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Ausgabe:

Februar/2001

Spalte:

211 f

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Fischer, Michael

Titel/Untertitel:

Zukunftsoffene Gemeindeentwicklung. Das Rottenburger Modell auf dem pastoraltheologischen Prüfstand.

Verlag:

Mainz: Matthias-Grünewald-Verlag 1999. 217 S. 8. Kart. DM 48,-. ISBN 3-7887-2207-2.

Rezensent:

Alfred Seiferlein

Für die Gemeindeentwicklung liegen systematisch-ekklessiologische und kybernetisch-praktologische Entwürfe in einer reichen Fülle vor. Neben diesen theoretisch begründeten Modellen findet sich eine Vielzahl von Versuchen auf gemeindlicher oder regionaler Ebene, die das kirchliche Leben vor Ort inspirieren wollen, ohne dass dazu ein breit angelegter Reflexionsprozess stattfindet. Weder bei den theoretisch begründeten Entwürfen noch bei den praktischen Versuchen in Pfarr- und Kirchengemeinden finden in der Regel Auswertungen statt, die soziologischen Kriterien folgen. Die von F. vorgelegte Studie zum Rottenburger Modell besitzt in der Literatur zur Gemeindeentwicklung eine Ausnahmestellung, weil sie neben einer knappen theologischen Grundlegung und einer skizzierten Einordnung in vergleichbare Konzeptionen eine ausführliche soziologische Untersuchung vornimmt und aus dem empirischen Befund versucht, Konsequenzen zu ziehen. Der Schwerpunkt liegt dabei auf der Bearbeitung des umfangreichen Datenmaterials, die pastoral-theologischen Implikationen treten zurück.

Das Rottenburger Modell, "ein herangereiftes Projekt zur Gemeindeentwicklung" (204), möchte in drei Phasen die Gemeindeerneuerung unterstützen: Während der rund zwei Jahre dauernden Vorbereitungsphase wird die Entscheidung über die Durchführung getroffen, eine Gemeindeanalyse erstellt, Mitarbeiter geworben, motiviert und für ihre Aufgabe vorbereitet. In der auf acht Wochen angelegten Aktions- oder Intensivphase ruhen alle anderen Gemeindeaktivitäten, stattdessen werden täglich Angebote zur Gemeindeerneuerung (z. B. Gesprächsgruppen, Hausbesuche, Tauferneuerungsfeiern, Bibelmeditationen, besondere Gottesdienste usw.) unterbreitet, die einem wöchentlichen Schwerpunktthema gewidmet sind. In der dritten Phase wird nach den Aktionswochen die Auswertung anhand von vorgegebenen detaillierten Vorschlägen vorgenommen und Konsequenzen für das Gemeindeleben ausgearbeitet und beschlossen.

Das erste Kapitel der Studie liefert einen flüchtigen Überblick über die Geschichte der (katholischen) Volksmission vom 16.Jh. bis in die Gegenwart. Die Linien werden von der Volks-, über die Milieu- zu der Gebiets- bis hin zur Gemeindemission gezeichnet. Während unvermittelt und übergangslos das Beispiel der Diözese Passau eingeführt wird, zeigen dagegen die anschließenden Ausführungen über die Diözese Rottenburg die Voraussetzungen zur Entwicklung des untersuchten Modells. Grundsätzliche Bemerkungen zu den Möglichkeiten und Grenzen empirisch belegter Auswertungen und die konkreten Bedingungen für die ausgewerteten Fragebögen im Rottenburger Modell werden im zweiten Kapitel vorgetragen.

Das dritte und zentrale Kapitel untersucht die Wirkung und die Veränderungsprozesse durch das Modell: Den Erwartungen werden die Ergebnisse bzw. die persönliche Einschätzung der Teilnehmer und der Verantwortlichen vor und nach Durchführung des Projekts gegenübergestellt. Soziologische Daten - differenziert nach Alter, Kirchenbindung und persönlicher Spiritualität - liefern exakte Ergebnisse zu der Wirkweise des Modells. Leider werden im anschließenden vierten Kapitel bei der Interpretation der Daten die Möglichkeiten der Kreuzauswertung nicht genutzt. Das abschließende fünfte Kapitel versucht, auf der Basis der soziologischen Untersuchungen und der vorgetragenen Interpretation zukünftige Entwicklungslinien für das Modell aufzuzeigen.

F. beschreibt in seiner Veröffentlichung ein interessantes katholisches Projekt, das von seiner Konzeption mit anderen Bemühungen im Gemeindeaufbau im ökumenischen Bereich vergleichbar ist. Nicht auf Dauer angelegte Gruppen und Kreise mit ihren hohen Eingangsschwellen, sondern zeitlich begrenzte, mit guter gemeindepädagogischer Qualität ausgestattete Angebote sind eine Arbeitsweise, die dem Lebensrhythmus und dem Interesse vieler moderner Menschen entsprechen.

Konzeptionell vergleichbar mit dem Rottenburger Modell ist insbesondere das im ökumenischen Kontext entstandene Projekt "neu anfangen - Christen laden ein zum Gespräch", das in zahlreichen Regionen Deutschlands bereits seit 1984 durchgeführt wird (vgl. Otto Diehn u. a. [Hrsg.]: neu anfangen, Gütersloh 1988). Die vorliegende Untersuchung F.s. lässt schmerzlich erkennen, dass die kybernetische Diskussion die Entwicklung in der jeweils anderen Konfession zu wenig wahrnimmt. Im vorliegenden Buch beschränkt sich F. beispielsweise auf einen Hinweis in einer Fußnote zu der von Christian Möller aus evangelischer Perspektive gearbeiteten Lehre vom Gemeindeaufbau (34)!

Insgesamt hat F. gleichwohl ein wichtiges Buch vorgelegt und die kybernetische Diskussion um ein sehr wichtiges Element bereichert. Er zeigt überzeugend den Veränderungsprozess in Pfarr- bzw. Kirchengemeinden bei der Durchführung eines Projekts. Zudem wird belegt, welchen Gewinn Gemeindeglieder für ihr persönliches Glaubensleben durch ihre aktive Teilnahme an einem Projekt ziehen. Der soziologische Teil der Arbeit liefert wichtige empirische Grundlagen, die einer tieferen systematischen und praktisch-theologischen Reflexion bedürften.