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Ausgabe: | Februar/2001 |
Spalte: | 137–140 |
Kategorie: | Allgemeines |
Autor/Hrsg.: | Nowak, Kurt |
Titel/Untertitel: | Das Christentum. Geschichte, Glaube, Ethik. |
Verlag: | München: Beck 1997. 128 S. kl.8 = Beck'sche Reihe, 2070. Kart. DM 14,80. ISBN 3-406-41870-8. |
Rezensent: | Volker Drehsen |
Klagen über die weit verbreitete Unkenntnis in Sachen christlicher Religion sind heutzutage längst topisch geworden und finden allenthalben Anhaltspunkte und Belege: Bundesrichter machen sich kaum mehr die Mühe, in die komplexe Semantik der Kreuz-Christi-Theologie einzudringen, wenn sie ein Kruzifix-Urteil zu fällen haben; Ministerpräsidenten, nicht jedoch bibelfeste Bundespräsidenten (!), können öffentlich unwidersprochen das geläufige Bibelwort vom Menschen, der nicht allein vom Brot lebt (Mt 4,4), auf Brecht oder Goethe zurückführen; Fernsehmoderatoren, sogar Landesbischöfe kommen ohne weitere Sachkenntnis aus, wenn es wieder einmal über Kirchensteuersystem oder kirchliche Feiertage zu schwadronieren gilt. Das Christentum, das insgesamt ein Drittel der religionszugehörigen Weltbevölkerung, in Europa immerhin 82,6 Prozent ausmacht, wird hierzulande auf dem Felde solider Durchschnittsbildung weitgehend als Ignoranzgebiet geduldet, mögen auch die christlichen Spurenelemente in kulturellen, rechtlichen, ethischen und alltäglichen Lebensäußerungen nach wie vor unübersehbar sein.
Solche Ignoranz taugt freilich nicht zu moralisierender Kulturkritik, wo sie Ausdruck eines allgemeinen Plausibilitätsverlustes ist: "Durch bloßes Dasein wirkt der christliche Glaube nicht mehr überzeugend" (7), so dass die Beweislast überzeugender Darstellung vor allem den Vertretern des Christentums selbst zufällt. Sich dieser Beweislast zu stellen, ist das Anliegen des vorliegenden Bändchens Das Christentum. Geschichte, Glaube,Ethik des Leipziger Kirchenhistorikers Kurt Nowak. Er bietet eine äußerst knappe, selten klare, rundum solide und höchst konzentrierte Darstellung des Christentums in seinen historischen, dogmatischen und ethischen Dimensionen. Birgt das Unternehmen, auf nur knapp 130 Seiten ein umfassendes Bild vom Christentum zu zeichnen, ein nicht geringes Risiko der Verzeichnung und Oberflächlichkeit, so ist es in diesem Band gelungen, die Gefahren umsichtig und kompetent zu meiden.
Der umfangreichste Teil des Bandes ist der geschichtlichen Entstehung und Entfaltung des Christentums gewidmet (9-60). In der - mit seinen Mysterienkulten, orientalischen Gottheiten, gnostischen Erlösungslehren und disparaten Erscheinungen des Judentums - ebenso vielgestaltigen wie synkretistischen Umwelt des Orbis Romanus (9-13) entstand im palästinensischen Klientelgebiet durch das Wirken und die posthume Ausdeutung der biographisch nur spärlich belegten Stiftergestalt Jesus von Nazareth eine christliche Bewegung, die zunächst im hellenistischen Synagogenjudentum reüssierte, bevor sie mit ihrem Übergang zum paulinischen Heidenchristentum zu welthistorischer Bedeutung aufstieg (13-19). Die wechselseitigen Beeinflussungen zwischen christlicher und antik-hellenistischer Welt sorgten für eine rasche Verbreitung und Vertiefung des Christentums, das nach zeitweiligen Widerständen, Gegnerschaften und Verfolgungen mit der sog. konstantinischen Wende von 312/313 zur privilegierten Reichskirche, somit zur "gesellschaftlichen Leitkultur" (!) avancierte (93) und selbst zum Häresieverfolger wurde (20-29). Die Reichsteilung nach dem Tod Kaiser Theodosius' im Jahr 395 hat die Dominanz des Christentums nicht gebrochen, sondern ihr im West- wie Ostreich nur eine unterschiedliche Prägnanz verliehen (29-32): Während das Ostreich mit der Metropole Byzanz (32-37) durch makedonische Renaissance und semitisch-orientalische Klosterkultur geprägt wurde, nicht zuletzt auch durch den kirchenslawischen Kulturkreis, in dem sich nach dem Fall Konstantinopels Moskau als "drittes Rom" verstehen konnte, behauptete sich Rom selbst im Westreich wenn nicht als politisches, so doch geistliches Zentrum jenes Corpus Christianum, das den Grundstock des in seiner Idealität wie Machthybris durchaus ambivalenten lateinisch-christlichen Abendlandes bildete (37-48). Seine Krisen und Katastrophen im Spätmittelalter brachten denn auch bereits seit dem 14. Jh. religiöse und kirchenreformerische Erneuerungsbewegungen hervor, die in der Reformation des 16. Jh.s ihren Höhenpunkt fanden: eine Erneuerung in Theologie, Frömmigkeit und kirchlicher Praxis, die mit ihrer "Lehre von der göttlichen Gerechtsprechung des sündigen Menschen allein aus dem Glauben" (51) der libertas christiana mit weitreichenden Folgen in Religion, Politik und Gesellschaft zum Durchbruch verhalf (48-53). Das neuzeitliche Christentum sieht N. schließlich durch vier Merkmale charakterisiert: durch seine Konfessionalisierung in vielfachen Kirchentümern, durch die christlich-missionarische Verbreitung in der außereuropäischen Welt, durch die kritische, weltanschauliche, gesellschaftliche Umformung des Christentums im Zeitalter der Aufklärung sowie im Übergang zur Moderne durch den Eintritt des Christentums in eine Welt der relativierenden Geschichtlichkeit, Weltanschauungskonkurrenz und ökumenischen Orientierung (53-60). Insgesamt werden die Entwicklung und Entfaltung der Christentumsgeschichte nicht auf ihre binnenkirchlichen Aspekte verkürzt, sondern in ihrer Vernetzung mit der allgemeinen Kultur- und Gesellschaftsgeschichte transparent.
