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Ausgabe:

Februar/2001

Spalte:

160 f

Kategorie:

Altertumswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Zwickel, Wolfgang

Titel/Untertitel:

Der salomonische Tempel.

Verlag:

Mainz: Philipp von Zabern, 1999. 212 S. m. 81 Abb. u. 25 Abb. auf 16 Farbtaf. gr.8 = Kulturgeschichte der antiken Welt, 83. Lw. DM 88,-. ISBN 3-8053-2466-9.

Rezensent:

Ernst Axel Knauf

Dieses in gewohnt Zabern'scher Manier schön illustrierte Buch (nur Taf. 3b bleibt unter den ästhetischen Standards, für die der Verlag bekannt ist) wendet sich an ein breiteres Publikum, verdient jedoch durchaus die Aufmerksamkeit auch der Fachkolleginnen und -kollegen. Als eine Art archäologischer Kommentar zum Tempelbaubericht in 1Kön 6-7 repräsentiert es in gewisser Weise den Wissenstand des ausgehenden 20.Jh.s.1 Das Buch stellt insofern ein Wagnis dar, als die Geschichte Israel-Palästinas gerade im Zeitalter Davids und Salomos, also im 10. Jh. v. Chr., im Augenblick sehr umstritten ist und die Vorstellung von einem "salomonischen Großreich" mit einem entsprechend prächtigen Staatstempel das nächste Jahrzehnt möglicherweise nicht überleben wird. Auf diese Diskussion weist Z. seine Leserschaft nicht hin.2

Man kann ein Buch, das (auch) einen Beitrag zum wissenschaftlichen Gespräch darstellt, nicht angemessener würdigen als durch die wenigstens ansatzweise Aufnahme eben dieses Gesprächs. Das Grundproblem des Entwurfes sieht der Rez. in der "biblisch-archäologischen" Methode des Vf.s, der vom Text ausgeht und ihn durch das immer reicher werdende architektonische und ikonographische Fundmaterial illustriert. Da die aus dem Palästina/Israel des 10. Jh.s v. Chr. herrührenden Funde und Befunde (noch) nicht zur Erhellung des Textes zureichen, wird das komparative Universum zeitlich und räumlich weiter ausgedehnt, mehr oder weniger auf den ganzen Vorderen Orient in der Bronze- und Eisen-Zeit. Das ist an sich nicht illegitim, sofern sich zeigen ließe, dass bestimmte, etwa erst im 8. Jh. v.Chr. belegte Ikonographien schon im 10. Jh. denkbar wären, wie etwa die "Seraphim", die Z. im Gefolge von O. Keel ganz zu Recht, wenn auch für manchen gebildeten Laien immer noch überraschend, als Uräen identifiziert. Nach dem derzeitigen Forschungsstand zum ägyptischen Einfluss auf den Jerusalemer Hof sind sie allerdings vor Hiskija nicht belegt und nicht zu erwarten.3 Mit anderen Worten: Z.s Rekonstruktion des Inneren des salomonischen Tempels (Taf. 5) zeigt nach Ansicht des Rez. einen Jerusalemer Kultraum des ausgehenden 8. Jh.s v.Chr., wie es ihn dort vorher und nachher nicht gegeben hat. Geht man vom ikonographischen Befund aus und vergleicht dazu den Text, kommt man für den in 1Kön 6-7 beschriebenen Tempel zwar in vorexilische, aber nicht in salomonische Zeit.

Das Buch ist reich an Hypothesen und Problemlösungsvorschlägen zu vielen Details, die mit dem "salomonischen Tempel" verbunden sind, aber leider ebenso reich an historiographischen Klischees aus dem 20. Jh. n. Chr.; in Auswahl: Jerusalem lag keineswegs abseits aller Verkehrswege, sondern kontrollierte schon im 2. Jt. v. Chr. die Ost-West-Verbindung von Gezer nach Jericho und weiter ins Ostjordanland (gegen 14 f.).4 Bei der Frage nach einem kanaanäischen Vorgänger des Tempels (29-36), die Z. verneint, wird künftig zu beachten sein, dass nach den (noch nicht vollständig publizierten und ausgewerteten) Grabungen von Y. Shiloh der "Südosthügel" in der Spätbronze- und Eisen-IIA-Zeit (dem traditionellen "10. Jh.") offensichtlich unbesiedelt war, das damalige Jerusalemer Stadtzentrum darum wohl auf dem Gebiet des jetzigen Haram zu suchen ist.

