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Ausgabe: | Februar/2001 |
Spalte: | 157–160 |
Kategorie: | Altertumswissenschaft |
Autor/Hrsg.: | Hornung, Erik |
Titel/Untertitel: | Das esoterische Ägypten. Das geheime Wissen der Ägypter und sein Einfluß auf das Abendland. |
Verlag: | München: Beck 1999. 232 S. m. 31 Abb. gr.8. Geb. DM 48,-. ISBN 3-406-45360-0. |
Rezensent: | Elke Blumenthal |
Der mehrdeutige Titel des Bandes wird durch seinen Untertitel erklärt. Es geht um das Esoterische im alten Ägypten und um Ägypten als Gegenstand der Esoterik. Dass hier kein weiteres Erbauungsbuch in einer schier unübersehbaren Fülle, sondern eine wissenschaftliche Abhandlung vorgelegt wird, erschließt sich dem, den nicht schon der Name des Autors aufgeklärt hat, in der Einleitung. Dort ist von einem religionswissenschaftlichen Ansatz die Rede, der die Wahrheitsfrage ausklammert (11).
Eine allgemein anerkannte Definition von Esoterik gibt es bisher nicht.1 Das hängt wohl vor allem damit zusammen, dass sie kein fest umrissenes Gedankengebäude ist, sondern "Esoterik hat es mit verborgenen, oftmals ja bewußt geheimgehaltenen Wahrheiten zu tun, die nur durch Intuition oder Offenbarung erahnt werden können und sich jeder experimentellen Überprüfung entziehen. Esoterik ist eine eigene, irrationale und intuitive Denkform, die auf die All-Einheit der Natur und auf Entsprechungen innerhalb dieser Natur zielt und mit den Möglichkeiten unbegrenzter Verwandlung rechnet. Sie lebt vom Zauber des Geheimnisvollen und glaubt sich im Besitz einer höheren Bewußtseinsstufe, die den noch nicht in diese Mysterien ,Eingeweihten' verschlossen bleibt" (11 f.).
Im Aufbau des Buches sind historische und phänomenologische Darstellung ineinander verschränkt. Um die Fülle der Gegenstände und die großen Zeiträume wenigstens anzudeuten, seien hier die Kapitelüberschriften referiert: 1. Einleitung, 2. Altägyptische Wurzeln für das "andere" Ägypten, 3. Fremdes Wunderland am Nil: Die antiken Autoren, 4. Macht und Einfluß der Gestirne, 5. Alchemie: Die Kunst der Verwandlung, 6. Gnosis: Die Schöpfung als Fehltritt, 7. Hermetik: Thot als Hermes Trismegistos, 8. Das Ägypten der Zauberkünste, 9. Die Ausbreitung ägyptischer Kulte - Isis und Osiris, 10. Mittelalterliche Traditionen, 11. Die Renaissance der Hermetik und der Hieroglyphen, 12. Ägyptenreisen: Wunder über Wunder, 13. Triumphe der Gelehrsamkeit: Kircher, Spencer und Cudworth, 14. "Reformation der ganzen weiten Welt": Die Rosenkreuzer, 15. Das Ideal einer Bruderschaft - Die Freimaurer, 16. Goethe und die Romantik - "Hieroglyphisch denken", 17. Theosophie und Anthroposophie, 18. Pyramiden, Sphinx und Mumien - Ein Fluch für Pharaonen, 19. Ägypten à la mode: Moderne Ägyptosophie und Afrozentrik, 20. Ausblick: Ägypten als Hoffnung und Alternative. - Die Ergebnisse versuche ich folgendermaßen zusammenzufassen.
1. Das Ägypten der Esoteriker ist ein "imaginäres Ägypten, das als tiefste Quelle allen Geheimwissens gilt" (10), weshalb der Vf. diese Form der Ägyptenrezeption "Ägyptosophie" nennt; es ist eine "zeitlose Idee" (10), und jede Epoche "besitzt ... ihr Ägypten, auf das sie Ängste und Hoffnungen projiziert, bis hin zum schwarzen Ägypten der gegenwärtigen Afro-Amerikaner" (196).
