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Ausgabe:

Februar/2001

Spalte:

162–164

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Bock, Darrel L.

Titel/Untertitel:

Blasphemy and Exaltation in Judaism and the Final Examination of Jesus. A Philological-Historical Study of the Key Jewish Themes Impacting Mark 14:61-64.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 1998. XIV, 285 S. gr.8 = Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament, 2. Reihe, 106. Kart. DM 98,-. ISBN 3-16-147052-4.

Rezensent:

Christfried Böttrich

Die Untersuchung von D. L. Bock, der in den letzten Jahren vor allem durch einen zweibändigen Lukas-Kommentar hervorgetreten ist (1994/1996), nimmt ihren Ausgangspunkt bei dem Verhör Jesu vor dem Synedrion nach Mk 14,53-65 - d. h. speziell bei ihrem letzten Teil (14,61-65), in dem durch den Hohenpriester der Vorwurf der "Blasphemie" ausgesprochen wird. Um die Beurteilung dieses Vorwurfes hat sich seit langem schon eine Debatte entzündet. Historische Rückfragen sind dabei zunehmend von der Frage nach den Anfängen der Christologie dominiert worden, so dass man den schematisierten Disput vor allem als Reflex urchristlicher Theologie betrachtete. Doch diese Verse, die fraglos eine Schlüsselszene im Prozessgeschehen markieren, bedürfen auch jenseits literarischer oder formkritischer Analysen einer sorgfältigen Überprüfung ihrer zeitgeschichtlichen Implikationen. Diesem Vorhaben ist die Arbeit B.s gewidmet.

Der Autor beginnt seine Untersuchung im ersten Teil mit einem forschungsgeschichtlichen Überblick. Ausgehend von der kleinen, aber einflussreichen Arbeit von H. Lietzmann zum Prozess Jesu (1931) schlägt er den Bogen bis hin zu C. A. Evans (1995), bei dem das Stichwort der "Blasphemie" zuletzt eine zentrale Rolle spielte. Zwei Bereiche treten in dieser Diskussion deutlich hervor. Zum einen: Ist der Vorwurf, gemessen am vorliegenden Wortlaut, im Kontext des zeitgenössischen jüdischen Verständnisses von Blasphemie überhaupt nachvollziehbar und damit historisch plausibel? Zum anderen: An welchem Teil der Antwort Jesu kann der Vorwurf, setzt man seine historische Zuverlässigkeit voraus, sicheren Anhalt finden? Für letztere Frage sind vor allem der Gottessohntitel in der Frage des Hohenpriesters, der messianische Anspruch Jesu, der Hintergrund von Dtn 13 (Prophet/Götzendiener/Volksverführer), der Bezug auf den kommenden Menschensohn oder eine kritische Haltung gegenüber dem Tempel verhandelt worden. Dabei zeichnet sich inzwischen jedoch ein Konsens dahingehend ab, dass die kombinierte Anspielung auf Ps 110,1 und Dan 7,13 am ehesten als Provokation verstanden werden und den Vorwurf der Blasphemie auslösen konnte. Daraus leitet B. die Aufgabe für das weitere Vorgehen ab: Erstens gilt es, über Lietzmanns Engführung (Blasphemie lediglich als Aussprechen des Gottesnamens) hinaus das gesamte alttestamentliche, frühjüdische und rabbinische Material zum Thema möglichst umfassend aufzuarbeiten. Zweitens muss das Phänomen der Erhöhung zur Rechten Gottes und seine Bewertung im Kontext des frühen Judentums untersucht werden. Drittens erfordert schließlich die Frage nach dem Hintergrund der Szene in Mk 14 insofern eine sorgfältige Differenzierung, als jede monokausale Erklärung in die Gefahr gerät, die Komplexität des Phänomens zu verfehlen.

Im zweiten Teil der Untersuchung erfolgt deshalb zunächst eine Sammlung und Diskussion sämtlicher Belege, die Aussagen über das Verständnis von Blasphemie in der jüdischen Tradition enthalten. Die Textbereiche umfassen das AT, Qumran, die LXX, die atl. Pseudepigraphen, Josephus und Philo, Mischna und Tosefta, Targumim und Midraschim sowie beide Talmudim zuzüglich der Aboth de Rabbi Nathan. Dieses reiche Material gestattet es nun auch, sowohl das Spektrum zu begrenzen als auch die zentralen Inhalte genauer zu bestimmen. Im Blick auf die Terminologie findet sich in den hebräischen Texten eine größere Anzahl von Begriffen, z. T. auch von Euphemismen, während im griechischen Sprachgebrauch der Terminus ,ÏÛÊÀÌÂÖÓ/,ÏÛÊÀÌ dominiert. Strafrechtliche Verfahren werden nur selten thematisiert - die Vergehen aber, die als todeswürdig gelten, erfahren eine ausführliche Behandlung. Hier öffnet sich ein Feld von Fallbeispielen, das zwischen den Polen verbaler Verfehlung einerseits und konkreter Aktion andererseits angesiedelt ist. Dieses weite Verständnis, das auch in den rabbinischen Texten nicht auf den Missbrauch des Gottesnamens eingegrenzt werden kann, bestimmt durchgängig alle Textbereiche. Besonders aufschlussreich sind Josephus und Philo: der erste, weil er auch Angriffe gegen die Führerschaft des Volkes, den Tempel und die Tora dezidiert als Ausdruck von Blasphemie wertet; der letzte, weil er in Decal 61-69 die längste gezielte Erörterung bietet und dabei auch die Beanspruchung göttlicher Autorität durch einen Menschen thematisiert.

