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Ausgabe:

Februar/2001

Spalte:

190–193

Kategorie:

Titel/Untertitel:

Kirche zwischen Selbstbehauptung und Fremdbestimmung. Unter Mitarbeit von K. Blaschke, J. Alwast, V. Jakob u. K. Reumann.

Verlag:

Neumünster: Wachholtz 1998. 473 S. gr.8 = Schleswig-Holsteinische Kirchengeschichte, 6/1. Kart. DM 48,-. ISBN 3-529-02831-2.

Rezensent:

Hasko v. Bassi

Ein zunächst merkwürdiges Buch: Es handelt sich um eine 340-seitige Monographie zum Kirchenkampf in Schleswig-Holstein, ergänzt um drei vorgeschaltete Aufsätze, die die Weimarer Zeit behandeln, wobei der erste Beitrag den Kirchenverfassungsfragen, vor allem in der Frühphase des demokratischen Staates, der zweite der Gesamtzeit der Weimarer Republik, wiederum einsetzend mit eben denselben Verfassungsfragen, und der dritte Beitrag schließlich den theologiegeschichtlichen Aspekten der 20er Jahre gewidmet ist. Das macht einen etwas unorganischen Eindruck, und dies wurde nicht zu Unrecht bereits bei Besprechungen früherer Bände der "Schleswig-Holsteinischen Kirchengeschichte" beklagt (ThLZ 108, 1983, 848; 110, 1985, 535). Der vorliegende Band dokumentiert das Problem bereits auf dem Titelblatt, das eine "Mitarbeit" von vier Autoren konstatiert (wobei die Reihenfolge ihrer Nennung rätselhaft bleibt), aber eben keine redaktionelle Verantwortung. So kommt es, dass notwendige Querverweise fehlen und manches doppelt ausgeführt wird.

Den Bänden der "Schleswig-Holsteinischen Kirchengeschichte", die seit 1977 im Verlag Wachholtz in Neumünster erscheinen, liegt leider kein von Herausgebern verantwortetes kirchenhistorisches Konzept zu Grunde. Wer dies erwartet, wird enttäuscht. Gewürdigt werden müssen diese Bände als Sammelwerke, in denen einzelne Autoren verschiedene Aspekte der jeweiligen Epochen der schleswig-holsteinischen Kirchengeschichte beleuchten. Unter dieser Voraussetzung verdient dann freilich schon allein das Zustandekommen des Projektes Anerkennung, und dies schließlich um so mehr, als eine Reihe von Beiträgen bemerkenswert gründlich gearbeitet ist, eine Vielzahl wenig bekannter Quellen erschließt und so eine gute Grundlage für weitere Forschung bietet.

Der Präsident des Nordelbischen Kirchenamtes, Klaus Blaschke, legt seiner Skizze der kirchlichen Situation in der Frühphase der Weimarer Republik vor allem die kirchlichen Gesetz- und Verordnungsblätter zu Grunde. Diese Unmittelbarkeit hat ihren besonderen Reiz, etwa wenn es am 28. November 1918 lapidar heißt: "Bei den veränderten politischen Verhältnissen ist in dem allgemeinen Kirchengebet die Fürbitte für den König und das Königliche Haus in Wegfall gekommen." (11) Im Übrigen ist die Lage gekennzeichnet durch ansteigende Kirchenaustrittszahlen, durch den Verlust Nordschleswigs, dessen Geistliche nun mit "warmem Dank" (13) verabschiedet werden, und durch allerlei finanzielle Nöte.

