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Ausgabe: | Februar/2001 |
Spalte: | 170–172 |
Kategorie: | Neues Testament |
Autor/Hrsg.: | Still, Todd D. |
Titel/Untertitel: | Conflict at Thessalonica. A Pauline Church and its Neighbours. |
Verlag: | Sheffield: Sheffield Academic Press 1999. 337 S. gr.8 = Journal for the Study of New Testament, Suppl. Series 183. Lw. £ 50.-. ISBN 1-84127-003-2. |
Rezensent: | Günter Haufe |
Paulus nimmt im 1. Thessalonicherbrief mehrfach Bezug auf Bedrängnis, Opposition und Leiden, die ihm und den Neubekehrten in Thessalonich widerfahren sind. Da Paulus seinerseits keine präzisen Angaben macht, der lukanische Bericht Apg 17,1-10 aber sehr wohl konkrete Details mitteilt, ist es in der Forschung bis heute umstritten, in welchem Umfang hier ein historischer Konflikt zu Grunde liegt. Das anzuzeigende Buch möchte das Problem einer überzeugenden Lösung zuführen, indem es die These zu begründen versucht, dass es sich um einen Gruppenkonflikt zwischen Christen und Nichtchristen handelt, genauer zwischen Paulus und einigen Thessalonicher Juden einerseits und zwischen der Gemeinde und außenstehenden Heiden andrerseits, ein Konflikt, dessen konkrete Gestalt es aufzuklären gilt. Die Arbeit ist die revidierte Fassung einer 1996 in Glasgow eingereichten, von John M. G. Barclay betreuten Dissertation. Barclay hatte selbst schon 1993 in CBQ 55 (510-530) einen Aufsatz mit dem fast gleichlautenden Titel "Conflict in Thessalonica" publiziert. Hier knüpft Todd D. Still an, indem er die Grundgedanken dieses Aufsatzes übernimmt und im Detail auszuführen versucht.
Um seine Grundthese auf eine möglichst breite Basis zu stellen, diskutiert der Autor im ersten Teil der Arbeit (24-82) literarkritisch und historisch umstrittene Texte zum Thema. Den in der neueren Forschung mehrfach als deutero-paulinisch angesehenen Abschnitt 1Thess 2,13-16 hält er für genuin paulinisch. Es gibt keine zwingenden formkritischen, syntaktischen, historischen oder theologischen Gründe, die gegen die Echtheit sprechen. Dasselbe gilt von 2Thess insgesamt, den Paulus sehr bald nach dem 1Thess auf Grund neuer Informationen aus der Gemeinde schreibt. Mit Rücksicht auf seinen heute weithin literarkritisch umstrittenen Charakter sollte er freilich nur als sekundäre Quelle für das Thema herangezogen werden. Der zwar unvollständige lukanische Bericht Apg 17,1-10a darf insofern als historisch zuverlässig gelten, als er einerseits die Flucht des Paulus aus Thessalonich auf seinen Konflikt mit jüdischen Landsleuten und andrerseits die Kollision der Gemeinde mit nichtchristlichen Heiden auf den Verdacht politisch subversiver Haltung der Christen zurückführt.
Der zweite Teil der Arbeit (84-124) bringt eine ganz andere Grundlegung, nämlich eine sozialwissenschaftliche, die methodisch wichtige Gesichtspunkte zum Thema vorstellen soll. Diskutiert wird das von der modernen Soziologie entwickelte Studium der "Abweichung" (deviance) und des "Gruppenkonflikts" (intergroup conflict), das schon verschiedene Exegeten zur Klärung des Verhältnisses von Christen und Nichtchristen in der christlichen Frühzeit herangezogen haben. Abschließend formuliert der Vf. Fragen zum Thema, die sich nach Auffassung des Rez. auch ohne die breiten sozialwissenschaftlichen Darlegungen aus den Texten ergeben. Auf sie wird ohnehin in den folgenden Abschnitten nur sporadisch zurückgegriffen.
