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Ausgabe:

Februar/2001

Spalte:

201–203

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Ool, Peter J. M. A. van

Titel/Untertitel:

Befreiende Praxis der Nachfolge. Biblische, historische und befreiungstheologische Impulse zur Nachfolge Jesu, des Christus.

Verlag:

Würzburg: Echter 2000. 429 S. gr.8 = Studien zur Theologie und Praxis der Seelsorge, 41. Kart. DM 56,-. ISBN 3-429-02187-1.

Rezensent:

Uta Pohl-Patalong

Die katholische Regensburger Dissertation unternimmt eine detaillierte Untersuchung des Verständnisses und der Bedeutung des Nachfolgebegriffs in der Befreiungstheologie und ihrer Rezeption biblischer und kirchengeschichtlicher Traditionen. Nachdem es in der theologischen und kirchlichen Diskussion um die Ansätze der Theologie der Befreiung ruhiger geworden ist, möchte die Arbeit nun einen Beitrag zu einer theologischen Würdigung und kritischen Analyse eines ihrer zentralen Begriffe leisten, der jedoch bislang kaum systematisch aufgearbeitet wurde. Der Autor verfolgt damit auch ein "vermittlungstheologisches Anliegen", das einerseits "Loyalität zum Lehramt der Römisch-Katholischen Kirche", andererseits "kritische Sympathie für die lateinamerikanische Theologie der Befreiung" beinhaltet (5).

Nach einer kurzen Skizzierung der sozialen und politischen Situation in Lateinamerika anhand katholischer Stellungnahmen gibt die Arbeit einen Überblick über die - kontextuell bestimmten - Anliegen der Theologie der Befreiung und ihre zentralen Begriffe sowie die von ihr vertretene Christologie. Die kritischen Stellungnahmen des katholischen Lehramtes zu diesen Inhalten werden dargestellt und ihre "Sorge um die Wahrheit über Jesus Christus" (67) ebenso gewürdigt wie die befreiungstheologischen Anliegen. Der Kernteil des Buches stellt das Verständnis und die Stellung der Nachfolge im Werk der vier Befreiungstheologen Gustavo GutiÈrrez, Segundo Galilea, Leonardo Boff und Jon Sobrino dar. Ihnen gemeinsam - mit einem besonderen Akzent bei Boff und Sobrino - ist die zentrale Bedeutung des Nachfolgegedankens für ihre Theologie im lateinamerikanischen Kontext, ohne dass sie dies systematisch darstellen und reflektieren. Auf dem Hintergrund der befreiungstheologischen Option für die Armen steht der Nachfolgegedanke bei allen in enger Verbindung mit der Orthopraxie, die Boff und Sobrino - vom Autor der Studie kritisch gesehen - eindeutig der Orthodoxie vorordnen, während GutiÈrrez und Galilea das Verhältnis ausgewogener bestimmen. Das Nachfolgemotiv steht bei den vier Befreiungstheologen in enger Verbindung mit einer spirituellen Praxis, Boff und Sobrino ordnen insbesondere das Ordensleben der Nachfolge Jesu zu. Van Ool würdigt die Aufmerksamkeit der Entwürfe für das Thema Nachfolge und insbesondere ihre Kontextualität, die Verbindung zur Praxis und zur Gemeinschaftsdimension sowie die Wiederentdeckung der Bedeutung der Christologie insgesamt, während er insbesondere ihre Einseitigkeit in der Hervorhebung der Orthopraxie und der Christologie von unten kritisiert und um ihr Gegenstück bereichert wissen möchte. Insgesamt bietet das Kapitel eine materialreiche und akribisch belegte Einzelanalyse der vier Theologen, deren Erkenntnisgewinn jedoch durch eine stärkere Zuspitzung und Systematisierung der Erkenntnisse erleichtert würde. Auch die Zusammenschau der Einzeluntersuchungen beschränkt sich auf grundlegende Ergebnisse und stellt damit erneut eher die Gemeinsamkeiten heraus, so dass der Gewinn einer Aufgliederung der Untersuchung nach den vier Autoren gegenüber einer systematischen Darstellung nicht ganz deutlich wird.

