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Ausgabe:

Februar/2001

Spalte:

177–180

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Faber, Eva-Maria

Titel/Untertitel:

Symphonie von Gott und Mensch. Die responsorische Struktur von Vermittlung in der Theologie Johannes Calvins.

Verlag:

Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag1999. XIII, 496 S. 8. Kart. DM 98,-. ISBN 3-7887-1722-X.

Rezensent:

Klauspeter Blaser

Eine katholische Habilitationsschrift (Freiburg i. Br.) in einem reformierten Verlag und u. a. mit reformiert-kirchlicher Beihilfe publiziert, dazu von einer Frau - das ist mit Sicherheit ein beachtenswertes ökumenisches Ereignis, vom sachlichen Gewicht der vorgelegten Studie einmal ganz abgesehen. Die Autorin versteht diese dezidiert als "römisch-katholischen Beitrag zur Calvinforschung" (27) und beabsichtigt damit, diesen Forschungszweig zu stärken. Sie tritt dabei mit der als " katholisches Anliegen" charakterisierten Vermittlungsfrage an ihr Forschungsobjekt heran, jedoch mit der ausdrücklichen Versicherung, Calvin nicht auf die Vereinbarkeit mit der römisch-katholischen Lehre prüfen zu wollen. Wir werden später darauf zurückkommen müssen. Zunächst ist es angebracht, über Form, Aufbau und Inhalt des in jeder Hinsicht gewichtigen Buches zu berichten.

Neben allerlei Vorfragen (Forschungsbericht, Methoden, usw.) klärt Faber in ihrer Einleitung zunächst den Begriff der Vermittlung. Wie kommen Gott und Mensch zusammen? Entzieht zwar die Schöpfungstheologie einer dualistischen Weltauffassung den Boden (18), so bleibt dennoch die Frage, "wie also das Geschöpf als eigenständige Wirklichkeit vor Gott stehen und bestehen kann", ohne das Gott-sein Gottes zu begrenzen (19). Auf personaler und geschichtlicher Ebene postuliert die Gnadenlehre, dass der Teilhabe eine Teilnahme entsprechen muss: "im Vermittlungsgeschehen muß also die Bewegung von Gott her eine Bewegung vom Menschen her wecken und beides miteinander verbinden" (20). Weil nun Gott den Menschen in seiner Eigenständigkeit respektiert, aber ihn nicht sich selbst überlässt, bedient er sich geschichtlicher Medien und Vermittlungsgestalten (21). Höhepunkt dieses Geschehens ist das soteriologische Handeln Gottes in Christus. Letztlich geht es um das Verhältnis von Gnade und Freiheit, von göttlicher Initiative und menschlichem Einstimmen. Ein unvermitteltes Handeln Gottes am Menschen würde dessen geschichtliche Existenz aufheben und eine freie Antwort verunmöglichen. So ist Vermittlung eine solche zur Unmittelbarkeit und es gilt Kriterien herauszuarbeiten, die Gott und Geschöpf in diesem Sinn verbinden (23). Fehlender schöpfungstheologischer Reflexion sei es zuzuschreiben, dass besonders die dialektische Calvindeutung ein ursprüngliches Vermitteltsein von Gott und Mensch ausklammert und das Vermitteltwerden durch Gott privilegiert (5).

Mit F. sei die Schlüsselstelle aus Inst. III, 6,1 zitiert (463): "Das Ziel der Wiedergeburt besteht darin, daß im Leben der Glaubenden ein Gleichmaß und Zusammenstimmen zwischen der Gerechtigkeit Gottes und ihrem Gehorsam erscheint". Die zusammengefasst wiedergegebene Ausgangsproblematik, die sich als eine calvinische präsentiert, bestimmt nun den weiteren Aufbau und die Durchführung des Buches im Einzelnen. Wir können auch hier nur auf resümierende Passagen zurückgreifen.

Nachdem ein Prolog, überschrieben "Der Abgrund" zunächst den "unermeßlichen Abstand zwischen Gott und Mensch, die unvermittelte Kluft zwischen Zeit und Ewigkeit ..., den unversöhnlichen Abgrund zwischen dem heiligen Gott und dem Sünder" (37) ausdrücklich festgehalten hat, beginnt die Durchforstung von Calvins Werk unter dem angegebenen Gesichtspunkt in drei großen Teilen. Der erste thematisiert das fragliche Verhältnis von unendlichem Gott und endlichem Geschöpf und tut dies, dem oben festgestellten schöpfungstheologischen Manko entsprechend, in erheblicher Breite: Gott und Geschöpf; der Mensch als Bild Gottes, Ewigkeit und Geschichte, der heilige Gott und der sündige Mensch - so lauten die Kapitelüberschriften. Als theologisches Resultat kristallisiert sich der antwortende Charakter der Schöpfung als zur Struktur des ursprünglichen Vermitteltseins von Gott und Welt gehörig heraus. Zwar ist bei Calvin jede Möglichkeit freier Hinkehr zur Gnade und jede Mitwirkung am Erlösungsgeschehen abgeschnitten, aber zum Ziel kommt die Vermittlung doch erst, wenn der Mensch zu Dankbarkeit, Glauben, Gehorsam, also zur Antwort findet. Diese responsorische Struktur zeigt sich auf allen Ebenen der Konstitution der Geschöpfe durch Gott. Der Mensch soll das, was Gott mit der Schöpfung vorhat, erkennen und mitvollziehen, wobei er in seiner Bewegung nur der von Gott her angelegten zweiseitigen Vermittlungsstruktur zu folgen braucht (183 f.367 f.).