2. Bis zum Ende des 18. Jh.s wird die Ägyptosophie von hellenistischen und hermetischen Traditionen bestimmt. In dieser Brechung ist "das alte Ägypten ... unleugbar zu einem Bestandteil unserer heutigen Kultur geworden" (206).
3. Originale altägyptische Wurzeln der Esoterik sind spärlich: der Gott Thot (griech. Hermes) als Gott der Schrift, der Weisheit, auch des Zaubers; Hieroglyphen, die zwar keine Geheimschrift waren, aber bereits von den Ägyptern verrätselt und mit zusätzlichen theologischen Bedeutungen versehen werden konnten; die Dominanz der Magie in Religion und Alltagswelt; die kosmische All-Einheit und ein Eingott als Denkmöglichkeiten der Theologie; das Erlösung bewirkende Wissen, freilich nicht zu Lebzeiten erworben oder offenbart, sondern im Tod auf magische Weise vermittelt. Astrologie, Alchemie und die Einweihung lebender Mysten dagegen sind in pharaonischer Zeit unbekannt.
4. Geheimhaltung spielt zwar in der altägyptischen Religion eine beträchtliche Rolle, doch geht es dabei nicht um die Privilegierung von Eliten, sondern um den Schutz vor Profanierung und Neutralisierung oder vor der Entfesselung magischer Kräfte.
5. Die esoterischen Strömungen der Antike werden im Mittelalter teils durch Neben- oder Unterströme (gnostische, alchemistische, kabbalistische), teils durch den neben Moses und Christus als Offenbarungsträger tolerierten Hermes Trismegistos an die Renaissance weitergeleitet. Die Bedeutung der arabischen Wissenschaft in diesem Überlieferungsprozess ist kaum zu überschätzen.
6. Seit der Renaissance gehen neue Impulse von dem Studium antiker Monumente und Autoren aus. Denker der noch ineinander verwobenen Geistes- und Naturwissenschaften bis zur Aufklärung machen auf unterschiedliche Weise von esoterischem Gedankengut Gebrauch (Galilei, Bruno, Newton), Ägypten wird zur positiven Gegenkultur (Zauberflöte).
7. Um 1800 tritt der entscheidende Traditionsbruch ein, als sich Europa dezidiert der griechisch-römischen Antike zuwendet und den Orient als andersartige Größe danebenstellt, zu der man sich zustimmend oder ablehnend verhalten kann. Damit sind die Voraussetzungen für Ägyptens wissenschaftliche Erforschung gegeben. Seitdem bedienen sich die ägyptosophischen Strömungen frei aus den Ergebnissen der Wissenschaft, müssen sich aber auch den Vergleich mit ihr gefallen lassen (vgl. die Polemik 158 f.166-70.188 f.).
Das Buch ist aus der letzten Vorlesung für Hörer aller Fakultäten entstanden, die der Autor vor seiner Emeritierung an der Universität Basel im Wintersemester 1997/98 gehalten hat. Seinem wie immer kultivierten Stil merkt man gelegentlich die Lockerheit der Rede noch an und daneben den hohen Standard von Kenntnissen und Bildung, den er bei seinem Publikum voraussetzen konnte. Die anstelle von Anmerkungen kapitelweise angeordneten Literaturangaben (213-221) und die Register (222-232) lassen ahnen, welche Materialmengen der Autor bewältigen musste, um die bisher von der Esoterikforschung unbeachtete ägyptische Komponente in zwei Jahrtausenden europäischer Kulturgeschichte herauszuarbeiten.
