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Ausgabe:

Februar/2001

Spalte:

153–155

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Tworuschka, Udo [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Heilige Schriften. Eine Einführung.

Verlag:

Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2000. VI, 318 S. gr.8. Pp. DM 98,-. ISBN 3-534-13594-6.

Rezensent:

Marco Frenschkowski

1956 erschien Günter Lanczkowski, "Heilige Schriften. Inhalt, Textgestalt und Überlieferung" (Stuttgart), ein meisterhaftes kleines Buch, welches eine brauchbare Einführung in die "Heiligen Schriften" der großen (und mancher kleinen) Religionen bot. Udo Tworuschka (Religionswissenschaftler an der Universität Jena), hat nun in bewusster Anknüpfung an diesen "Klassiker" ein Werk ins Leben gerufen, dessen Nutzen außer Frage steht und das etwa im Stil einer "Einleitung" eine Übersicht über Heilige Schriften bietet. In knappen, meist etwa 20-30 Seiten langen Artikeln werden folgende Texte und Textsammlungen behandelt: Altes Testament (Jürgen von Oorschot), Neues Testament (Nikolaus Walter), Talmud (Karl Hoheisel), Koran (Tilman Seidensticker), Heilige Schriften des Zoroastrismus (Manfred Hutter), des Hinduismus (Carl-A. Keller), des Buddhismus (Thomas Oberlies), des Sikhismus (Christoph Peter Baumann), des Taoismus (Florian C. Reiter), des Konfuzianismus (Bernd Michael Linke), der Baha'i (Manfred Hutter) und Heilige Schiften in Neuen Religionen (Renate Pitzer-Reyl). Ergänzt wird der Band durch einen einleitenden Essay des Herausgebers "Vom Umgang mit Heiligen Schriften" (besonders zur Präsenz im Unterricht und in der Erziehung der jeweiligen Religionen), eine synoptische Chronologie, Register und (recht ausführliche) Kurzporträts der Autorinnen und Autoren des Bandes. Das Auswahlkriterium ist nicht völlig klar: der Talmud partizipiert nur sehr bedingt an den üblichen Kriterien "Heiliger Schriften"; Religionen, die keine gegenwärtige Fortsetzung haben, sind nicht berücksichtigt (z. B. der Manichäismus).

Der Nutzen eines solchen lange vermissten Werkes steht außer Frage. Die 12 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind ausnahmlos ausgewiesene Kenner. Fragen der historischen Entstehung, der Überlieferung, der inneren Struktur "Heiliger Schriften" wie auch ihrer Stellung in Leben und Frömmigkeit der betreffenden Religionen kommen gleichermaßen zu ihrem Recht. Es bleiben aber doch einige Kritikpunkte und alternative Gestaltungsmöglichkeiten, die vielleicht die eine oder andere Verbesserung (ohne grundsätzliche Erweiterung des Umfanges) erlauben könnten. Es fand offenbar kaum eine effektive Verständigung über die Zielgruppe der Artikel statt. Nikolaus Walters Beitrag zum Neuen Testament z. B. ist allgemeinverständlich und setzt praktisch keine Vorkenntnisse voraus, Thomas Oberlies zum Buddhismus dagegen erwartet vorgebildete und sehr sorgfältige Leserinnen und Leser. Keine Verständigung gab es auch über die anzuwendenden Umschriften. Einige Autoren schreiben Worte in orientalischen Sprachen so, dass sie der nicht Vorgebildete annähernd richtig ausspricht (Karl Hoheisel zum Talmud), andere verwenden "offizielle" Umschriften (insbesondere die in Deutschland herrschenden der ZDMG). Das beste Verfahren scheint mir das z. B. das in "Kindlers Neuem Literatur Lexikon" angewandte zu sein: wissenschaftliche Umschrift, die auf einer kleinen Tabelle für das Gesamtwerk allgemeinverständlich erklärt wird. Wer mit ständig wechselnden Umschriften zu tun hat, wird auch den Konservativismus bedauern, mit dem Sinologen nach wie vor an Wade-Giles (u.Ä.) festhalten, während sich doch sonst, z. B. im politischen Journalismus, längst das (seit 1979 in der VR China allein verwendete) und gerade im Internetzeitalter (wegen seines Verzichtes auf diakritische Zeichen) sehr sinnvolle System Pinyin durchgesetzt hat. Auch Tworuschka schreibt noch z. B. Fa Hien und nicht Faxian (16, wo übrigens die Datierung "2. Hälfte 4. Jh." zu früh ist; die Reise fand AD 399-414 statt, der berühmte Reisebericht ist natürlich noch später). Manche Beiträge sind eher knapp, andere (z. B. zu den Baha'i) erstaunlich breit. Man verzeihe dem Rez. die Quisquilie, dass es nach wie vor "der Traktat" heißt (S. 52, Anm. 69). Die Auswahl Neuer Religiöser Bewegungen, die berücksichtigt wurden, will mir nicht einleuchten (3 Seiten zu den Mormonen, dagegen 13 zu den Baha'i), aber das ist zugegeben eine sehr schwierige Frage.

