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Ausgabe:

Februar/2001

Spalte:

200 f

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Kreuzer, Thomas

Titel/Untertitel:

Kontexte des Selbst. Eine theologische Rekonstruktion der hermeneutischen Anthropologie Charles Taylors.

Verlag:

Gütersloh: Kaiser/Gütersloher Verlagshaus 1999. 409 S. gr.8 = Öffentliche Theologie, 12. Kart. DM 88,-. ISBN 3-579-02638-0.

Rezensent:

Matthias Petzoldt

Die vorliegende Druckfassung der in Frankfurt/M. eingereichten Dissertation sieht mit den Arbeiten des kanadischen Sozialphilosophen Charles Taylor (= T.) einen Paradigmenwechsel in der Ethik angezeigt. Diesen beschreibt K. im Teil I seines Buches in fünffacher Weise: von der deontologischen Moraltheorie zur Selbstaufklärung des Ethos; von der Moral des richtigen Handelns zur Ethik des guten Lebens; vom Atomismus zur sozialen Verfasstheit der Person; von der Defizitorientierung in der Ethik zum Kompetenzmodell; von der Eindimensionalität des Nichtmetaphysischen zum unabgegoltenen Sinn des Religiösen. Aus der Sicht des Rez. mag es der weiteren Diskussion überlassen bleiben, wie tiefgreifend der Einfluss des Taylorschen Werkes auf die Grundlagendiskussion der Ethik eingeschätzt wird. Ob sich hier ein "Paradigmenwechsel" vollzieht, ist darüber hinaus auch eine Frage glücklicher Begriffswahl.

Teil II stellt das Gesamtwerk des Philosophen dar, soweit es sich bis zum jetzigen Zeitpunkt überblicken lässt. Den Schlüssel seiner Interpretation fasst K. in die These: "Das Personenkonzept ist der programmatische Kern des Taylorschen uvres" (11). Zur Sprache kommen u. a. T.s Konzept der starken Wertungen, welches Aufklärung über das eigene Selbst und das jeweilige Ethos ermöglicht, die Theorie der sinnverbürgenden frameworks als Transformation des aristotelischen Ethos-Begriffs, T.s Sprach- und Sozialphilosophie (das hermeneutische Modell des best account, die Darstellung des Menschen als self-interpreting animal, T.s Freiheitskonzeption und sein Demokratiemodell im Kontext der Kommunitarismusdebatte). Schließlich arbeitet K. die theologischen Aspekte im Hauptwerk Quellen des Selbst als auch in den anderen Schriften heraus, stellt die Thematisierung der Transzendenzerfahrung als eines Konstituens moderner Identität sowie des Theismus als integrativer Kraft der Moderne wohlwollend zur Debatte und begrüßt vor allem T.s schöpfungstheologisches Argument, wonach das Gut-Sehen der Welt diese zu einem Ort des Guten gestaltet.

Berücksichtigt man die o. g. Perspektivität der Interpretation, so kann man diesen 240 Seiten umfassenden Hauptteil des Buches eine gelungene Rekonstruktion von T.s Gedankengut nennen. Schon darin hat das Buch seinen Wert, dass es sich mit einem philosophischen Werk auseinandersetzt, das in der deutschsprachigen Theologie immer noch viel zu wenig Beachtung findet. Darüber hinaus gewährt es Einblicke in die weitgefächerte philosophische Diskussion um T.s Philosophie, die gerade auch in Deutschland geführt wird. In die Rezeptionsdebatte mischt sich K. wiederholt ein. Sein Anliegen reiht sich in heutige Versuche ein, das anthropologische Defizit deontologischer und prinzipialistischer Moraltheorien aufzuarbeiten und die Trennung von ethischen Fragen der Lebensführung und moralischen Fragen des unbedingt geschuldeten Handelns durch Rückholung der Fragen des guten Lebens in die moraltheoretischen Reflexionen zu überwinden. T. dient hierzu als Kronzeuge in der Kritik an der Diskursethik Apel/Habermasscher Provenienz. Allerdings verliert K. mit dem Fortgang der Untersuchung Apel und Habermas als Gesprächspartner aus den Augen. So fällt die Begründungslast für Ethik in seiner Argumentation ganz auf die Geschichten, die die jüdisch-christliche Kultur geprägt haben und auf die hinzuhören zur Wahrnehmung dessen führt, was als Ethos schon in Geltung ist. Soll das die Lösung für eine ethische Orientierung in pluralistischer Kultur sein, in der die großen Erzählungen ihre Plausibilität verloren haben? Sicher gilt es, von Lyotards Diagnose sich nicht irritieren zu lassen, also gerade die stories der abendländischen Kultur einzubringen, damit sie ihre prägende Kraft auch heute entfalten können. Die europäische Kultur ist jedoch von einem anderen Pluralismus in den Grundüberzeugungen gekennzeichnet als der nordamerikanische Kontext T.s. In ähnlicher Weise hat sich für das Personenkonzept des australischen Bioethikers und Utilitaristen P. Singer, mit dem sich K. nicht auseinandersetzt (nur einmal erwähnt, 317), das jüdisch-christliche Erbe erledigt. Also kann zur Klärung aktueller ethischer Problemstellungen auf die kommunikative Rationalität einer Diskursethik nicht verzichtet werden. Eben deshalb ist das Gespräch mit ihr im Problemfeld der Fundamentalethik noch lange nicht beendet. Natürlich steht dabei die Frage mit auf dem Prüfstand, wie tragfähig der diskursethische Universalismus im Pluralismus von Moralen ist.

In Teil III zieht K. die Linien seiner T.-Interpretation auf Fragen der Konzeptualisierung theologischer Ethik aus. Hatte er im zweiten Teil an der katholischen Perspektive T.s im Ordo-Denken eines geschlossenen, das Gute verbürgenden Wertehorizontes und in der beschönigenden Analyse des zum Guten befähigten Menschseins verschiedentlich Kritik geübt, so treten die hierbei implizierten evangelischen Aspekte in den abschließenden Überlegungen eigenartig zurück. Vielmehr ist es K. nun darum zu tun, die theoretische Anschlussfähigkeit von T.s hermeneutischer Anthropologie zu J. Fischers Entwurf einer Ethik aus dem Geist, zum Story-Konzept D. Ritschls und zu jüngsten Reintegrationsbemühungen des Tugendbegriffs in theologische Ethik (z. B. K. Stock) aufzuzeigen. Alle diese und andere (z. B. F.-R. Volz, W. Huber) Synthesen sollen in ein Verständnis von theologischer Ethik als Lebensführungshermeneutik münden, welche in der Zielstellung dichter Beschreibungen von Personen und ihren Kontexten auf die Wahrnehmungs- und Verstehensperspektiven anderer (Human-)Wissenschaften angewiesen ist und die sich deshalb als Integrationswissenschaft zu begreifen und zu konzipieren hat.

Ein Buch liegt hier vor, das interessante und dringliche Problemstellungen aufgreift. Ermüdende Redundanz erschwert aber die Lektüre.