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Ausgabe:

Februar/2001

Spalte:

145–148

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Bowker, John [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Das Oxford-Lexikon der Weltreligionen. Für die deutschsprachige Ausgabe übers. u. bearb. von K.-H. Golzio.

Verlag:

Düsseldorf: Patmos 1999. XXVI, 1154 S. gr.8. Lw. DM 98,-. ISBN 3-491-72406-6.

Rezensent:

Klaus Hock

Die Veröffentlichung des vorliegenden Lexikons ist in mehrfacher Hinsicht ein mutiges Projekt: zum einen, weil im Zeitalter der rapide expandierenden Informationstechnologie ein Wörterbuch in der traditionellen Form eines knapp 1200 Seiten umfassenden, gebundenen Buches von manchen Zeitgenossen als Anachronismus belächelt werden könnte; zum anderen, weil es der Quadratur des Kreises gleicht, solch ein umfassendes Vorhaben zwischen die Buchdeckel eines einbändigen Werkes zu pressen; und weiterhin, weil die Übersetzung aus dem Englischen eine Reihe von Unwägbarkeiten in sich birgt. Einige dieser Probleme haben der Hg. sowie der Übersetzer und Bearbeiter bereits in ihren einleitenden Bemerkungen aufgegriffen. Wie B. feststellt, ergab sich der Plan zur Veröffentlichung eines einbändigen Lexikons aus seiner Zielgruppenbestimmung: "Jede Religion hat eine lange eigene Geschichte mit den dazugehörigen Leuten sowie Texten und Ideen. Das Wörterbuch war daher dazu bestimmt, denjenigen zu helfen, die ein Interesse an Religionen haben, aber das Thema als zu umfangreich empfinden. ... Der Zweck des Wörterbuches ist es, Anfangswegweiser auf einem neuen und ungewohnten Boden aufzustellen, nicht nur für Studenten, sondern auch für den allgemeinen Leser" (VII). Infolgedessen zielt der Band nicht nur darauf, in kurzen Einträgen wichtige Begriffe zu klären, sondern auch Sinnzusammenhänge deutlich zu machen, wenngleich eine umfassende Erörterung des jeweiligen Stichwortes nicht möglich ist. Als wichtiges Stilmittel werden hierbei Zitate bemüht, um bedeutsame Inhalte prägnant zu erfassen und in ihren Implikationen treffend darzustellen. Aus der notwendigen Kürze ergaben sich auch im Blick auf die formale und technische Realisierung bestimmte Notwendigkeiten: Ein ausgeklügeltes System von Querverweisen verhindert, dass Angaben nicht zu oft an verschiedenen Stellen verhandelt werden müssen, und am Schluss des Lexikons sind in einem Sachindex große Themenbereiche zusammengestellt - und hier war dann auch die moderne Informationstechnologie von Hilfe, wie der Herausgeber dankend anmerkt.

Zur Übersetzung und Bearbeitung der deutschen Ausgabe äußert sich Karl-Heinz Golzio, der bereits im 1997 erschienenen englischen Original als Mitarbeiter für das Gebiet "Hinduismus und Buddhismus in Indien und Südostasien" zuständig war: Die Übersetzung hat, wie dies stets der Fall ist, nicht nur eine Überarbeitung bedeutet, sondern zum Teil eine Erweiterung und an manchen Stellen sogar eine Transformation nötig gemacht. Veränderungen waren insbesondere bei den bibliographischen Angaben nötig; eine besondere Schwierigkeit stellte das Auffinden deutschsprachiger Zitate dar, die in der Originalausgabe ja nur auf Englisch vorlagen. Doch auch inhaltliche Eingriffe wurden vorgenommen, wo sie der Übersetzer für notwendig erachtete - so vor allem bei den Lebensdaten der angeführten Persönlichkeiten, die im Original zum Teil ungenau oder gar unzutreffend angegeben waren. Diese Eingriffe geschahen in Form von Kürzungen, aber auch Erweiterungen an den Stellen, wo der Text nicht mehr den aktuellen Forschungsstand wiederzugeben schien. Auch die Transkription wurde verändert und auf im deutschsprachigen Kontext übliche Systeme umgestellt. In der Frage der Transliteration liegt nun aber eine Schwierigkeit nicht nur dieses, sondern jedes (religions)wissenschaftlichen Wörterbuches, das Begrifflichkeiten aus praktisch allen wichtigen Weltsprachen übertragen muss. Das Problem verschärft sich dadurch, dass selbst innerhalb einer Sprache verschiedene Transkriptionssysteme gebräuchlich sind. Bei der Transliteration von arabischen Begriffen ist der Übersetzer dem System der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft gefolgt; ansonsten bemühte er sich, "eine Form zu finden, der der allgemeine Leser heute am wahrscheinlichsten begegnen wird" (XV). Für die Transliteration von chinesischen Begriffen hat sich der Übersetzer gegenüber dem heute üblichen Pinyin-System für das ältere Ade-Giles-System entschieden, am Ende des Buches allerdings einen Index erstellt, der die vorkommenden Begriffe in beiden Transliterationssystemen auflistet.

