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Ausgabe:

Februar/2001

Spalte:

168–170

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Scholtissek, Klaus [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Christologie in der Paulus-Schule. Zur Rezeptionsgeschichte des paulinischen Evangeliums.

Verlag:

Stuttgart: Kath. Bibelwerk 2000. 192 S. 8 = Stuttgarter Bibelstudien, 181. Kart. DM 45,80. ISBN 3-460-04811-5.

Rezensent:

Andreas Lindemann

Die Frage nach der Rezeption der paulinischen Theologie in der frühen nachpaulinischen Zeit ist zu einem oft behandelten Thema historischer Exegese geworden, nachdem das lange gültige Bild, Paulus sei vergessen, jedenfalls aber missverstanden worden, weitgehend korrigiert worden ist. Der vorliegende Band vereinigt sechs Studien zur Christologie bei Paulus und bei den im Neuen Testament enthaltenen deutero-paulinischen Schriften. Die Autoren kommen aus dem Schülerkreis von K. Kertelge, der selber eine knappe Skizze zur Christologie bei Paulus beigesteuert hat.

Klaus Scholtissek stellt die Anfänge der "Paulus-Schule" dar (11-36), wobei er sich gegenüber einer allzu genauen Beschreibung des paulinischen "Schulbetriebs" m. R. große Zurückhaltung auferlegt. Zwar habe Paulus de facto "als Lehrer gewirkt", nicht zuletzt auf Grund seiner Beheimatung sowohl in jüdisch-pharisäischer Tradition wie auch in hellenistischer Bildung, doch "der Nachweis eines regulären Schulunterrichtes in Ephesus (Korinth oder Rom) läßt sich nicht führen" (34). Für die Verfasser der deuteropaulinischen Schriften sei Paulus die "prädominierende Lehrergestalt" gewesen, doch bedeute das nicht, dass "das Corpus paulinum für sie die einzige Quelle theologischer Reflexionen und Fortschreibungen war" (35). Das Paulusbild in der Apg bezeuge "die approximativ erkennbare Fremdwahrnehmung des historischen Paulus als herausragende Lehrergestalt" (36).

Karl Kertelge betont die Bindung des Paulus an christologische Tradition, aber zugleich auch das Gewicht der persönlichen Begegnung des Apostels mit dem auferstandenen Christus (37-43); ob man aus Phil 3,5-8; Gal 1,13 ableiten sollte, dass die dem Paulus "zuteilgewordene Christus-Offenbarung die Kehrseite einer Lebenskrise ist, in der ihm die traditionelle Bindung an das mosaische Gesetz zum Problem geworden ist" (39), muss man zumindest fragen. Kertelge betont, die Rechtfertigungsverkündigung des Paulus verstehe sich "im Prinzip als die soteriologisch entfaltete Christologie" (41); Röm 10,4 sei im Kontext der eschatologischen Theologie des Paulus zu sehen (42).

Knut Backhaus fragt anhand von 1Kor 9,23 nach der Rolle des Paulus bei der Weitergabe des Evangeliums (44-71). Paulus spreche nur selten von seinem eigenen Geschick, und dies dann deshalb, "weil dies - angesichts der nur knapp verfügbaren Zeit- die wirksamste Form war, das Evangelium ... mit allen seinen Konsequenzen lebhaft zu bezeugen" (57); der Apostel sehe sich nicht so sehr als Offenbarungsträger und erst recht nicht als "Mittler im Heilsvorgang", sondern betone "seine Rolle als Tradent christlicher Überlieferung" (67 f.62). Dieses Selbstbild des Paulus finde sich auch in den deuteropaulinischen Schriften: "Die Paulus-Schule als solche ist lebendige Fortschreibung dessen, was Paulus ... vorgezeichnet hat", weshalb man Phil 1,5-7 "als das theologische Programm jeder genuinen Paulus-Schule lesen" könne (71).

Anacleto de Oliveira stellt die "Christozentrik im Kol" dar (72-103). Er setzt ein mit einer rhetorischen Analyse der Struktur des Kol und fragt dann nach dem Verhältnis der christologischen Aussagen zu denen des Paulus. Kol spreche ebenso wie Paulus vom Heilstod Jesu; neu sei aber "die Betonung der intensiven und extensiven Dimension solcher Heilswirkung" (87), wobei es Aussagen über die eschatologisch-zukünftige Dimension des Heils nur im Kontext der Paränese in 3,4.24 gebe (93). Charakteristisch sei, dass der Kirchenbegriff des Kol "eine universale Reichweite" gewinne (103).

