextes von Josef und Asenat, sei das Problem gemischter Ehen zwischen jüdischen Männern und nichtjüdischen Frauen gewesen. Die Schrift habe daher höchstwahrscheinlich einen jüdischen Hintergrund.

Birke Rapp-de Lange vergleicht in The Love of Torah. Solomon Projected into the World of R. Aqiba in the Song of Songs Rabbah (272-291) die ersten fünf Petichot des Midrasch Shir HaShirim Rabba (zu Hld 1,1) mit anderen auf Salomo bezogenen Stellen desselben Midrasch sowie mit der Beschreibung des Talmud Tora Rabbi Akibas in ARN (A), Kap. 6. Ergebnis ist, dass Salomo, der in den besagten Petichot in die Welt der rabbinischen Weisen projiziert werde, nach dem Idealbild eines solchen Weisen skizziert sei, insbesondere nach Rabbi Akiba.

In Enoch, the 'Watchers', Seth's Descendants and Abraham as Astronomers. Jewish Applications of the Greek Motif of the First Inventor (300 BCE-CE 100) (292-316) schließlich untersucht Georg H. Van Kooten am Beispiel der Astronomie die Verwendung des aus der griechischen Historiographie stammenden Motivs des ersten Erfinders in jüdischen Schriften der griechisch-römischen Periode (Reinterpretation Henochs, Sets und Abrahams). Das Buch Henoch projiziert einen Konflikt um Kalenderfragen (Sonnenjahr versus Mondjahr) in die Zeit vor der Sintflut (Henoch versus sogenannte Wächter [= Engel bzw. gefallene Engel]) und identifiziert Henoch bzw. die Wächter als die Erfinder der Astronomie. Aus einem apologetischen Interesse heraus sieht Josephus über Set und dessen Nachkommen hinaus Abraham (Chaldäer) als den Erfinder der Astronomie, der sein Wissen über Ägypten an die Griechen vermittelte. Auch Philo kennt zwar Abraham als Erfinder der Astronomie, lässt ihn jedoch, von den sichtbaren Objekten zu den unsichtbaren Ideen fortschreitend, zum Erfinder der Philosophie (Proto-Platoniker) avancieren.

Die Artikel: Die Qualität der Beiträge des Buches Recyling Biblical Figures differiert. Die Texte von C. Meyers, R. Abma, A. O. Mellink, C. Vander Stichele, C. Beentjes, R. S. Kraemer, J. Tromp, B. Rapp-de Lange und H. Van Kooten sind nach Form und Inhalt ausgereift und überzeugend.

J. Barrs und J. C. de Moors Artikel sind eine nicht unbedingt neue Erwägung von Interpretationsmöglichkeiten. - H. Marsans Beitrag wirkt eher wie ein Werkstattbericht mit etwas vagem Ergebnis.- R. Pirson skizziert zunächst ein erhebliches theoretisches Instrumentarium (Text-Semantik), das dann jedoch nur mittels einer simplen Wortuntersuchung in Genesis eingelöst wird.

Die generelle These des wichtigen Beitrags von H. A. McKay, dass weibliche Charaktere des AT im NT, bei Philo und Josephus der Tendenz nach diminuiert werden, ist etwas plakativ und sollte differenziert werden. Zu Recht kritisiert C. Vander Stichelen McKays Analyse der Darstellung Isebels. Der Vorwurf an die Autoren des NT, sie benutzten weibliche Charaktere ausschließlich in ihrem eigenen Interesse, überzeugt nicht, denn genau dies steht Autor und Autorinnen frei und macht Literatur aus. - Mutatis mutandis gilt die zu McKay geäußerte Kritik auch für den Beitrag C. R. Fontaines. Bezüglich der Sklavin mit dem wahrsagenden Geist scheint Fontaine zudem Gefangene ihrer eigenen These zu sein. Der wahrsagende Geist wird m. E. nicht ausgetrieben, um die Sklavin (wise woman) zu bestrafen und sie ihrer Vorzugsstellung bei ihren Herren zu berauben (McKay), sondern um sie aus der Gewalt ihrer Herren zu befreien, die sie ausschließlich als prostituiertes Instrument ihres Profits missbrauchen.

Das Buch: Der innere Zusammenhang des ansprechend und gut lesbar gestalteten Buches erschließt sich nach der Lektüre der einzelnen Beiträge - wenn auch mühsam. - Die selbstkritische Skepsis der Herausgeber hinsichtlich der thematischen und zeitüberspannenden Breite des Sammelbandes bestätigt sich m. E.

Sowohl der Titel als auch die Überschriften der drei Teile des Werkes sind unglücklich gewählt: Teil II z. B. ist mit Reinterpretations: Three Examples überschrieben. Reinterpretationen finden sich jedoch auch in dem tautologisch betitelten Teil III Retrieval, Recycling, Reception. Überspitzt formuliert könnte man sagen: Teil III besteht aus Beiträgen zur Reinterpretation. Teil I trägt die Überschrift Gender in the Hebrew Bible, Revisited. Gleich vier Artikel zur Gender-Thematik finden sich jedoch auch in Teil III.