Volker Jakob bietet unter der Überschrift "Die Evangelisch-Lutherische Landeskirche Schleswig-Holsteins in der Weimarer Republik" eine Zusammenfassung seiner gleichnamigen Dissertation, die hier bereits früher angezeigt worden ist (ThLZ 123, 1998, 870-873), so dass sich eine eingehende Würdigung an dieser Stelle erübrigt. Hervorhebung verdient Jakobs Hinweis darauf, dass eine Darstellung der Kirchengeschichte Schleswig-Holsteins während des 1. Weltkriegs nach wie vor ein Desiderat ist. Dies wäre dann allerdings zugleich eine kritische Rückfrage an den inhaltlichen Aufbau der vorliegenden "Schleswig-Holsteinischen Kirchengeschichte", denn ihr Band 5 "Kirche im Umbruch" reicht von der Aufklärung bis in die preußische Zeit und streift die Jahre 1914 bis 1918 nur an einigen wenigen Stellen.

Alwasts Skizze der theologischen Diskussionslandschaft der 20er Jahre ist faszinierend, und sie macht deutlich, wie intensiv die Kieler Fakultät an den zeitgenössischen Debatten der einzelnen Disziplinen partizipierte. (Leider fehlt in dem vorliegenden Band ein theologiegeschichtliches Pendant für die NS-Zeit; der knappe Hinweis in Anm. 777 auf Seite 293 reicht dafür nicht aus.)

Am Rande des Friedrich-Naumann-Kongresses in Lauenburg hat Günter Brakelmann vor einigen Jahren zu Recht davor gewarnt, Kirchengeschichte als Fakultätsgeschichte zu betreiben. So interessant und wichtig die Universitätstheologie auch ist, es wäre also sinnvoll, den Fragehorizont dahingehend zu erweitern, in welchem Umfang sie sich auf der kirchlichen Ebene noch widerspiegelte. Welche theologischen Fragen trieben Pastoren und Gemeinden in Schleswig-Holstein um? Gab es so etwas wie eine kirchliche "Durchschnittstheologie" im Lande und wie verhielt sie sich zu den akademischen Diskursen der Zeit? Alwast selbst weist dankenswerter Weise bereits auf die Notwendigkeit hin, auch "kirchentheologische Beiträge" (79) zu berücksichtigen. Hier tut sich nicht nur für die nordelbische Kirchengeschichte ein reiches Betätigungsfeld auf.

Jendris Alwast hat in den letzten Jahren immer wieder schärfste - und in eben dieser Schärfe nicht immer berechtigte - Kritik geübt, wenn es um die gegenwärtige wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem theologischen uvre Emanuel Hirschs ging. Auch im vorliegenden Band klagt er: "Gegenwärtig zeigen sich in der theologiegeschichtlichen Erforschung der NS-Zeit verharmlosende Tendenzen, die, losgelöst von den tatsächlichen Verbrechen dieses Systems und der freiwilligen Mitarbeit von Theologen in ihm, nach der Kontinuität bzw. Diskontinuität theologischer Paradigmen in dieser Zeit fragen." (107) So sei an dieser Stelle freundschaftlich zurückgefragt, ob dann nicht auch die durchaus sympathische Darstellung der theologischen Bemühungen Hermann Mandels, die Alwast gibt, unter sein eigenes Verdikt fallen müsste, hat Mandel sich in der NS-Zeit doch, wie Reumann (215) berichtet, zum Fürsprecher eines "artgemäßen deutschen Glaubens" gemacht (siehe hierzu jetzt auch Matthias Wolfes' Artikel in BBKL 15, 1999, 930-939). Mit moralischen Kategorien historische und systematische Rekonstruktionsbemühungen zu disqualifizieren, ist, trotz aller Sympathie, die man für Alwasts Entrüstung im Blick auf Hirsch haben mag, jedenfalls ein nicht ungefährlicher Ansatz.

Auch wenn man sich hier durch die drei genannten Beiträge von Blaschke, Jakob und Alwast vergleichsweise eingehend mit der ersten deutschen Demokratie befasst, entsteht durch die unausgewogene Architektur des Bandes doch der falsche Eindruck, als sei die Weimarer Republik kirchenhistorisch wesentlich als Vorgeschichte des Kirchenkampfes einzuordnen. Spätestens seit den einschlägigen Arbeiten von Kurt Nowak wissen wir, dass das nicht so ist.