In der Tat ergaben sich im Blick auf die Frage, welche Transliterationssysteme verwandt werden, besondere Probleme. Leserinnen und Leser, die den vom Hörensagen bekannten Begriff "dschihâd" nachschlagen wollen, werden unter dsch nicht fündig; aber auch die Suche nach jihâd - der vielleicht am weitesten verbreiteten Transliteration - wird vergeblich sein. Hier hilft dann nur das Wissen um das Transliterationssystem der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft oder der Umweg über den Eintrag "Heiliger Krieg" - womit im Zusammenhang mit dem Begriff des jihâd sofort die falschen Assoziationen ausgelöst werden, obgleich der Eintrag Giha-d diese dann wieder korrigiert. Auch Khomeini findet sich nicht unter Khomeini, sondern Humayni- - in diesem Falle hilft allerdings ein Querverweis weiter. Überhaupt sind die Querverweise sehr nützlich: Wer etwas über Sri Aurobindo erfahren will, wird zu Aurobindo unter dem Buchstaben "A" geführt, und wem gerade nur al-Banna als Namensglied des Begründers der Muslim-Bruderschaft einfällt, wird zutreffend der Verweis auf H.asan al-Banna-unter "H" angegeben - ganz korrekt und entsprechend den arabischen lexikographischen Gepflogenheiten, weshalb auch Persönlichkeiten wie at-Tiga-ni- oder al-Gi-li- eben unter Ah.mad at-Tiga-ni- bzw. 'Abd al-Qa-dir al-Gi-li- zu finden sind. Durchgehend kongruent ist das System aber nicht: wer Gama-l ad-Di-n al-Afg.a-ni- oder Muh.ammad 'Abduh sucht, wird auf al-Afg.a-ni-, Gama-l ad-Di-n bzw. 'Abduh, Muh.ammad verwiesen, während der Weggenosse und Schüler des letztgenannten unter Rasi-d Rida- verzeichnet ist.

Aber das sind nur Marginalien, die nicht ins Gewicht fallen. Störender wirkt demgegenüber, dass beispielsweise die für den deutschen Kontext doch so wichtigen "Aleviten" nicht unter diesem Begriff eingetragen sind. Auch wer sich findig zum Eintrag 'Alawi- durcharbeitet, erhält keine Information zum gesuchten Stichwort, die zwischen türkischen und syrischen 'Alawi- differenzieren. Weiterhin wäre anzumerken, dass nicht immer alle Einträge, die in unmittelbarer inhaltlicher Nachbarschaft liegen, aufeinander abgestimmt zu sein scheinen - so z. B. bei Tiga-niyya und Ah.mad at-Tiga-ni-, wo es zu Doppelungen, aber auch zu Unklarheiten und Verzerrungen kommt: Wie ist es etwa zu verstehen, wenn von den Tiga-niyya gesagt wird: "Sie stellten sich auf die westliche Herrschaft ein, besonders auf die französische, und sind deshalb in den Teilen Afrikas, die ehemals französische Kolonien waren, stärker vertreten?" - und die Behauptung, die Tiga-niyya "wurde zunehmend aggressiver gegen die französischen Kolonialisten und Nichtmuslime. Diese Anwendung des Giha-d in Verbindung mit der persönlichen Verehrung des at-Tiga-ni- macht den Orden anderen Muslimen suspekt", ist in dieser vereinfachenden Form nicht zutreffend. Um noch im geographischen und inhaltlichen Kontext zu bleiben: Es wäre schön gewesen, wenn wichtige Persönlichkeiten des afrikanischen Islam, wie Usman dan Fodio, al-Hajj 'Umar Tâll oder Ibrahim Niass hätten Aufnahme finden können. Auf der anderen Seite verlangen die Kapazitätsgrenzen selbstverständlich eine Beschränkung auf eine gewisse Anzahl von Einträgen, was dann auf Kosten anderer Einträge geht, und eine objektive Grenzziehung, der alle zustimmen könnten, wird sich wohl niemals finden lassen. In diesem Zusammenhang ist insbesondere zu würdigen, dass spürsicher wichtige Schlüsselbegriffe aufgenommen sind, die sonst üblicherweise eher in der "zweiten Reihe" stehen - so beispielsweise der mit komplexen Bedeutungsinhalten gefüllte Terminus barzah. Erfreulich ist auch, dass sich u. a. ein - sogar verhältnismäßig umfangreicher - Eintrag zu Nagi-b Mahfu-z findet (unter Mah.fu-z.). Leider fehlen dafür andere wichtige Persönlichkeiten, die vielleicht auch mit gutem Recht hätten aufgenommen werden können - so etwa Mahmud M. Tahâ oder Sulak Sivaraksa; bei Buddhadasa, der zu Recht berücksichtigt wurde, hätten die exakten Lebensdaten angegeben werden können, denen insbesondere der Übersetzer ansonsten ja mit großer Sorgfalt besondere Aufmerksamkeit schenkt.

