Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Februar/2001

Spalte:

155–157

Kategorie:

Altertumswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Hallo, William W. [Ed.]

Titel/Untertitel:

The Context of Scripture. I: Canonical Compositions from the Biblical World.

Verlag:

Leiden-New York-Köln : Brill 1997. XXVIII, 599 S. 4. Lw. hfl 175.-. ISBN 90-04-10618-9.

Rezensent:

Bernd Janowski

Der erste von insgesamt drei Bänden zu Texten aus der Umwelt der Bibel mit dem Untertitel "Canonical Compositions from the Biblcal World"1 wird eröffnet durch eine gehaltvolle Einleitung des Hauptherausgebers W. W. Hallo (XXIII-XXVIII), in der nicht nur die Geschichte der Gattung ,Altorientalische Texte zum Alten Testament' rekapituliert wird,2 sondern auch die Vorzüge des neuen Kompendiums gegenüber seinem Vorläufer ANET3 dargelegt werden. Diese Vorzüge lassen sich anhand des Titels "The Context of Scripture"4 verdeutlichen: Der "Kontext" ist gleichsam die horizontale Dimension eines bestimmten Textes, d. h. der geographische, historische, religiöse, politische und literarische Ort, an dem er entstanden ist und von dem aus er verbreitet wurde. Der kontextuelle Zugang zur Bibel erlaubt es daher, neben den unbestreitbaren Analogien zu und den Abhängigkeiten von altorientalischen Texten stärker die Unterschiede und Gegensätze zu sehen, die nun einmal zwischen ihnen bestehen. Das ist zwar immer beachtet worden, hier aber ist es Methode.

Der vorliegende Band vereinigt ägyptische, hethitische, westsemitische (ugaritische, aramäische, punische), akkadische und sumerische Texte, die in jeweils für diese Ausgabe angefertigten Übersetzungen nach Themen und literarischen Gattungen angeordnet werden: "Divine Focus" (Cosmologies, Other Myths, Hymns, Prayers, Lamentations and Elegies, Songs, Divinations, Incantations, Rituals), "Royal Focus" (Instructions, Epics, Historiography, Biographies and Autobiographies, Royal Hymns) und "Individual Focus" (Proverbs, Narratives, Prophecies, Instructions, Fables, Love Poems, Pseudepigrapha, Wisdom Literature, School Texts, School Dialogues, Just Sufferer Compositions, Disputations, Dialogues, Humorous Texts). Wer sich ein wenig in der Textwelt des Alten Orients auskennt, trifft ständig auf ,alte Bekannte', d. h. auf die ,klassischen' Texte für den religionsgeschichtlichen Vergleich. Aber auch weniger Bekanntes, für das Verständnis des Alten Testaments nicht minder Wichtiges findet sich auf Schritt und Tritt wie z. B. abgelegenere kosmologische Texte aus Ägypten (Pyramiden- und Sargtexte, 6-14.15-19.26. 30 f., Bearb.: J. P. Allen und R. K. Ritner), ägyptische Erzählungen wie das Zwei-Brüder-Märchen (85-89, Bearb.: M. Lichtheim), ägyptische Pseudepigraphen wie die Hungernotstele (130-134, Bearb.: M. Lichtheim), hethitische Weisheitstexte (215- 217, Bearb. G. Beckman), Beschwörungen und Rituale aus Ugarit (295-329, Bearb.: D. Pardee, B. A. Levine, J.-M. de Tarragon), akkadische Rituale aus Emar (427-443, Bearb.: D. Fleming) oder sumerische Sprichwörter (561-568, Bearb.: B. Alster).

Jeder der von insgesamt 37 hervorragenden Kennern der Materie (vgl. die Namensliste, XXI) übersetzten und kommentierten Texte wird nach einer kurzen Einleitung zum Inhalt, zur Datierung etc. zweispaltig dargeboten, wobei in dem Zwischenraum zwischen den beiden Spalten die Bibelstellen genannt werden, die von den Bearbeitern als "Parallelen" deklariert werden. Jeweils unter dem Text befinden sich z. T. knappe, z. T. aber auch ausführliche5 und - natürlich unterschiedlich - gehaltvolle Anmerkungen mit Wort- und Sacherklärungen sowie "References", d. h. Hinweisen auf andere Bearbeitungen des jeweiligen Textes. Eine repräsentative Bibliographie schließt jede Sektion ab (137-140 zu den ägyptischen, 231-235 zu den hethitischen, 367-374 zu den westsemitischen, 499-505 zu den akkadischen und 595-599 zu den sumerischen Texten). Ein Index zu Namen und Sachen wie in ANET3 wäre ein Non plus ultra gewesen, hätte bei heutigen Perfektionsvorstellungen vermutlich aber den Rahmen gesprengt.