Der langjährige Lehrbeauftragte für schleswig-holsteinische Kirchengeschichte an der Kieler Theologischen Fakultät, Klauspeter Reumann, hat mit seiner Darstellung des Kirchenkampfes ein opus magnum vorgelegt, das vor allem durch die intensive Quellenrecherche beeindruckt. Nachlässe der führenden Köpfe aller beteiligter Gruppen wurden ebenso ausgewertet wie staatliche und kirchliche Akten bis hin zu Kirchenkreis- und Pastoratsarchiven quer durch das Land.

In dreizehn breit ausgeführten Kapiteln zeichnet Reumann, der in den vergangenen Jahren bereits eine Vielzahl von Detailstudien vorgelegt hat, ein facettenreiches Bild der komplexen Vorgänge im Norden des Reiches. Schon 1932 wählten hier über 50 % der Bevölkerung nationalsozialistisch, und schon vor der sog. Machtergreifung waren mehr als ein Viertel der schleswig-holsteinischen Pastoren Parteimitglieder. Nach einer Analyse der Quellenlage und des bisherigen Forschungsstandes sowie einer Skizze der kirchlichen Situation vor allem in der Spätphase der Weimarer Republik setzt Reumann ein mit den Aktivitäten der Deutschen Christen Anfang der dreißiger Jahre, der Selbstauflösung der Landessynode, der sog. Braunen Synode, im September 1933 und den ersten Zwangsmaßnahmen in Gestalt von Versetzungen von missliebigen Pröpsten und Pastoren. Zur Jahreswende 1933/34 waren praktisch alle kirchenleitenden Positionen in DC-Hand, einschließlich des neu geschaffenen Amtes des Landesbischofs, das der Kieler Pastor Adalbert Paulsen bekleidete. Die bisherigen Bischofsämter für Schleswig und Holstein wurden aufgehoben. Das Landeskirchenamt unterstand dem SA-Mann Christian Kinder, der zunächst Vizepräsident, später Präsident wurde. Ein überwiegend nationalsozialistisch geprägter Landeskirchenausschuss trat an die Stelle der Synode. In der "Not- und Arbeitsgemeinschaft schleswig-holsteinischer Pastoren" formierte sich erster Widerstand gegen die Unrechtsmaßnahmen der neuen kirchlichen Machthaber, die ihrerseits durch die gegen das Judentum und das Alte Testament gerichtete Berliner Rede des DC-Gauleiters Krause im November 1933 eine selbst verursachte Schwächung auch in Schleswig-Holstein erfuhren. Als die Landeskirche sich der DC-bestimmten "Deutschen Evangelischen Kirche" unterstellte, beförderte dies die Formierung einer "Bekennenden Kirche" im Lande. Auch die zwangsweise Eingliederung der kirchlichen Jugend in HJ und BDM stärkte die Bekenntnisbewegung. Hilflose Einigungsversuche des Landesbischofs, der die DC 1934 verließ, blieben ohne Wirkung. Die erste Bekenntnissynode trat im Juli 1935 zusammen. Sie setzte einen Landesbruderrat und das Präsidium der Synode als eigene kirchenleitende Organe ein. Zu den problematischen Aspekten der Bekenntnisbewegung gehört ihre abweisende Haltung gegenüber aufrechten Demokraten, die theologisch liberal geprägt und aktive Unterstützer der Weimarer Republik waren. Der politisch weitsichtige und den Nationalsozialismus schon früh bekämpfende Hermann Mulert etwa war in Bekenntniskreisen unerwünscht (siehe hierzu jetzt: Matthias Wolfes, Hermann Mulert (1879-1950). Lebensbild eines Kieler liberalen Theologen, Neumünster 2000). In den folgenden Jahren versuchte man staatlicherseits zu einer Beruhigung des politisch inopportunen kirchli- chen Konfliktes zu gelangen durch Einsetzung gemischt besetzter Kirchenausschüsse. Die zeitweilige Beteiligung der BK am Kirchenregiment endete 1937, gleichwohl gab es auch danach verschiedene Ansätze einer Zusammenarbeit. Die kirchenpolitischen Gruppierungen verloren an innerer Geschlossenheit, in der DC traten Gemäßigte und Nationalkirchler auseinander, in der BK gab es einen letztlich nicht gelösten Konflikt um die Frage der Aufrechterhaltung eines kirchenregimentlichen Anspruchs und um das Verhältnis zur dahlemitischen Richtung.