Jeder Leser wird inhaltlich das eine oder andere Fragezeichen haben; das ist bei einem so umfassenden Werk nicht zu vermeiden. S. 169 wird sehr zuversichtlich die heute beliebte, aber keineswegs allgemein rezipierte Spätdatierung Buddhas angenommen (ohne die traditionelle Datierung auch nur zu erwähnen). Dafür folgt dann M. Hutter der extremen Frühdatierung Zarathustras (132), der beträchtliche Bedenken entgegenstehen (auch hier ohne die traditionelle Datierung zu erwähnen). S. 273, Anm.3 wird behauptet, die Mormonen seien in 26 Untergruppen aufgespalten; ich weiß von etwa 60 organisatorisch unabhängigen Gruppen, die aber z. T. nicht mehr aktiv sind. Merkwürdig ist die Behauptung, es gäbe überhaupt nur "55 Pahlavi-Texte" (141). Die bis heute umfassendste Liste, (nicht etwa die von Jehangir Tavadia, der in einer Anmerkung genannt wird, sondern) diejenige von E. W. West im "Grundriß der iranischen Philologie II", 1904, 75-129, bietet eine sehr viel größere Zahl von Texten, selbst wenn man die Pahlavi-Übersetzungen aus dem Avestischen nicht mitzählt. Die Behauptung einer "pharisäisch-rabbinischen Dominanz" im Palästina des 1. Jh. n. Chr. (44) ist problematisch. Der Druckort Krotoschin (wo die berühmte jüdische Druckanstalt des Dov Baer Monash 1833-1901 ihren Sitz hatte) wird konsequent falsch Korotschin geschrieben (86. 91); Billerbeck und Schürer (Standardwerke der Judaistik) werden mehrfach ohne Bandangabe zitiert (89). Jacob Neusner lehrt schon lange nicht mehr an der Brown University (88), sondern ist Distinguished Research Professor of Religious Studies an der University of South Florida in Tampa, Florida. S. 91 ist "gemar" nicht hebräisch, sondern aramäisch (hebräisch wäre "gamar"). Öfters werden populäre Missverständnisse korrigiert (z. B. 163 f. zum Begriff "Tantra", 174 zur Vielzahl buddhistischer Kanones, oder 197 f. zu den Begriffen Adi Granth und Guru Granth Sahib, die keineswegs einfach Synonyma sind). Übrigens fehlt im Kapitel über die Sikhs merkwürdigerweise jeder Hinweis auf die Vorgänge im "Goldenen Tempel" von Amritsar 1984, ohne Frage eines der unheilvollsten Kapitel neuerer indischer Geschichte.

Nicht recht verständlich ist mir, warum nicht in möglichst vielen Fällen eine Übersicht über die seriösen Übersetzungen und Ausgaben gegeben wird, wie sie z. B. die betreffenden Artikel in Kindlers Neuem Literatur Lexikon (auf damaligem Stand) bieten. Das wird besonders im Artikel "Hinduismus" vermisst. Auch fehlt ein Abkürzungsverzeichnis, obwohl manche Beiträge in hohem Maße auf Abkürzungen zurückgreifen. Rabbinische Buchtitel erscheinen im selben Artikel einmal ausgeschrieben, dann wieder abgekürzt (52-55).

In der anglophonen Welt gibt es eine Reihe mehr oder weniger vergleichbarer Werke. Ich erwähne (mit etwas anderem Ansatz) Jean Holm u. John Bowker (Hrsg.), "Sacred Writings" (Themes in Religious Studies), London u. New York 1994. Ein Kuriosum, aber nicht ohne Interesse ist Rufus Camphausen, "The Divine Library. A Comprehensive Reference Guide to the Sacred Texts and Spiritual Literature of the World", Rochester, Vt. 1992, ein für einen breiteren (tendentiell "esoterisch" orientierten) Leserkreis geschriebenes und mit vielen Fehlern gespicktes Buch, das aber doch auf nur 211 S. in machem weiter ausholt als Tworuschkas Sammelwerk.

Insgesamt ist der angezeigte Band eine wichtige und anschaffenswerte Publikation, bei deren (sozusagen vorprogrammierter) zweiter Auflage aber noch eine Reihe von leicht realisierbaren Verbesserungen denkbar sind.