Natürlich bleiben bei einem Unternehmen wie diesem Wünsche offen. Nicht so sehr der Wunsch nach noch vollständigerer Textdokumentation, sondern eher der Wunsch nach der Nennung anderer oder weiterer "Parallelen": Warum wird gerade dieser und nicht ein anderer Text als "Parallele" ausgegeben? Diese Frage wird allerdings immer kontrovers bleiben, weil ihre Beantwortung immer von der Kompetenz und Umsicht des Einzelnen abhängt.6 Das Problem erinnert an den sicherlich etwas anders gelagerten Vergleich zwischen altorientalischer und palästinisch-israelitischer Ikonographie, wie O. Keel und seine Mitarbeiter seit Jahrzehnten nachhaltig demonstrieren.7 Ob wirklich eine "Parallele" vorliegt und ob vielleicht sogar von literarischer oder sachlicher Abhängigkeit zu reden ist, muss in jedem Einzelfalle sorgsam erwogen und manchmal leider offen gelassen werden. Die im vorliegenden Band heranzogenen biblischen Texte sind dehalb als Vorschläge des Herausgebers und seiner Mitarbeiter zu verstehen. Sie treffen nicht immer ins Schwarze und können dies auch gar nicht. Dass sie aber gemacht werden, verdient hohe Anerkennung und gibt der Forschung mit Sicherheit neue Impulse. So steht am Ende der Dank für ein unvergleichliches und seinen Preis wertes Arbeitsinstrument sowie die Bewunderung für eine imponierende Gesamtleistung.

Fussnoten:

1) Die weiteren Bände sollen "Monumental Inscriptions from the Biblical World" (II) und "Archival Documents from the Biblical World" (III) beinhalten.

2) Diese Geschichte beginnt, wie Hallo gebührend hervorhebt, mit deutschen Publikationen, nämlich mit E. Schrader, Die Keilinschriften und das Alte Testament, Giessen 1872/21883 und H. Zimmern/H. Winckler, Die Keilinschriften und das Alte Testament, Berlin 1903.

3) J. B. Pritchard [Ed.], Ancient Near Eastern Texts Relating to the Old Testament, Princeton 1950/21955/31966; The Ancient Near East: Supplementary Texts and Pictures Relating to the Old Testament, Princeton 1969.

4) "Scripture" wird dabei wie folgt definiert: "Scripture is here cited from and defined as the Hebrew (and Aramaic) Bible." (XXVIII, Anm. 60).

5) Das gilt vor allem für alle Kommentierungen ugaritischer Texte von D. Pardee (241-285.287-298.302-309.327 f.).

6) Wie unterschiedlich man im Einzelfall votieren wird, macht z. B. O. Loretz, UF 28 (1996, ersch. 1997), 791-793 in seiner Besprechung des vorliegenden Werks an mehreren Beispielen deutlich. Dass ich selber die Kommentierung des ägyptischen Individualgebets an Re-Harachte durch M. V. Fox (47) und dessen Verweis auf Ps 23,6; 26,8; 27,4; 84,3.5.11; 42,3; 122,1 sachgerecht finde und mich nicht der diesbezüglichen Kritik von Loretz anschließen könnte (Loretz sieht die zentrale Aussage der genannten Psalmen-Belege in der "Vorstellung, daß eine Gottheit in ihrem Tempel durch eine Statue präsent ist" [a. a. O., 792]), unterstreicht nur unsere These.

7) S. etwa O. Keel/Chr. Uehlinger, Göttinnen, Götter und Gottessymbole. Neue Erkenntnisse zur Religionsgeschichte Kanaans und Israels aufgrund bislang unerschlossener ikonographischer Quellen (QD 134), Freiburg/Basel/Wien 41998.