Der dritte Teil wendet sich daraufhin der Untersuchung von "Exalted Figures in Judaism" zu und gliedert dabei das umfängliche Material nach "Human Figures" und "Angelic Figures". An der Sammlung und Auswertung der Belege wird deutlich, dass die Vorstellung der Erhöhung in eine bevorzugte Position vor Gott von den frühjüdischen Texten bis weit in die rabbinischen Texte hineinreicht. Als Menschen, die in dieser Weise ausgezeichnet werden, begegnen etwa Adam, Abel, Henoch, Abraham, Jakob, Levi, Mose, David, Jesaja, Elia, Esra oder Baruch - eine Reihe, der sich die eher schillernden Gestalten des Menschensohnes oder des Erwählten, des Messias sowie verschiedener Märtyrer bzw. Gerechter anschließen. Unter den Engelsgestalten treten vor allem Gabriel, Michael, Melchisedek, Metatron sowie verschiedene singuläre Gestalten oder größere Engelsgruppen hervor. Auffällig ist der Tatbestand, dass die Auszeichnung erhöhter Menschen - in der Regel von einer Art Transfiguration begleitet - mit der Vorstellung eines Thrones (neben Gott oder unabhängig) verbunden ist, während das Sitzen von Engeln nur in Ausnahmefällen ausgesagt wird. Größte Bedeutung kommt insgesamt der Henochtradition zu, in der die Verwandlung des Urvaters in eines der höchsten Engelwesen die Grenzen beider Bereiche ohnehin verschwimmen lässt. Vor diesem Hintergrund zeichnet sich ab: Zum einen wird Erhöhung allein von Gott her vollzogen, wobei der Erhöhte bei aller Auszeichnung mit großer Sensibilität von der Einzigkeit und höchsten Autorität Gottes unterschieden wird. Zum anderen bleibt diese gut belegte Vorstellung auf die Größen der Vergangenheit oder die eschatologischen Hoffnungsträger begrenzt, ohne je mit einem Zeitgenossen verbunden zu werden.

Aus meinen eigenen Untersuchungen zum slHen möchte ich hierzu anmerken: Methodisch ist die Unterscheidung von Henoch, dem Menschensohn und Metatron sicher unumgänglich - in der Traditionsentwicklung stellen sie jedoch einen zusammengehörigen, eng vernetzten Komplex dar. Das slHen, das in 22,5-10 mit der Transfiguration Henochs in einen der "Herrlichen des Herrn" äthHen 71,14-17 aufnimmt, weiterführt und damit hebrHen insgesamt vorbereitet (ein Abschnitt, der mehr an Aufmerksamkeit verdient), kann m. E. sehr viel zuversichtlicher noch vor das Jahr 70 datiert werden. Gerade an dieser Schlüsselstelle gibt es auch keine Zweifel hinsichtlich der Ursprünglichkeit des Textes (so 181). Ähnlich liegen die Dinge bei der Gestalt Melchisedeks. In slHen 71-72 erscheint er in der ambivalenten Charakteristik eines übernatürlich empfangenen und wunderbar geborenen Menschen, der schließlich jedoch in Gottes Welt entrückt wird und "in Ewigkeit" dort verbleibt. Auch dieser lange Zeit umstrittene Teil des Buches gehört in die Zeit vor 70 und gewinnt dadurch für die behandelte Thematik eine größere Bedeutung. Sachlich verbindet er "human" und "angelic figures" auf das engste miteinander.

Vor diesem weiten Horizont nimmt B. abschließend die Untersuchung von Mk 14 auf. Nachdem er zunächst die pastorale Dimension der Szene in ihrer markinischen Gestaltung gewürdigt hat, widerlegt der Autor mit guten Gründen die verbreitete Annahme eines "capital case" als ein folgenreiches Missverständnis: Das Verfahren hat nicht den Charakter eines Strafprozesses, sondern den einer Befragung mit Blick auf die Anklageerhebung gegenüber der römischen Behörde. Die skeptische Frage nach Quellen der Szene im Sinne von Informanten oder Tradenten beantwortet er mit dem Abwägen verschiedener Möglichkeiten positiv - ohne damit bereits ihren Wortlaut als authentisch erweisen zu wollen. Dass dieser Wortlaut jedoch den entscheidenden Sachverhalt der Befragung weitgehend bewahrt hat - das ist die These, die nun im nächsten und wichtigsten Abschnitt dieses letzten Teiles der Untersuchung entfaltet wird.

Als Blasphemie musste das Auftreten Jesu in einem doppelten Sinne verstanden werden: a) auf Grund des Anspruches umfassender Autorität von Gott her und b) auf Grund einer deutlichen Infragestellung der Führer des Volkes. Letzteres eignete sich zugleich als Ausgangspunkt für die Anklageformulierung gegenüber Rom. Die historische Plausibilität der Szene wird noch einmal gegenüber verschiedenen Einwänden (Tempelvorwurf, jüdischer Sprachgebrauch in 61-62, christologischer Schriftgebrauch, Hoheitstitel) überprüft, um schließlich in das Fazit zu münden: "The scene as a summary of trial events has a strong claim to authenticity, a stronger claim to it than to the alternative that the scene was created by Mark or by the early church." (263)

Die Untersuchung von B. hat für die Beurteilung von Mk 14,61-65 als einer Schlüsselstelle des Passionsgeschehens den zeitgeschichtlichen Horizont in einer Weise erschlossen, die für eine eigenständige Überprüfung der Sachverhalte ein reichhaltiges Material bereitstellt. Verbunden mit einer klaren Position hat sie damit für jede weitere Diskussion einen neuen, künftig unverzichtbaren Ausgangspunkt geschaffen.