Die letzten beiden Kapitel sind der Rezeption biblischer und historischer Traditionen des Nachfolgemotivs gewidmet. Van Ool stellt zunächst das jeweilige Verständnis von Nachfolge in den einzelnen biblischen Büchern bzw. in den einzelnen historischen Epochen dar und untersucht anschließend, welche Traditionen GutiÈrrez, Galilea, Boff und Sobrino jeweils ausgenommen bzw. vernachlässigt haben. Es zeigt sich, dass alle Autoren sich bei der Rezeption biblischer Traditionen auf die vier Evangelien konzentriert haben, darunter Boff und Sobrino v. a. auf die Synoptiker. Auch die paulinische Literatur findet Berücksichtigung, weniger jedoch die Deuteropaulinen und der 1. Petrusbrief. In seiner kritischen Würdigung hebt O. diese eher selektive Rezeption hervor und weist auf den Wert einer "Vertiefung und Erweiterung der Beschäftigung mit der Nachfolge Jesu Christi im Neuen Testament" (374) hin. Insbesondere eine Aufnahme des Nachfolgemotivs in der Offenbarung des Johannes sieht er als bereichernd an, da sie die eschatologische Dimension der Nachfolge herausheben würde, die er in der Befreiungstheologie vermisst. Kritisch untersucht er auch die Darstellung der Frauen in der Nachfolge Jesu in den befreiungstheologischen Entwürfen und analysiert, dass "auch die progressivsten lateinamerikanischen Theologen vom ,machismo' geprägt sind" (375), indem GutiËrrez und Boff in ihren früheren Veröffentlichungen, Galilea und Sobrino bis in die Gegenwart entgegen feministischen Erkenntnissen Frauen als Versorgerinnen der Jünger darstellen.

Auch die Aufnahme der kirchengeschichtlichen Nachfolgetraditionen in den befreiungstheologischen Entwürfen analysiert O. als selektiv. Trotz ihres kontextuell verständlichen Interesses für das Martyrium und das Ordensleben werden die Traditionen der Alten Kirche kaum rezipiert. Von den mittelalterlichen Traditionen findet vor allem die Spiritualität der Bettelorden Beachtung, wobei gerade im Verhältnis zur Armut und in der Treue zur Kirche auch erhebliche Differenzen festzustellen sind, die v. a. Boff auch kritisch thematisiert. Für die Neuzeit zeigt sich ein Schwerpunkt der teils affirmativen, teils kritischen Rezeption bei der spanischen Mystik, vor allem bei Ignatius, und im 20. Jh. dann - quer zu den Konfessionen - bei Dietrich Bonhoeffer, Karl Rahner, Johann Baptist Metz und Jürgen Moltmann. Auch hier weist O. auf den Gewinn einer breiteren Aufnahme der Tradition hin.

Zu den beiden rezeptionsgeschichtlichen Kapiteln würde ich mir noch eine systematische Untersuchung, wie die aufgenommenen Traditionen den jeweiligen Entwurf im Einzelnen geprägt haben, wünschen. Offen bleibt für mich auch die Frage nach dem spezifischen praktisch-theologischen Ertrag der Untersuchung. Die Hinweise auf die Bedeutung der Nachfolge für die Praktische Theologie und die Verbundenheit der Befreiungstheologie mit der pastoralen Praxis in der Verortung der Arbeit (11) wären durchaus in den Ergebnissen der Studie auszuführen. Die Arbeit leistet jedoch einen spezifischen Beitrag zur europäischen Wahrnehmung und Würdigung befreiungstheologischer Erkenntnisse und detaillierte Analysen zu einem bisher kaum systematisch wahrgenommenem Thema.