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Ausgabe:

Oktober/1998

Spalte:

959 f

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Räisänen, Heikki

Titel/Untertitel:

Marcion, Muhammad and the Mahatma. Exegetical Perspectives on the Encounter of Cultures and Faiths.

Verlag:

London: SCM Press 1997. VIII, 293 S. 8 = The Edward Catbury Lectures at the University of Birmingham 1995/1996. Kart. £ 14.95. ISBN 0-334-02693-8.

Rezensent:

Christoph Elsas

Das anregende Buch thematisiert den Umgang mit Problemen biblischer Traditionen schon im Neuen Testament, aber auch bei Außenseitern der Christentumsgeschichte, im Koran und bei Gandhi. Der Autor ist Professor für Neues Testament an der Universität Helsinki und ist auch durch vergleichende Studien zum Koran (u. a. Das koranische Jesusbild, Helsinki, 1971) hervorgetreten. - Der vorliegende Titel basiert auf einer Vorlesungsreihe, zu der er nach Birmingham eingeladen wurde, das als Weltstadt bekannt ist, in der Menschen mit verschiedenen kulturellen und religiösen Traditionen zusammenleben und von der wichtige Impulse zur theoretischen und spezieller auch theologischen Aufarbeitung dieser Konvivenz ausgehen. Der hier besonders manifeste gesellschaftliche Pluralismus fordert auch zu neuen Überlegungen über Stellenwert und Auslegung der für die Religionsgemeinschaften grundlegenden Schriften heraus. Räisänen bündelt dafür vielfältige Interessen: Bibelauslegung, Religionsgeschichte und Theologie der Religionen. Bibliographie (204-244) und Anmerkungen (225-286) sind entsprechend interdisziplinär.

In seiner einleitenden Vorlesung umreißt er diesen Horizont als Vertreter der historisch-kritischen Bibelwissenschaft, der sein Tun angesichts der heute so nah zusammengerückten Welt reflektiert: Kann Exegese sich in den Dienst interreligiöser Harmonie stellen? Räisänen knüpft an die von Hans Küng angeregte Erklärung des Parlaments der Weltreligionen zum Bemühen um ein Weltethos und daran orientierte Überlegungen von R. S. Sugirtharajah zu "Interfaith Hermeneutics" bei Bibelinterpretation in der Dritten Welt an, um mit ihnen einen dialogischen Ansatz zu befürworten, der die befreienden Aspekte in jeder Tradition betont. Wichtig ist ihm dabei allerdings festzuhalten, daß dazu u. U. auch Kritik an Texten gehört: "My proposal is that one should not try to make Paul more ’multi-faith’ than he was, but try to understand the problems he and his opponents were involved in and to assess their positions from a multi- faiths stance" (5). "The exegete may be needed in the global village as the ’historical conscience’ in the dialogue, as one who warns of attemps to make too direct use of the texts" (15).

Die Kapitel 2-4 analysieren entsprechend Koexistenz und Konflikt im frühchristlichen Verhalten gegenüber Anhängern traditionaler Kulte bei besonderer Berücksichtigung der Spannungen in den heilsgeschichtlichen Überlegungen zum Verhältnis Juden und Christen im Römerbrief des Paulus und im Lukanischen Geschichtswerk. Sein historisch-kritisches Urteil: "I do not think inconsistency is a wicked think, it is simply human" (17).

Allen großkirchlichen Theologien gegenüber, die mit dem Konzept der Erfüllung des Alten im Neuen Bund arbeiten, findet R. bei Marcion, der von jenen als Häretiker abgelehnt wurde, bereits im 2. Jh. für den Rahmen interreligiöser Dialoge wichtige Einsichten formuliert: "For all his contempt for the Old Testament, Marcion did grant the Jews the right to expect their own Messiah. .., this seems closer than, say, Romans 11 to a two-convenant theology" (76 f.). Er schließt daran die allgemeinere Regel an: "The tree is known by its fruits. Marcion applied this principle to the Old Testament god. Modern scholars of the effective history of the Bibel are beginning to apply it to the book ..." (79).

Wie hier die Unterscheidung zwischen Judentum und Christentum interreligiösen Dialog erleichtert, so betont es Kap. 6 auch für eine ausdrückliche Unterscheidung von Islam und Christentum bei allem, was sie an gemeinsamen biblischen Traditionen haben: "Jesus has of old stood ’between Christianity and Islam’ in the sense that his different position in the two religions had been a hindrance to an encounter. Yet today it is also possible to think that he stands between the two (actually between the three religions, for Judaism should be included in a ’trialogue’) in the opposite sense: in no man’s land or on the common ground which does not belong to any single party" (96f.). Gegen Harmonisierungen, die leicht mit Inklusivismus Hand in Hand gehen, erhält so Exegese die Aufgabe eines historischen Gewissens. Aber umgekehrt kann historische Kritik - so Kap. 7 - auch Gemeinsamkeiten zwischen Bibel und Koran gegen von Vorurteilen geleitete Unterscheidungen herausarbeiten, weshalb Kap. 8 dafür eintritt, daß auch muslimische historische Koran-Kritik hilfreich ist.

Kap. 9 zeigt an Isaac La Peyrère als einem Vorläufer der Bibelkritik, was sich im 17. Jh. durch die Harmonisierung von Bibel und neuem Weltbild an Deutung der Bibel in einem Vorgriff auf die Gegenwart ergab angesichts der Begegnung mit neuen Völkern und Traditionen. Kap. 10 zeigt als weiteren möglichen Schritt das Entstehen der neuen Religionsgemeinschaft der Mormonen um die Offenbarungen, die Joseph Smith angesichts des Ungenügens der Bibel für die Anfragen im 19. Jh. zu deren Bekräftigung, Korrektur und Ergänzung bekannt machte, wobei die Erlösung durch Christus schon vor der Weltgeschichte im Paradies verankert wird.

Gegenüber Universal-Entwürfen dieser oder jener Art mit Christus als Zentrum setzt Kap. 11 den pluralistischen Kontrapunkt: Mahatma Gandhi fand in der Bergpredigt nur wieder, u. a. zur Legitimation seines "gewaltlosen Widerstands" vor Christen, was er schon gefunden hatte und was auch vor Jesus schon Weisheitstradition war (Kap. 11). Als Konklusion im Schlußkapitel führt das zum pluralistischen Imperativ: Außenseiter können uns helfen, die Probleme der Tradition zu sehen, die wir selbst nicht wahrnehmen, und auf den Interaktionsprozess zwischen Tradition, Erfahrung und Neuinterpretation aufmerksam machen: "The task would then be to make sense of the tradition of our love, trying to reform it in the light of our traditions and of other experience, and in the light of the fruit is has borne so far..." (203).