Rainer Kampling will zeigen, dass im Eph die Theologie als traditio apostolica aufgefasst werde (104-123). Die Rätselhaftigkeit des Eph sei Absicht: "Der Eph will enigmatisch sein, weil das, was er zu sagen hat und sagen will, selbst Geheimnis ist und offengelegt werden muß" (107). Autor und Leser des Eph hätten die paulinischen Briefe verstanden "als über die Situation hinaus gültige Dokumente apostolischer Unterweisung" (109). Es falle allerdings auf, dass sich der Autor wenig Mühe gegeben hat, "irgendeinen Hinweis darauf zu streuen, wie er sich denn die unverhoffte Präsentation eines bis dato unbekannten Brief[es] dachte"; das gilt freilich außer in der apokalyptischen Literatur für alle pseudepigraphischen Briefe. Kampling fragt abschließend nach dem "Bleibenden" des Eph. Hier überrascht, dass er aus Eph eine Ekklesiologie gewinnen zu können meint, in der Christus zwar als Haupt der Kirche und als Herr des Alls gesehen ist, die aber dennoch "in Dankbarkeit von dem ihr zuteil gewordenen Heil sprechen könnte, ohne gleich das Nichtheil anderer zu behaupten" (123); ob Eph mit seinen Anklängen an dualistisches Denken dafür wirklich ein Zeuge ist?

Gerhard Hotze behandelt die Christologie des 2Thess (124-148). Am Anfang steht eine vergleichsweise ausführliche Darstellung von Tendenzen der neueren und neuesten Forschung; allerdings sieht er historische Thesen vielfach von vornherein verknüpft mit theologischen Werturteilen, vor denen er 2Thess (vor allem gegenüber protestantischen Autoren, aber auch W. Trilling) meint schützen zu müssen: "Eine pseudepigraphische Schrift muß zu ihrer Daseinsberechtigung im Kanon keine gehobenen oder originellen Ansprüche erfüllen" (127). 2Thess polemisiere nicht gegen 1Thess, sondern gegen dessen Fehlinterpretation: Der zweite Brief "versteht sich also am besten als ergänzende, klarstellende ,Lesehilfe' zum ersten" (136); wenn das so ist, fragt man sich, warum 2Thess den ersten Brief überhaupt nicht positiv erwähnt, doch das erklärt Hotze nicht. Da 2Thess den ersten Brief ergänzen wolle, könne es Differenzen oder gar Widersprüche nicht geben; das Fehlen spezifisch paulinischer Aussagen sei kein Problem, da der Verfasser "doch im Namen des Paulus mit dem 1Thess als Vorlage" schreibe (140).

Einen vorzüglichen Beitrag liefert abschließend Thomas Söding zur Christologie der Pastoralbriefe (149-192). Er betont, da die Past als Paulusbriefe gelesen werden wollten, sei es durchaus angemessen, sie auch von Paulus her - und also kritisch - zu lesen (150). Auffallend sei, dass sie ebenso wie Paulus "die Christologie in den Horizont der Theologie" stellen (153); besonderes Gewicht habe die mit der apostolischen Verkündigung des Evangeliums verknüpfte Rede von Gott als "Retter" (157). Charakteristisch sei die in 1Tim 6,13 sichtbare Verbindung der Rede von Gott mit dem "christologischen Hauptartikel". Vermutlich werde in den Past nicht ein "früher" Paulus rezipiert, sondern Paulus "als Mann der Kirche, als Patron seiner Gemeinden, vor allem als Apostel, der die Augen für die Wahrheit des Evangeliums öffnet" (177). Die traditionelle Prägung der Christologie der Past sei "kein Makel, sondern ein Gütesiegel", wobei die Briefe jedoch "keine Neuauflage der Kreuzes- und Pneumachristologie liefern, sondern aus alten judenchristlichen Wurzeln eine neue Offenbarungstheologie konzipieren, in der die Epiphanie des Retters als eschatologischer Angelpunkt der Heilsökonomie Gottes erscheint" (181). Södings Aufsatz ist ein Musterbeispiel für exegetische Arbeit, die im Zusammenhang der gewonnenen systematischen Ergebnisse nicht auf ein theologisches Urteil verzichtet.

Auch wenn die Qualität der einzelnen Beiträge nicht völlig gleichbleibend ist, bietet der Band im Ganzen doch einen guten Einblick in die Forschungslage nicht nur zur Christologie sondern zum Phänomen der sich auf Paulus beziehenden Pseudepigraphie überhaupt.