Beim Vergleich der unterschiedlichen Maßangaben zu Länge-Höhe-Breite im hebräischen (60:30:20) und griechischen Text (40:25:20) ist zu beachten, dass (a) die Septuaginta in 1Kön 1-11 keineswegs "ganz bewußte Änderungen gegenüber der hebräischen Vorlage" (56) vorgenommen hat, sondern die sehr wörtliche Übersetzung einer vom MT abweichenden hebräischen Vorlage darstellt;5 und dass (b) die Proportionen des MT allenfalls auf dem Papier gut aussehen (6=2x3), die der LXX hingegen dem "goldenen Schnitt" sehr viel näher kommen (der ergäbe, in Ellen ausgedrückt, 40:28:20), wie sie auch den Mittelwert der Proportionen der S. 58 zum Vergleich herangezogenen Tempel näherstehen als die Maße des MT. Auch wenn die Götterbilder in den kanaanäischen Tempeln in der Regel unterlebensgroß waren, ist mit "10-15 cm" (75; vgl. aber, Abb. 5!) ihre Dimension doch sehr unterschätzt bzw. "Kultbild" mit "Votivgabe" und/ oder "familiärem Kultbild" verwechselt worden.6

Wenn das vorliegende Buch Theologinnen wie Laien einmal mehr und nachdrücklich auf den großen, in seinen Dimensionen noch kaum überblickten, noch weniger erschöpfend ausgewerteten Schatz an Bildern und Sachen hinweist, den die Archäologie und der Alte Orient für ein besseres Verständnis der biblischen Literatur und damit einer der Wurzeln unserer eigenen Kultur bereithalten, dann hat es einen guten Zweck erfüllt.

Fussnoten:

1) L. K. Handy [Ed.], The Age of Solomon. Scholarship at the Turn of the Millennium (SHCANE 11; Leiden 1997) ist darin freilich noch nicht rezipiert.

2) Vgl. I. Finkelstein, The Stratigraphy and Chronology of Megiddo and Beth-Shan in the 12th-11th centuries B. C. E.: TA 23 (1996) 170-184; id., The Archaeology of the United Monarchy: an Alternative View: Levant 28 (1996) 177-187; id., Bible Archaeology or Archaeology of Palestine in the Iron Age? A Rejoinder: Levant 30 (1998) 167-174; id., Notes on the Stratigraphy and Chronology of Iron Age Ta'anach: TA 25 (1998) 208-218; id., Hazor and the North in the Iron Age: A Low Chronology Perspective: BASOR 314 (1999) 55-70.

3) Vgl. O. Keel/Ch. Uehlinger, Göttinnen, Götter und Gottessymbole (QD 134; 41997); B. U. Schipper, Israel und Ägypten in der Königszeit. Die kulturellen Kontakte von Salomo bis zum Fall Jerusalems (OBO 170; 1999).

4) Vgl. O. Keel, Das kanaanäische Jerusalem und sein Nachwirken: Welt und Umwelt der Bibel 16 (2000) 6-14.

5) Vgl. J. Bösenecker, Text und Redaktion. Untersuchungen zum hebräischen und griechischen Text von 1 Könige 1-11 (Diss. theol. Rostock 2000; erscheint voraussichtlich in OBO).

6) Vgl. A. Berlejung, Die Theologie der Bilder. Herstellung und Einweihung von Kultbildern in Mesopotamien und die alttestamentliche Bilderpolemik (OBO 162; 1998) 35-61; 293-299. Zwischen "Votiv" und "Kultbild der familiären Frömmigkeit" besteht nicht notwendig ein Gegensatz: Rez., Götter nach Petra tragen: U. Hübner - E. A. Knauf - R.Wenning, Nach Petra und ins Königreich der Nabatäer. Notizen von Reisegefährten. Für Manfred Lindner zum 80. Geburtstag (BBB 118; Weinheim 1998) 92-101.