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Ausgabe:

Februar/2001

Spalte:

140–142

Kategorie:

Allgemeines

Autor/Hrsg.:

[Rogge, Joachim]

Titel/Untertitel:

Unter dem Dach der Kirche. Festschrift für Joachim Rogge zum 70. Geburtstag. Hrsg. von R. Hoburg.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 1999. 270 S. m. Abb., 1 Porträt, 8. Kart. DM 44,-. ISBN 3-374-01749-5.

Rezensent:

Siegfried Bräuer

Keiner der beteiligten Autoren wird geahnt haben, dass er seinen Beitrag zugleich für eine Gedenkschrift schrieb. Nur sieben Monate nach dem Jubiläumsgeburtstag starb J. Rogge in einem Wittenberger Krankenhaus. Die Nachricht von seinem verhältnismäßig frühen Tod löste bei vielen in Kirche und Theologie Betroffenheit aus.

Herausgeber und Autoren hatten neben der Ehrung aus gegebenem Anlass mit der Festschrift zugleich einen Beitrag zur Zeitgeschichte im Sinn. Das spiegelt sich in der Gliederung wider: 1. Unter dem Dach der Kirche (Beiträge von Rudolf Mau, Gert Haendler, Jürgen Kampmann, Stefan Rhein, Ralf Hoburg); 2. Erlebt und Erzählt (Interview, autographische Darstellung, Beiträge von Jan von Campenhausen und Friedrich Winter); 3. Eine Kirche in zwei Wirklichkeiten (Beiträge von Klaus Engelhardt, Axel Noack, Klaus Wollenweber); 5. Bibliographie J. Rogges.

Die Übergänge zu den Gliederungsteilen sind fließend. Schwerpunkt ist insgesamt die Situation der Kirche unter den Bedingungen der DDR, vorwiegend unter dem Aspekt der Leitungsverantwortung und dem Verhältnis von Kirche und Gesellschaft. Vermutlich wird sich der Leser zuerst dem 2. Teil zuwenden. Das Interview, das die beiden Journalisten Reinhard Henkys und Götz Planer-Friedrich am 6.8.1999 mit dem emeritierten Bischof der Kirche der schlesischen Oberlausitz geführt haben, konzentriert sich vorrangig auf das kirchenleitende Wirken Rogges als Präsident der Kirchenkanzlei der EKU und als Görlitzer Bischof. Wichtige Ereignisse, Entscheidungen und Themen von öffentlicher Relevanz (Synodalbeschlüsse, Bund der evangelischen Kirchen in der DDR, Luther-Jahr, Bonhoefferrezeption u. a.), aber auch das Ende der DDR und die neue Situation durch die Einheit der Kirche bzw. der gliedkirchlichen Zusammenschlüsse werden angesprochen. Die Interviewer haben auch unbequeme Fragen gestellt, vor allem zum Verhältnis von Kirche und Staat, einschließlich den Gesprächen mit dem Staatssicherheitsdienst. Bei seinen Antworten begnügt sich der Gefragte nicht mit bekannten diplomatischen Formeln. Er benennt auch die im Nachhinein deutlicher erkennbaren Grenzen vermittelnder Bemühungen. Seine nachvollziehbaren kontinuierlichen Hinweise auf die Realitäten dürften die Interviewer nicht in jedem Fall befriedigt haben. Unterschiede in der Beurteilung der Situationen, der Verantwortungsspielräume, aber auch in der persönlichen Prägung der Gesprächspartner sind wahrnehmbar.