Diesem Argumentationsmuster sind auch die übrigen Teile der Faberschen Studie verpflichtet. Der zweite Teil analysiert einzelne Vermittlungsgestalten, d. h. die äußere Schöpfung, die Prädestination, die Mittlerschaft Christi, Wort und Sakrament sowie die Kirche. Insofern die Schöpfungswirklichkeit Gabe an den Menschen ist, erweckt sie dessen dankbare Antwort. Auch der Ratschluss Gottes bezieht den Menschen so ein, "daß durch dessen aktives Einstimmen seine Würde als personales Wesen nicht geschmälert wird". Im Mittler Jesus Christus stiftet Gott selbst den Ort, an dem die Bewegung Gottes zum Menschen und des Menschen zu Gott sich realisiert; inkorporiert in Christus kann die Menschheit ihre Bewegung dann auch selbst vollziehen (351f.). Verkürzungen im zeitgenössischen Eucharistieverständnis hätten es gemäß F. Calvin verunmöglicht, "die Hingabe des Menschen an Gott und die Antwortbewegung der Glaubenden stärker zu verknüpfen" (ib.). Auch die sich auf dem Weg in die immer tiefere Lebensgemeinschaft mit Gott befindende Kirche fülle den in Christus eröffneten Raum des Vermitteltseins von Gott und Mensch als Antwortgemeinschaft in Gehorsam und Lobpreis (351). Eben so kommt ihr mittlerische Funktion zu, vornehmlich durch Amtsträger, aber auch durch die Glaubenden mittels der vielfältig konkreten Formen kirchlichen Lebens: "in dieser Weise institutionalisiert sich in der Kirche die Dynamik der Antwort" (ib.).

Der dritte Teil, in einen Schluss ausmündend, will die Strukturen von Vermittlung klären und führt vieles weiter, was schon vorher deskriptiv-analytisch zur Sprache gebracht worden war: die Bindung Gottes an die Vermittlung in Offenbarung, Schöpfung und Medien; das Verhältnis der äußeren Medien zum Wirken des Geistes; das Zusammenspiel von Gott und Mensch in Rechtfertigung und Heiligung. Weder ist Rechtfertigung nur ein kausaler Faktor, noch ist Heiligung nur eben Folge von Rechtfertigung: "anders und mehr als Luther reflektiert Calvin darauf, daß bei der Realisierung des Heils als der Gemeinschaft von Gott und Mensch, die Gott schenken will, der Mensch einen konstitutiven, weil für die Gemeinschaft unverzichtbaren Beitrag erbringen muß. Bei der Heiligung geht es um die gegenseitige Beziehung und um die antwortende Haltung des Menschen" (460 f.). Übrigens ist in diesem Zusammenhang auch das Verhältnis von Rechtfertigungstheologie und Bundestheologie von Belang: "Die Rechtfertigung aus Gnaden nimmt den Bedingungen, die der Bund stellt, den Charakter einer vom Menschen zu erbringenden Leistung. Die Bundestheologie hält die Konditionalität aber insofern fest, als sie das Vermitteltsein von Gott und Mensch als gegenseitige Beziehung bestimmt und das menschliche Ergreifen der Bundesbeziehung als innere Bedingung der Möglichkeit eines solchen gegenseitigen Verhältnisses aufweist" (460). Alles in allem geht es Calvin um den Zusammenklang von Gott und Mensch. Er "gründet darin, daß Gott mit der Schöpfung ein Lied anstimmt, um den Menschen zum Singen seines Lobes zu bringen; solche Musik wird wiederum ermöglicht durch den Gehorsam Christi, des ersten Vorsängers, der mit seinem menschlichen Willen den Gehorsam und so die Harmonie und die Entsprechung von Gott und Mensch neu begründet und vorlebt. Für die Glaubenden erwächst die Möglichkeit solchen Zusammenklingens mit Gott konkret in der responsorischen Struktur von Verheissung und Glaube" (467).