N. gelingt es, die Grundzüge der einzelnen Epochen scharf zu konturieren, zugleich aber immer wieder auch an exemplarischen Details zu veranschaulichen: Makrostruktur und Miniaturen ergänzen sich zu einem vielschichtig lebendigen Bild der Christentumsgeschichte, die in ihren politischen, kulturellen, nicht zuletzt interreligiösen Wechselbeziehungen vergegenwärtigt wird, so dass zugleich ein Abriss der Geschichte des Judentums und Islams in ihrer Begegnung mit dem Christentum ersteht. Die Klarheit der Darstellung wird nirgends mit einem Differenzierungsverlust erkauft.
Das Niveau wird in den beiden weiteren Teilen gehalten, in denen N. jeweils in problemgeschichtlichem Zuschnitt die Grundzüge und Manifestationen christlichen Glaubens und lebensweltlicher Ethik entfaltet. "Der christliche Glaube" (61-92) wird in seinen biblisch-kanonischen, bekenntnis- und lehrmäßigen sowie kirchlich-institutionellen Grundlagen mit aufschlussreichen historischen Querverweisen, konfessionsbeding- ten Differenzierungen und Besonderheiten dargestellt (1. Das Neue Testament, 61 ff.; 2. Glaubensbekenntnisse, Dogmen, 65ff.; 3. Die Kirche, 70 ff.). Der umstrittenste Abschnitt dürfte das 4. Kapitel über "Strukturen des Glaubens" sein (73-78), in dem N. nichts weniger als das Wesen des Christentums in seinem "gleichsam idealtypischen Charakter" zusammenzufassen sucht (74): der im biblischen Glauben an den Schöpfergott umfangene, jedem Monismus materialistischer oder spiritualistischer Art abholde Gedanke der Leiblichkeit (74 f.), der christliche Sündenrealismus gegenüber dem Weltbösen (75 f.), der im christlichen Erlösungsglauben begründete Freiheitsgedanke (77 f.). Die weitere Darstellung ist - lakonisch, fast lexikographisch - den Manifestationsformen des christlichen Glaubens gewidmet, dem Gottesdienst (78 ff.), dem religiösen Festkalender (81 ff.), den Hagiographien und Reliquienkulten (83 ff.) sowie den Medien der christlichen Kunst, der monumentalen Baukunst (87 f.), der Malerei (88 ff.), der Musik (90f.) und - allzu lapidar - der Literatur (92).
Der letzte Teil des Bändchens enthält - wiederum weitgehend problemgeschichtlich orientiert - den Komplex "Ethik und Lebenswelt" in der Perspektive des Christentums (93-120). Ausgehend von dem Ansatz der Ethik als Theorie menschlicher Lebensführung (99, im Anschluss an Trutz Rendtorff), in der sich außerweltliche und innerweltliche Dimensionen verschränken, der Christ mithin weder im Gegebenen der Wirklichkeit aufgeht noch in eine religiöse Sonderwelt entrückt, sondern die Freiheit seiner ethischen Lebenspraxis (93 ff.) gerade in einer christlich begründeten Stellungnahme (96 ff.) zur Welt findet (99 ff.), rekonstruiert N. die entscheidenden unterschiedlichen Beiträge christlicher Ethik zu den Lebensbereichen der Wirtschaft und Gesellschaft (101 ff.), Politik und Herrschaft (107 ff.), des Rechts und der Gerechtigkeit (113 ff.). Ein Abschnitt zur Kirche als ethischer Gesellschaftsinstanz beschließt diesen Teil (116 ff.), während der letzte Abschnitt einen resümierenden Ausblick auf die "Zukunftsgestaltung" des Christentums bietet (118 ff.), der angesichts der gegenwärtigen "Renaissance" des Religiösen und der aktuellen religiösen und ethischen Herausforderungen an Glaube und Ethik zur souveränen, selbstbewussten wie profunden Selbstauslegung des Christentums in der modernen Gesellschaftskultur ermutigen will.
Ein Anhang zur "Weltstatistik der Religionen" (121 f.), eine "Auswahlbibliographie", die sich weitgehend auf Gesamtdarstellungen und Lexika zum Christentum beschränkt (123 ff.), sowie ein Personenregister sind dem Bändchen beigegeben. Insgesamt bietet dieser Band eine kondensierte Darstellung des Christentums, seiner Geschichte, seines Glaubens und seiner Ethik. Er vermittelt ein umfassendes Bild der christlichen Welt, deren Reichtum recht plastisch wird, ohne dass seine Schattenseiten verborgen blieben. Das Bändchen kann dem Unkundigen zur Einführung, ebenso aber dem Kundigen als Systematisierungshilfe dienen. Es ist ein Stück Apologetik im besten Sinne: eine ebenso knappe wie kompetente Darstellung des Christentums vor dem Hintergrund einer grassierenden Unkenntnis seiner Geschichte, Glaubens- und Lebenswelt.