Eine gute Ergänzung bietet der gekürzte Neudruck von Rogges Beitrag für den von Dietrich Meyer herausgegebenen Sammelband Kirchengeschichte als Autobiographie (Köln 1999). R. berichtet hier über seinen persönlichen Werdegang, seine kirchengeschichtliche Forschungs- und Lehrtätigkeit, aber auch über seine Impulse für theologische Publikationen und seine wissenschaftsorganisatorischen Aktivitäten. Eine Ergänzung erfahren seine Informationen durch den Beitrag von Haendler: Erfahrungen mit der Evangelischen Verlagsanstalt in Berlin. Anhand vieler konkreter Beispiele gibt er Einblick in die Möglichkeiten und Grenzen, die benötigten theologischen Publikationen für Lehre und Forschung bereitzustellen. Winter wendet sich mit seinem Überblicksbeitrag "Kirchliche Wege zwischen Ost und West (1949-1989). Hinweis auf eine dringende Forschungsaufgabe" der grenzüberschreitenden zwischenkirchlichen Kommunikation, einschließlich der Tätigkeit der "Kuriere" zu, die für die Kirche in der DDR lebenswichtig war, aber sich weitgehend der öffentlichen Wahrnehmung entzog. Den Gesamtrahmen für Existenz und Wirken der evangelischen Kirche in der DDR zeigt Mau in seinem Beitrag auf: "Kirche und Spannung zwischen Ost und West". Die nach Phasen gegliederte Skizze könnte als Grundriss für einen noch vorzulegenden Band in der Reihe "Kirchengeschichte in Einzeldarstellungen" dienen. Dabei wäre jedoch die Konzentration auf die zentralkirchliche Entwicklung, die in dem vorliegenden Abriss unumgänglich ist, zu ergänzen durch die Berücksichtigung landeskirchlicher Unterschiede, die auch während der DDR die kirchlichen Handlungsspielräume mit geprägt haben.

Von den Beiträgen, die sich mit der neuen kirchlichen Situation beschäftigen, sollen drei besonders erwähnt werden. Engelhardts Ausführungen bilden, neben anderen (Kampman, von Campenhausen, Wollenweber), ein Bindeglied zwischen den beiden Zeiten kirchlichen Wirkens, der Jahre vor 1989 und der Jahre nach 1989. Die Überschrift gibt bereits klar Auskunft über den Inhalt: "Mit den während der Zeit der Trennung gewachsenen Erfahrungen und Unterschieden wollen wir sorgsam umgehen. Von der Ungleichzeitigkeit der EKD in Ost und West". Axel Noack stellt sich mit seiner nüchternen Analyse über "Die Zukunft der Volkskirche aus östlicher Sicht" der gegenwärtigen Realität. Mögen seine Überlegungen vor allem die Situation der Kirchenprovinz Sachsen zum Hintergrund haben, so betreffen sie zugleich alle östlichen Kirchen und vermutlich auch zunehmend die westlichen Kirchen. Das gilt auf jeden Fall für die von ihm herausgestellte Leitlinie künftiger kirchlicher Arbeit: Wirklich bei den Menschen und zugleich ganz bei der eigenen Sache sein. Unter der Überschrift "Rote Dächer und in der Mitte ein Kirchturm. Zur Orientierungsfunktion der Theologie in unübersichtlicher Zeit" geht es Hoburg in seinem Beitrag um die allgemeinen Bedingungen, unter denen die Kirche heute und in nächster Zukunft ihren Auftrag wahrzunehmen hat. Seine Forderung, die theologische Deutungskompetenz in Predigt und Seelsorge müsse "abseits global medialer Vorstellungswelten ,lokale' Orientierung für das Leben bieten, die das Verhältnis von ,Markt' und ,Moral' in gewisser Weise wieder gerade rückt", ist auf jeden Fall weiter mit dem Ziel zu bedenken, situationsgerechte Folgerungen zu gewinnen.

R.s eigene Arbeiten zur Situation der Kirche flankieren die in den anderen Beiträgen in ähnlicher Weise mitgeteilten Analysen, Erwartungen und Impulse. Die temperamentvolle Art des Vortrags, für die er bekannt war, ist in der schriftlichen Gestalt erhalten geblieben. Was Kirche und Theologie im östlichen Deutschland und darüber hinaus dieser kirchlichen Leitungspersönlichkeit zu verdanken haben, wird sich erst aus größerem zeitlichen Abstand heraus ermessen lassen. Die Festschrift lässt das Spektrum dieses Wirkens gut erkennen.