Was sollen wir nun hierzu sagen? Drei Dinge: 1. Für die Calvin-Forschung der Zukunft bildet das Werk von F. eine reiche Fundgrube. Vorstehender Bericht hat keine Ahnung geben können vom Reichtum an Zitaten, Verweisen und intratextuellen Zusammenhängen, welche von der Autorin erbracht werden. Niemand der sich ernstlich mit Calvin beschäftigt wird an ihrem Opus vorbeikommen, auch wenn er vielleicht dessen Fragestellung nicht teilt. Zwar werden darin nicht alle dogmatisch-biblischen Topoi des calvinischen Denkens erörtert; unter Berücksichtigung der Sekundärliteratur, die F. kenntnisreich einbezieht, kommen aber die großen Themen zur Sprache. Gefragt hat sich der Rez., weshalb die von P. Barth und D. Scheuner edierten Opera Selecta nicht einmal im Literaturverzeichnis vorkommen und warum z. B. die im Verlag Lang besser zugängliche Studie von R. Stauffer zu Gunsten ihrer Dissertationsform (Lille) unerwähnt bleibt.

2. Was eben rühmend hervorgehoben wurde, hat freilich auch einen negativen Aspekt; der Bericht zum Inhalt mag dies bereits angedeutet haben. Für mein Verständnis ist diese Arbeit zu lang, bzw. zu langfädig geraten; ihre Lektüre ist wegen der Wiederholstruktur ermüdend. Allerdings ist verständlich, dass die Vfn. ihre Entdeckung nicht auf einen einzigen Aspekt der Theologie Calvins beschränken konnte und wollte und, um dem Vorwurf bloßer Textanalyse zu entgehen, die Vermittlungsthematik nicht nur zu ihrem beherrschenden Thema sondern auch zu demjenigen Calvins machen musste. Dennoch ist es auf die Dauer enervierend, den Schlüsselbegriff gleichsam in jedem Satz dieses langen Buches anzutreffen. Man ist geneigt zu urteilen: weniger wäre mehr.

3. Wie ist das zu verstehen, dass Calvins Antwort "für katholische Ohren nicht nur befriedigend, sondern faszinierend klingt" (28)? Damit kommen wir auf das inhaltliche Problem der Vermittlung zurück. Es ist dem Rez. letztlich nicht ganz klar, was die Autorin beweisen will: (1) dass Calvin eine andere Vorstellung von Vermittlung anbietet als die katholische Tradition, (2) dass Calvin trotz entscheidenden Modifikationen letztlich katholisch ist, oder (3) dass sich die katholische Vermittlungstheologie von Calvin korrigieren lassen sollte?

Anscheinend sind es die angeblich "schillernden Aussagen Calvins" (25), die den Vermittlungsbegriff nahelegen, was jedoch die Vfn. ihrerseits zu schillernden Statements veranlasst, die oft den Eindruck erwecken, was mit der einen Hand gegeben, werde mit der anderen Hand wieder genommen, wenn F. in der Tat gezwungen ist, die calvinische Vermittlungsdialektik so zu formulieren, dass diese dem Begriffsinstrumentarium immer wieder entgleitet. Es bleibe dahingestellt, was das neue katholische Verhältnis zu Calvin letztlich zur Folge hat; mag sein, dass es heute möglich ist, den Reformator so zu verstehen, dass weder der Katholizismus als Katholizismus verschwindet noch Calvin selbst zum Katholiken gestempelt werden muss. Und wenn diesem Anliegen die Analyse in der Perspektive des Vermittlungsbegriffs dienen kann, warum dann nicht! Aber ist nicht das, was F. wortreich als responsorische Struktur herausarbeitet, für alle Calvinleser eine Banalität, die auch durch die penetrante Verwendung des Begriffs kaum in eine epochemachende Entdeckung zu verwandeln ist? Ist Theologie, zumal die protestantische, überhaupt denkbar ohne die Antwortstruktur, die ja auch nach F. nicht eine natürliche sondern eben eine gnadenhafte ist? Irgendwie fühle ich mich durch F.s Aufweis nicht nur an die übrigens nirgends zitierte Schrift und Position Emil Brunners in "Natur und Gnade" erinnert, sondern auch an eine Zeile in Karl Barths berühmtem "Nein": "Der Mensch ist auch als Sünder der Mensch und keine Schildkröte ... Inwiefern soll der Hinweis auf die Selbstverständlichkeit, dass der Mensch auch als Sünder verantwortliche Person ist - wenn es ehrlich und redlich bei der Feststellung dieses Formalen bleiben soll! - auch nur im Geringsten dazu dienlich sein, die Offenbarung als Gnade Gottes zu verstehen?"