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Ausgabe:

Februar/2001

Spalte:

210 f

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Brinkmann, Frank Thomas

Titel/Untertitel:

Comics und Religion. Das Medium der "Neunten Kunst" in der gegenwärtigen Deutungskultur.

Verlag:

Stuttgart-Berlin-Köln: Kohlhammer 1999. 237 S. gr.8 = Praktische Theologie heute, 44. Kart. DM 49,80. ISBN 3-17-016094-X.

Rezensent:

Sabine Bobert-Stützel

"Bei Spiderman fand ich mich besser aufgehoben. Er schien mehr vom Leben begriffen zu haben als der Mann der Kirche ...", steht als Motto der Einleitung ins Buch voran. Mit diesen Worten beschreibt ein Anonymus, welchen Trost ihm Spiderman-Comics nach einer Beerdigung schenkten. Brinkmann geht exemplarisch Zusammenhängen zwischen Comics und religiösen Symbolsystemen nach. Der Untersuchung liegt die Habilitationsschrift zu Grunde, die von der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Ruhr-Universität Bochum angenommen wurde.

Der Abschnitt "Orientierung" (9 ff.) führt in erste Beispiele ein. "Standortbestimmung" (33 ff.) informiert Unkundige und Kundige näher über Geschichte, Formate, Formen und Lesegewohnheiten in der Comic-Kultur. Zugleich führt dieser Haupt- teil in den Forschungsstand zum Thema ,Comic und Religion' ein. "Vergegenwärtigungen" (95 ff.) reflektiert methodische Hürden und Entscheidungen. Der Vf. entscheidet sich, in Anlehnung an Clifford Geertz, für die Methode "dichter Beschreibung", die die Comic-Kultur "aus der Sicht der an ihr Beteiligten bzw. in ihnen Handelnden" vorstellt (111). Auf dieser Ebene seien verschiedene Methoden hilfreich: strukturalistische, biographisch (am Comic-Autor) orientierte, historiographische, genrebezogene, soziologische sowie psychologisch-psychoanalytische (die der Differenz zwischen tatsächlichem und erinnertem Comic nachgehen, 109 f.). In der Materialauswahl entscheidet sich B. für fünf US-amerikanische Superhelden-Comics, "die weltweit (im Original bzw. in angemessener Übersetzung) Vertrieb finden, von einer gewissen Haltbarkeit sind und einen (von entsprechenden Umsatzzahlen begleitet) deutlichen Grad an Popularität oder einen maßgeblichen Kultstatus erlangt haben" (103 f.). Während sich die bisherigen Teile mitunter etwas hölzern lesen, nimmt der Hauptteil "Etappen dichter Beschreibung" (113 ff.) mitten in die Comicwelt hinein. Er ist flüssig und auch spannend geschrieben, ohne seine eigentliche Aufgabe zu vernachlässigen: Sinnwelten von Comics darzustellen. Die Leserin bzw. der Leser begegnet sozusagen von Geburt bis (Beinahe-) Tod fünf Superhelden: Batman (Deutungsaspekt "Schatten der Vergangenheit"), Spider-Man ("Die Frage nach dem ,Ich'"), Spawn ("Vom Ende der heilen Welt"), Sandman ("Der Wert der Hoffnung und des Lebens") sowie Preacher ("Die Suche nach Gott ... führt in die eigene Biographie"). Ein Exkurs über "letzte Worte in vorletzten Augenblicken" - über die Bewältigung des Sterbens - ergänzt diesen Hauptteil.

Der theologische Ertrag wird im Schlussteil "Endstation" (213 ff.) zusammengefasst. Unter ,Religion' versteht der Vf. in multifunktionaler Sichtweise "Prozeß und Resultat zeitlich nicht begrenzter Welt- und Selbsterschließungsvorgänge bzw. Welt- und Selbstdeutungsvorgänge" (angesichts eines möglichen ,Letzten', vgl. 20). Von daher kritisiert er Theologen (wie I. U. Dalferth), die kulturell etablierte Sinngeschichten lediglich abqualifizieren und deren Erforschung anderen Wissenschaften überlassen (vgl. 19).

Praktische Theologie steht nach B.s Sicht vor der Aufgabe, "die Transformationen christlichen Glaubens in volkskirch- licher Realität aufzuspüren, indem sie kulturhermeneutisch arbeitet, die verschiedensten Deutungsmuster der Gegenwart nachzeichnet" und mit dem Sinngehalt ihrer Konfession vergleicht (221). B. legt als Ergebnis seiner Untersuchung einen "Katechismus" bzw. ein "Credo der medialen Moderne" vor (220), als dessen Elemente er die Beziehungsdeutung darlegt zwischen Mensch und "Welt", "Geschichte", "Endlichkeit", "Menschen und Werte", "Trauerarbeit" sowie zwischen ",Alter Mensch' und ,neuer Mensch'". - Während ich die bisherige Arbeit sehr schätze, beginnen meine Anfragen mit der, wie mir scheint, christlichen Vereinnahmung der Comic-Sinnwelt (bzw. dem medialen Credo der Moderne). Es ist natürlich eine Möglichkeit, das Gemeinsame zwischen beiden Credos zu betonen. Ertragreicher wäre es m. E. jedoch für die Theologie, ebenso auf Differenzen zu achten. Natürlich könnte man dem christlichen Symbolsystem in der Perspektive unendlicher Semiose ein schier unendliches semantisches Potential unterstellen. Interessanter wäre es jedoch, die theologisch bzw. christlich-wirkungsgeschichtlich unabgegoltenen Sinnfragen der Comic-Sinnwelten (und damit der medialen Moderne) herauszustellen. Hierzu zählt m. E. die wiederholt herausgestellte Frage nach dem Verhältnis von Maske (Superheld) und Mensch, eigenem Ideal und Wirklichkeit, Wert und Bedeutung angesichts des Todes (vgl. 145.153 ff.). Dies sind narzisstische Grundfragen der medialen Moderne, die mir anhand der dargestellten Sinngeschichten vordringlicher erscheinen als Luthers Fokussierung auf Schuld und Vergebung. (Statt der Schuldfrage formulieren die Superhelden eher die ethische Überforderung durch eine ethisch nicht mehr systematisierbare, zu komplexe Welt. Von dieser Überforderung kann auch Vergebung nicht entlasten, sondern eher die Akzeptanz eigener Begrenztheit). Insofern befindet sich die Theologie einer medialen Moderne noch in den Anfängen.