H. hat den Band Jan Assmann gewidmet, der erst vor kurzem die Rolle des als Ägypter verehrten Moses von der Antike bis zur Aufklärung (und zu Sigmund Freud) untersucht und damit auch einen Teilaspekt von Hornungs Thema berührt hat.2 So wie sich H. auf ihn bezogen hat, konnte Assmann wiederum von H.s Esoterikbuch zumindest im zweiten der Beiträge im Umkreis des Themas profitieren, die er neuerdings vorgelegt hat.3
In der westlichen Trivialkultur gewinnt die Esoterik zunehmend an Einfluss. Der Vf. hat sich nicht darauf beschränkt, Wurzeln und Geschichte des Phänomens darzulegen und seine mannigfachen heutigen Spielarten zu skizzieren, sondern er stellt auch eine Diagnose. Ihm zufolge ist die neuere Esoterik "eine Gegenreaktion auf den Materialismus und die erstarrte christliche Theologie der Neuzeit" (148), denn "der Rückgang religiöser Bindungen in unserer Zeit hat dazu geführt, daß sie immer mehr die Rolle einer Ersatz-Religion spielt und als Quelle praktischer Lebenshilfe angesteuert wird" (12). Gleichwohl empfiehlt Hornung - bei aller unüberhörbaren Skepsis im Einzelnen - "Ägypten als Hoffnung und Alternative" (195-206), womit freilich nicht so sehr eine vage spekulative, sondern die altägyptische Kultur in ihrer Gesamtheit gemeint ist. Ausdrücklich aber bekennt er sich zu "der Aktualität der hermetischen Weltsicht, die einen Beitrag zur Sinngebung auch für unsere moderne Welt leisten kann, wobei sie unmittelbar an das Urwissen der ältesten Kulturen anzuknüpfen sucht, an die Kernidee aller Esoterik, wonach uralte Weisheiten auch in einer gewandelten Welt immer noch gültig bleiben" (206).
Diese letzte, eher unspezifische Verallgemeinerung dürfte kaum auf Widerspruch stoßen. Es ist Sache der Ägyptologen herauszuarbeiten, worin sie den unverwechselbaren Beitrag sehen, den die ägyptische Religion durch ihre Formen des Umgangs mit dem Göttlichen, mit irdischer Herrschaft (Königtum) und mit dem Tod für unsere geistige Kultur zu leisten vermag. Als eins der möglichen Angebote Ägyptens hat Assmann in seinem Moses-Buch die Gegenposition zu der Unbedingtheit biblischer Gottesaussagen ausgemacht und dabei "Gott in Ägypten entdeckt".4 Die Botschaft eines religiösen Pluralismus, die dem zu Grunde liegt, geht auch für H. von Ägypten aus, allerdings hier von seiner hermetisch-esoterischen Rezeption, denn "Hermes Trismegistos ist ein Gott des Ausgleichs, der Versöhnung und der Wandlung, der keine starren Dogmen verkündet" (206).
Das Votum der beiden Ägyptologen, deren Arbeiten Struktur und Sinngebung der pharaonischen Kultur am tiefgründigsten erschlossen haben, sollte aufhorchen lassen. Es signalisiert, dass die in esoterischen Kreisen des Westens verbreiteten Neigungen zu Naturreligion, Pantheismus und Synkretismus nicht als belanglose Randerscheinungen abgetan werden können, und es signalisiert Defizite christlicher Religiosität. In einer Welt, in der der Vorherrschaftanspruch des Christentums gebrochen und religiöse Toleranz überlebensnotwendig geworden ist, sind Theologie und Kirche zu neuen Antworten herausgefordert, wenn sie ihren Auftrag nicht verfehlen wollen.
Fussnoten:
1) Vgl. A. Faivre/J. Needleman: Modern Esoteric Spirituality. New York 1992 (World Spirituality: An Encyclopedic History of the Religious Quest, 21), S. XI f. Das gilt auch im Rahmen der theologischen Literatur. RGG 3. Aufl. 1957-65 hat das Stichwort Esoterik überhaupt nicht, die 4. Aufl. Bd. 2, 1999, einen kurzen Artikel (1580 f.); etwas eingehender Evangelisches Kirchenlexikon 3. Aufl. Bd. 1, 1986, 1125 f.
2) Deutsche Ausgabe: Moses der Ägypter. München 1998; vgl. die ausführliche Besprechung von K. Koch in: ThLZ 124, 1999, 873-84.
3) Das verschleierte Bild zu Sais. Schillers Ballade und ihre griechischen und ägyptischen Hintergründe.Stuttgart-Leipzig: Teubner 1999; Weisheit und Mysterium. Das Bild der Griechen von Ägpten. München: Beck 2000.
4) Moses der Ägypter, 282.