Mit dem dritten Teil der Arbeit (126-206) gelangt der Autor zu seinem eigentlichen Thema. Unter der Überschrift "The Apostle's Agon" wendet er sich zunächst der Frage nach der nichtchristlichen Opposition gegen Paulus und seinen Dienst in Thessalonich zu. Hier fallen wichtige exegetische Entscheidungen, die für den Entwurf des Gesamtbildes bestimmend sind, die freilich auch strittig bleiben dürften: 1. Das Stichwort Agon (1Thess 2,2) bezieht sich auf externe Opposition, 2. die Aussage über die Juden 2,15b: "die uns verfolgt haben" auf die Vertreibung des Paulus und seiner Mitarbeiter aus Thessalonich durch ungläubige Juden, 3. die Aussage über die Behinderung der Heidenpredigt durch Juden (2,16a) auf die Vertreibung aus der Stadt, 4. die Apologie 2,1-12 auf aktuelle Anklagen gegen Paulus, nicht auf Paränese an die Adresse der Gemeinde. Die Frage nach der Ursache der jüdischen Opposition in Thessalonich berührt Paulus nicht. Sie lässt sich dennoch indirekt beantworten aus der Kritik jüdischer Autoren (Philo, Josephus, 3.4Makk) an verschiedenen Formen des "Abfalls" von Diaspora-Juden von der jüdischen Tradition. Genau hier dürfte schon das Motiv für die vorchristliche Verfolgertätigkeit des Paulus wie dann auch für die jüdische Kritik an dem christlichen Missionar gelegen haben. Hauptstreitpunkt ist der Verzicht des Paulus und einer judenchristlichen Minorität auf Beschneidung und Speisevorschriften in Verbindung mit der Kreuzespredigt. Wahrscheinlich ist Paulus auf Grund seines gesetzesfreien Lehrens und Lebens von der Synagoge exkommuniziert bzw. als gefährlicher Abweichler und Apostat beurteilt worden. Seine Antwort auf die jüdische Opposition ist durch Grundzüge der Apokalyptik (Rechtfertigung, Naherwartung, Dualismus) sowie antijüdische Polemik (1Thess 2,15 f.) geprägt. Es ist die Antwort einer geächteten Minorität auf die Opposition von seiten einer Majorität.
Teil 4 der Arbeit (208-286) wendet sich den Konfliktbeziehungen der Thessalonicher Gemeinde mit Außenstehenden zu. Sprachlich markiert sind sie durch das Stichwort thlipseis (1Thess 1,6 u. a.), das primär nicht auf psychologische Belastung, sondern auf externe nichtchristliche Opposition hinweist. Da Paulus keine Details anspricht, kann nur vermutungsweise an verbale, soziale und politische Sanktionen gedacht werden, wobei selbst Einzelfälle von Martyrium nicht auszuschließen sind. Träger dieser Opposition ist das nichtjüdische Stadtvolk (2,14b).
Jüdische Opposition widerfährt nur Paulus und seinen Mitarbeitern. Die Ursache für die heidnische Opposition liegt in den sozialen Folgen der Bekehrung zum paulinischen Evangelium, die als Sakrileg empfunden werden. Die Abwendung von heidnischer Religion und Ideologie samt den damit verbundenen Gemeinschaftsformen sowie die mit dem Evangelium verbundene apokalyptische Ideologie bringen die Gemeinde in den Geruch sozialer Exklusivität, der dem antiken Judentum in ähnlicher Weise anhaftet. Der Verdacht geheimnistuerischer problematischer Praktiken sowie der Vorwurf der Misanthropie (Tacitus) liegt dann nicht fern. Die Praxis des "heiligen Kusses" (5,26) dürfte ein Ansatzpunkt sein. Römer begegnen fremden Religionen ohnehin mit Misstrauen. Missionarische Aktivität einzelner Christen dürfte ebenfalls Opposition provozieren. Der von den Apologeten bezeugte Atheismus-Vorwurf kann sehr wohl in das 1. Jh. zurückreichen. Nicht wenige christliche Aussagen lassen sich von heidnischer Seite als Ausdruck politisch subversiver Haltung deuten. Der Konflikt der Gemeinde mit heidnischen Landsleuten dürfte jedenfalls mehrfache Ursachen haben. Ziel der Opposition ist sicher die Rückkehr der Christen zu ihrem vorchristlichen Status. Was der Gruppenkonflikt tatsächlich bewirkt, ist jedoch nicht dies, sondern die Befestigung des neuen Glaubens, die Stärkung der innergemeindlichen Beziehungen, die Intensivierung der eschatologischen Hoffnung. Keiner der beiden Briefe deutet negative Auswirkungen an. Die Anweisungen 1Thess 5, 12-22 wollen nicht Missstände korrigieren, sondern pastorale Vorsorge betreiben. Von innergemeindlichen Spannungen hat Timotheus offensichtlich nichts berichtet.
Der Autor entwickelt von dem Konflikt in Thessalonich ein in sich stimmiges Bild. Dass vieles hypothetisch bleibt, liegt in der Natur der Sache, verleiht aber dem Bild die notwendige Farbe. Dass es sich um einen Gruppenkonflikt handelt, der aus der Bekehrung zum Evangelium und deren sozialen Folgen resultiert, überzeugt. Problematisch bleibt, ob tatsächlich auch ein spezieller Konflikt zwischen Paulus und Thessalonicher Juden vorliegt. Von letzteren erwähnt der 1Thess nichts.