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Ausgabe:

Februar/2001

Spalte:

164–166

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Dormeyer, Detlev

Titel/Untertitel:

Das Markusevangelium als Idealbiographie von Jesus Christus, dem Nazarener.

Verlag:

Stuttgart: Kath. Bibelwerk 1999. IX, 395 S. 8 = Stuttgarter biblische Beiträge, 43. Kart. DM 89,-. ISBN 3-460-00431-2.

Rezensent:

Dieter Lührmann

Der Autor ist durch eine Reihe von Veröffentlichungen seit langem in der Markus-Forschung ausgewiesen. Insbesondere hat er sich dafür eingesetzt, dass das Evangelium durch die Kategorie "Biographie" angemessen zu charakterisieren ist. Nun legt er unter betonter Verwendung dieses Begriffs schon im Titel eine zusammenfassende Darstellung seines Verständisses des Mk vor. Sein Ziel ist eine leserorientierte Auslegung, in die möglichst viel an Aspekten bisheriger exegetischer Fragestellungen integriert wird. Es entsteht dabei eine Art Kommentar ausgewählter Textabschnitte unter thematischen Gesichtspunkten; insgesamt wird mehr als die Hälfte des Gesamttextes wiedergegeben, und zwar in der Übersetzung der Luther-Revision von 1984.

"1. Forschungsstand und Methode" (4-30) führt knapp hin zu der eigenen Darstellung und betont von Anfang an die Beziehungen zu jüdischer wie hellenistisch-römischer Tradition. "2. Was ist ein Evangelium?" (31-38) z. B. ist eine Frage, die im Blick auf die Herkunft des Begriffs eben nicht - wie zumeist - alternativ entschieden werden sollte; überraschend kommt dann aber doch das Fazit: ",Evangelium' ist eine christliche Neubildung. Die Wurzeln liegen im Alten Testament, in der griechischen Kultur und im Kaiserkult." (36) "3. Evangelist, Leser und Gemeinde" (39-67): Der Evangelist wollte bewusst anonym bleiben; auf die Abfassungssituation weisen die Bezüge auf die Spätphase des Jüdischen Krieges, die Leser sind Heiden- wie Judenchristen, beide Traditionen werden angesprochen. "Heutige" Leser hingegen sind hier (64-67) wie offenbar durchweg römisch-katholisch sozialisiert.

In Bezug auf die Inhaltsbestimmung des Evangeliums hat eine Schlüsselstellung "4. Jesus verkündigt das Evangelium von der angebrochenen Gottesherrschaft" (68-87) mit sachgemäßer Betonung der Zusammenfassung der Verkündigung Jesu in Mk 1,14 f. und ihres Verhältnisses zur Rolle des Königs-Titels im Prozess vor Pilatus. Es folgen in 5. (88-122) und 6. (123-137) Darstellungen der alttestamentlichen Prophetenbiographien einschließlich Johannes des Täufers und hellenistischer Biographien von "göttlichen Menschen", letztere vor allem als die Modelle, gegen die Mk mit Hilfe alttestamentlicher Motive als Gegenmodell der Herrschaftsfreiheit die Biographie Jesu entwirft. Das wird in "7. Das Sohn Gottes-Geheimnis und die Versuchbarkeit des von Gott Gesandten" (138-157) weitergeführt, "Sohn Gottes" dabei als Präzision des Christus-Titels messianisch verstanden. Gegenüber den hier zum Vergleich herangezogenen Gründer-Biographien Plutarchs hebt D. das Fehlen der Einführung von Verfassungseinrichtungen im Evangelium hervor.

In "8. Der Weg des geheimen Christus-Gottessohnes, öffentlichen prophetischen Lehrers und Menschensohnes, die räumliche Dreiteilung des Evangeliums und die Entsakralisierung der Zeit" (158-184) geht es um Raum und Zeit im Evangelium, in 9.-12. um die unterschiedlichen Personengruppen, denen Jesus im Evangelium begegnet: die Jünger (9., 185-206), das Volk (10., 207-218), die Gegner (11., 229-241), die Familie und die Heimatstadt (12., 242-257), bevor dann in "13. Das Messiasgeheimnis" (258-285) der zentrale Text Mk 8,27-33 Plutarchs Cäsar-Biographie gegenübergestellt wird. Für beide wird ein gemeinsames Gattungsmuster behauptet (279), das Evangelium erscheint freilich erneut als Gegenmodell (285), mit dem Anspruch, "daß ein königlicher Gesalbter in seinem Leben Lehre und Weltpolitik ein für alle mal vereint hat, in seiner Auferweckung bis zum Ende der Welt garantiert (Mk 13, 24-27) und jedem Cäsar und Bürger zu allen Zeiten als Nachfolgemodell anbietet."

14. (286-315) schließlich stellt "Das Leiden und Sterben Jesu Mk 14,1-15,47" dar als Adaption von Texten über den Tod großer Männer, von antiken Märtyrerakten und von jüdischen Martyrien; 16,1-8 war bereits vorher behandelt worden (141-144). Ein knapper "Schluß" (15., 316-320) fasst wesentliche Momente noch einmal zusammen.

Insgesamt entsteht eine in sich im Wesentlichen konsistente Gesamtinterpretation, verwendbar als Grundlage einer entsprechenden Lehrveranstaltung. Wer andere Deutungen entwickelt hat, wird im Detail erheblich korrigieren wollen. Gemindert wird der Genuss durch ein ständiges Schwanken im Stil der Darstellung. Störend aber sind vor allem jene Passagen, in denen sich der Autor als besser orientierter Leser äußert mit merkwürdigen Sätzen etwa zur Geographie Galiläas (45 f. 185. 259 u. ö.), und zwar nicht zu der im Text vermittelten, sondern der heute touristisch erfahrenen. Solche Lektüre des Evangeliums verfällt in ein unkritisches, aber nicht mehr naives Lesen unter Verlust aller Texttheorie. Das gilt auch z. B. für die Auswertung der Ergebnisse der Archäologie von Sepphoris, wo Jesus als Bauhandwerker gelernt habe (251 f.21): "Der Anfang der Solon-Biographie hat die stärksten Parallelen zum Mk-Ev. Ähnlich wie Solon sammelt Jesus als Bauhandwerker seine Erfahrungen und lernt vom Propheten Johannes die apokalyptische Umkehrbereitschaft." (156) So lautet der Anfang des Evangeliums nun wirklich nicht!