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Ausgabe:

Februar/2001

Spalte:

213 f

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Haslinger, Herbert, u. a. [Hrsg]

Titel/Untertitel:

Handbuch Praktische Theologie. 1: Grundlegungen.

Verlag:

Mainz: Matthias-Grünewald-Verlag 1999. 412 S. gr.8. Geb. DM 56,-. ISBN 3-7867-2201-3.

Rezensent:

Michael Meyer-Blanck

Anders als das evangelische "Handbuch", das in den achtziger Jahren im Gütersloher Verlagshaus zwar die Bände 2-4, aber niemals den Theorieband 1 hervorbrachte, beginnt das neue, auf zwei Bände geplante katholische Handbuch mit dem Theorieband (Bd. 2 ist binnen Jahresfrist angekündigt, 17). Das Werk tritt im mehrfachen Sinne ein großes Erbe an: Sein Vorgänger ist das monumentale "Handbuch der Pastoraltheologie", das zwischen 1964 und 1972 unter maßgeblicher Mitwirkung von Karl Rahner entstand und die Impulse des Vaticanum II in die Praktische Theologie (PT) einbrachte.

Auch das neue Handbuch beruft sich auf das Konzil, ja beschwört bisweilen geradezu die Konzilstheologie im Hinblick auf die gegenwärtige kirchliche Realität, setzt aber den Akzent entscheidend anders. Hatte Rahner die PT ekklesiologisch zugespitzt als "Wissenschaft vom Selbstvollzug der Kirche in Gegenwart und Zukunft", so wird jetzt die von der Konzeption der "Sozialpastoral" (N. Mette/H. Steinkamp) formulierte Kritik am "Ekklesiozentrismus" (378) aufgenommen und für die PT in Anspruch genommen, "daß deren Horizont die Praxis der Menschen ist" (23; einschränkend wird dies aber auf die Reflexion, nicht auf die Konzeption von PT bezogen, 24). Die "Sozialsklerosen" einer milieuverengten Gemeindepastoral (340) sollen befreiungstheologisch und feministisch-theologisch inspiriert überwunden werden. Mit den damit verbundenen Themen Modernisierung, Pluralisierung, Subjekt, Alltag und Religion liegt das Handbuch auch im Mainstream gegenwärtiger evangelischer PT. Es finden sich aber auch einige Anfragen an die Sozialpastoral, weil darin die Verbindung mit der Volksfrömmigkeit und damit die glaubensbezogene Dimension (anders als in Lateinamerika) vergessen zu werden drohe (O. Fuchs, 193 f.).

Die schnellste konzeptionelle Orientierung gewinnt man durch die abschließende "Begriffsbestimmung in Thesen", die vom Herausgeberkreis gezeichnet ist (386-397) und in der die PT als die Wissenschaft bestimmt wird, die "die Praxis der Menschen reflektiert" und die das Ziel hat, "konzeptionell eine Praxis zu fördern, die ein je individuelles und soziales Leben entsprechend der Würde des Menschen vor Gott ermöglicht" (386).

Das Handbuch ist eine Gemeinschaftsarbeit von 22 Autorinnen und Autoren; die Hälfte davon gehört den Geburtsjahrgängen nach 1950 an, der Hauptherausgeber ist 1961 geboren. Insofern ist das Buch auch Ausweis eines Generationswechsels in der katholischen PT (daneben finden sich aber auch vertraute Namen älterer Kollegen wie N. Greinacher, O. Fuchs, L. Karrer, S. Knobloch, R. Zerfass). Die Gemeinschaftsarbeit ist allerdings nicht nur von Vorteil. Durch die vielen (insgesamt 22!) verschiedenen "Grundlegungen" kommt es zu zahlreichen Wiederholungen (zu Subjekt, Praxis, Individualisierung u. a.), bisweilen auch zu unausgewiesenen Widersprüchen (wie etwa zwischen Peukerts von Habermas inspiriertem Praxisbegriff (105ff.) und Karrers Fokussierung von Praxis auf "zielgerichtetes Handeln", 214; vgl. ferner die unterschiedliche Einschätzung der Trias von "Sehen, Urteilen, Handeln" bei Stephanie Klein, 248 f. und bei Josef Hochstaffl, 324 ff.). Die vier großen Kapitel "1. Kontexte der PT", "2. Theologische Basismarkierungen der PT", "3. Der Weg der pt-Reflexion", "4. Herausforderungen der PT heute" erweisen sich bei den vielen Autoren als zu wenig trennscharf. Denn die Fragen nach Subjekt, Religion, Alltag und Kirche gehören in alle vier Bereiche und kehren denn auch immer wieder. Der Leser macht die Erfahrung, dass die Argumentation in den wissenschaftlich klar definierten Kapiteln am klarsten ist. Sehr informativ sind so die Überblicke zur Handlungstheorie (105-115), zu den Subjekttheorien (123-143), zum Verhältnis von PT und Humanwissenschaften (267-278), zur Psychotherapie (279-291) und zur Soziologie (292-303) sowie der kurze Exkurs zur Postmoderne-Diskussion (345-350).

Schwierig hingegen wird es immer dann, wenn allgemeine Prinzipien etwa aus den "Zeichen der Zeit" in "Gaudium et spes" abgeleitet werden. So ist etwa vielfach von den Zeichen, ja sogar explizit von der "Semiotik" die Rede (306 f.), ohne dass jedoch von der semiotischen Diskussion innerhalb der PT die Rede wäre.

Das Bemühen um die Menschen als Subjekte ist die Stärke dieses Handbuches. Andererseits bleibt das doch sehr blass, worum es der PT gehen muss: die reale religiöse Praxis dieser Subjekte. Darüber hinaus ist vielleicht der weiträumige Ansatz bei der "Praxis der Menschen" dafür verantwortlich, dass religiöse Sinnbildung und Kommunikation kaum einmal eine materiale Rolle spielen. Die vorzüglichen Orte religiöser Kommunikation wie Gottesdienst, Religionsunterricht und ästhetische Erfahrung spielen für diese Grundlegungen keine Rolle. Man wird gespannt sein dürfen, inwiefern der in Aussicht gestellte 2. Band an dieser Stelle anschaulicher sein wird, oder ob es bei dem Verschwinden der ästhetischen Bezüge hinter den sozialpastoral-diakonischen bleiben wird und ob von daher nicht nur ein Generationenwechsel, sondern auch ein tatsächlicher konzeptioneller Neuansatz in der katholischen PT (nach den gegenwärtig bestimmenden sozialpastoralen Konzepten von S. Knobloch, N. Mette und H. Steinkamp) sichtbar werden wird. Die Entscheidungen des Grundsatzbandes lassen dieses allerdings weniger erwarten.

Ein formales Lob am Schluss: Das Buch ist hervorragend lektoriert, ausführliche Register helfen zur Orientierung. Fraglich bleibt nur, ob die semantical correctness durch das (bis zur Penetranz gesteigerte) "I feministicum" auf Kosten der Lesbarkeit wirklich nötig ist.