Die BK verzichtete weitgehend auf eine politische Kritik, schwieg auch zur Verfolgung der Juden. Einzelne Pastoren, die von Familien jüdischen Glaubens abstammten oder die Kritik an Partei und Staat übten, wurden Opfer nationalsozialistischer Unrechtsmaßnahmen wie Amtsenthebung, Ausweisung und Verschleppung ins KZ. Der deutsche Aggressionskrieg ließ die innerkirchlichen Konflikte in den Hintergrund treten, zu einer wirklichen Befriedung kam es nicht. Nach Kriegsende trat im August 1945 eine Vorläufige Gesamtsynode zusammen. Die alten Bistümer Schleswig und Holstein wurden wieder errichtet. Mit Halfmann und Wester übernahmen zwei Exponenten der BK die Bischofsämter.

Besonders zu danken ist es Reumann, dass er in einem gesonderten Kapitel gründlich auf die Lage der Grenzlandbevölkerung in den Jahren 1933 bis 1945 eingeht mit den jeweiligen Minderheiten beiderseits der deutsch-dänischen Grenze im Spannungsfeld zweier lutherischer Kirchen. Reumann präsentiert eine äußerst detaillierte und zugleich lesbare Abhandlung, bei der man sich als Leser stets auf sicherem Grund fühlt. Erstmals liegt damit eine wissenschaftliche Darstellung des schleswig-holsteinischen Kirchenkampfes vor, die bis auf weiteres den Rang eines Standardwerks für sich reklamieren kann.

Die Gründlichkeit, mit der Reumann gearbeitet hat, dokumentiert sich auch im Literaturverzeichnis. Auch an entlegeneren Stellen publizierte Schriften hat der Vf. aufgestöbert und ausgewertet. Einige wenige ergänzende Hinweise: Karl Heinrich Melzer, Der geistliche Vertrauensrat, Göttingen 1991; Gustav Frenssen in seiner Zeit. Massenliteratur zwischen Kaiserreich und Nationalsozialismus, Heide 1996 (hierin vor allem der Beitrag von Manfred Adam über den Theologen Frenssen).

Corrigenda: Im Quellen- und Literaturverzeichnis des Beitrages von Jakob ist statt einer "Norddeutschen" doch wahrscheinlich die "Niederdeutsche Kirchenzeitung" gemeint. Die Studie über die "Revolution in Kiel" ist von Dähnhardt (nicht Dähnert) verfasst (auch 38, Anm. 4). Das Buch von Rietzler erschien 1982 (nicht 1988).

Auf S. 118 spricht Reumann zunächst von der zweiten Reichspräsidentenwahl 1932. Alle weiteren Details, die er dann dazu mitteilt, gehören historisch aber tatsächlich zur ersten Wahl von 1925. Hier ist offenkundig etwas durcheinandergeraten. - Unklar bleibt der Status des Archivs Schleswig-Friedrichsberg. Auf S. 114, Anm. 6 ist die Rede von einem Kirchenkreisarchiv Schleswig in Friedrichsberg, auf S. 136, Anm. 102, dann (vermutlich richtig) von einem Pastoratsarchiv Schleswig-Friedrichsberg (so auch S. 418, Anm. 1289).