Eine grundsätzliche Begrenzung im Blick auf das Gesamtgebiet der Religionen ist in der Konzeption des Lexikons dadurch gegeben, dass es nur auf "Weltreligionen" beschränkt ist. So erklärt es sich, dass wichtige Begriffe wie Makumba, CandomblÈ, mganga oder Dema nicht als eigenständige Einträge berücksichtigt sind. Andererseits wurden Termini wie tabu oder mana aufgenommen. Dieser (scheinbare) Widerspruch ist wohl dadurch zu erklären, dass die letztgenannten Begriffe aus ihrem ursprünglichen regionalen Kontext herausgelöst und zu einer allgemeinen religionswissenschaftlichen Kategorie transformiert wurden. Doch auch hier gibt es gewisse Inkonsistenzen, wenn Einträge wie "Godianismus" oder "Umbanda" aufgenommen sind. Auch an anderen Stellen ließen sich entsprechende Ungleichgewichtigkeiten aufzeigen: ein Eintrag "Southern Baptist Convention" existiert, ein Eintrag "Missouri-Synode" nicht; "Ainu" sind aufgeführt, nicht aber beispielsweise "Bantu" oder "Fulani"; und auch die Auswahl der im Lexikon berücksichtigten afrikanischen unabhängigen Kirchen scheint ein wenig willkürlich. - Bei der Übersetzung ins Deutsche sind auch einige Anglizismen stehengeblieben: Beispielsweise würden deutsche Nutzer das "Weltkonzil der Kirchen" wohl eher unter "Weltrat der Kirchen", "Weltkirchenrat" oder "Ökumenischer Rat der Kirchen" suchen.

Dennoch: diese kritischen Anmerkungen beziehen sich mehr auf Einzelbeobachtungen; sie sind auf keinen Fall als grundsätzliche Kritik oder gar als Behauptung genetischer Unzulänglichkeiten des Gesamtkonzepts für dieses Lexikon zu lesen! Ein Lexikon in dieser Form und im Blick auf die eingangs genannte Zielgruppenbestimmung ist durch eine mehrbändige religionswissenschaftliche Enzyklopädie genauso wenig wie durch die Möglichkeiten der Internet-Recherche zu ersetzen. B. hat zu Recht festgestellt: "weder der allgemeine Leser noch Studenten führen jederzeit eine Handbibliothek mit sich" (VII). Doch in gewisser Weise kompensiert das vorliegende Lexikon die fehlende Handbibliothek; es erfüllt den Zweck, den ein solches Wörterbuch zu erfüllen hat, vollauf - als kompakter Band, in dem mit einem Handgriff die wichtigsten Begriffe nachzuschlagen sind und der mit seinen Einträgen, die durch kluge Querverweise aufeinander bezogen sind, zuverlässige Informationen gibt.

Zu erwähnen bleibt am Schluss die zehnseitige Einführung des Herausgebers, in der er - unter enger Bezugnahme auf die Soziobiologie - die Problematik des Religionsbegriffs expliziert. Wie der Übersetzer und Bearbeiter der deutschen Ausgabe zu Recht feststellt, schießt B. an einigen Stellen zum Teil "mit seinen universellen Ansprüchen weit über das Ziel hinaus" (XXVI, Anm. 2). Dennoch wird hier viel Grundlegendes gesagt, das mit lieb gewordenen Vorurteilen in Sachen Religion nochmals gründlich aufräumt, so z. B. im Blick auf religiöse Vorstellungen im Zusammenhang mit dem Tod. B. macht deutlich, "daß die bestehenden religiösen Traditionen der Welt nicht, wie so viele annehmen, auf der Grundlage eines Angebotes des ,Kuchens im Himmel' ('Pie in the sky') errichtet wurden. Sie wurden aufgrund der Erfahrung und Erkundung in diesem Leben begründet, nicht wegen des Versprechens einer Belohnung nach dem Tod" (XX).