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Ausgabe:

Januar/2001

Spalte:

107–110

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Weyer-Menkhoff, Stephan

Titel/Untertitel:

Wozu wird christliche Religion unterrichtet? Ein Diskurs zur Notwendigkeit ästhetischer Vermittlung.

Verlag:

Münster: LIT 1999. 414 S. gr.8 = Ästhetik - Theologie - Liturgik, 9. Kart. DM 59,80. ISBN 3-8258-4255-X.

Rezensent:

Klaus Wegenast

Bei dem anzuzeigenden Buch handelt es sich um eine Göttinger praktisch-theologische Habilitationsschrift. Sie macht es sich zur Aufgabe, Argumente für die Berechtigung, den Sinn, die Ziele, Inhalte und Formen von Unterricht in christlicher Religion aus dem 19. und 20. Jh. zu untersuchen. Die Motivation des Vf.s für dieses Vorhaben ist der Tatbestand, dass sich die Argumente für die Begründung eines Unterrichts in christlicher Religion im genannten Zeitraum stets als "Neuansätze" einführen, welche die jeweils vorangehenden ausdrücklich als unzureichend oder sogar abwegig beurteilen, obwohl es doch allen Autoren um dasselbe gehe, um den Unterricht in christlicher Religion. Das Urteil W.-M.s über diesen Tatbestand ist hart: "So entsteht ein Arrangement positioneller Äußerungen, denen historisches Bewußtsein ebenso abgeht, wie systematische Reflektiertheit." (9). Das wird dann wohl nachzuweisen sein.

Wie immer, unter den gegebenen Umständen ist es dem Vf. wichtig, hinter den sich jeweils als Alternativen zu vorangehenden Begründungsversuchen für den Unterricht in christlicher Religion die "Kontinuität des Unterrichts in christlicher Religion" zu reflektieren. Man ist gespannt.

Aus dem angedeuteten Forschungsansatz ergibt sich für W.-M. die Notwendigkeit einer problemgeschichtlichen Durchsicht des ausgewählten "Materials" im Horizont historischer und systematisch-theologischer Fragestellungen. Die Leitfrage lautet: "Wozu wird christliche Religion unterrichtet?" Sie soll sich am Zweck orientieren, der mit der christlichen Religion gegeben erscheint, und dann an den Formen des Unterrichts, welche der Vf. als Bedingung der Möglichkeit von Lernen versteht. Offensichtlich weiß der Vf. um die Dialektik zwischen Theologie und Didaktik, Religion und Lernen.

Aus der Fülle der Versuche, den Unterricht in christlicher Religion im in Frage stehenden Zeitraum zu begründen, wählt der Vf. ohne nähere Begründung für seine Auswahl neun aus und versucht dann gleichsam als Quintessenz seines Diskurses sein Argument für den Unterricht in christlicher Religion, den er als "ästhetische Vermittlung" verstehen möchte, dem Leser nahe zu bringen.

Hier die Auswahl der zu analysierenden Begründungen: Friedrich Heinrich Christian Schwarz (1766-1837), Christian David Friedrich Palmer (1811-1875), Carl Adolph Gerhard von Zezschwitz (1825-1886), Albrecht Ritschl (1822-1889), Richard Kabisch (1868-1914), Otto Eberhard (1865-1966), Gerhard Bohne (1895-1977), Gerhard Kittel (1902-1984) und Karl Ernst Nipkow (1928). Als wichtige Gewährsleute für den eigenen Entwurf nennt der Vf. Peter Biehl (1931) und Albrecht Grözinger (1949). Das alles sind gewiss wichtige und zum größten Teil auch schon monographisch bearbeitete Katechetiker bzw. Religionspädagogen. Es gibt also "Vorarbeiten" zum Vorhaben von W.-M., die allerdings im Literaturverzeichnis nur z. T. erscheinen, im Anmerkungsapparat gar nicht. Überraschend sind für den Kenner nur die Namen Albrecht Ritschl und dann F. H. Ch. Schwarz, die weder bei K. E. Nipkow/Fr. Schweitzer noch in meinem eigenen Versuch, die "Religionspädagogik" zu dokumentieren, vorkommen.

Überrascht hat den Rez. dagegen das Fehlen wesentlicher Namen, die eng mit dem Problem der Begründung christlichen Unterrichts verbunden sind. Warum fehlt Schleiermacher, warum hört man nichts von den Herbartianern unter den Katechetikern, warum fehlen die Liberalen Wilhelm Koepp und Otto Baumgarten, warum Magdalene von Tiling, und weshalb hat der Autor den eigentlichen Neuerer unter den Begründern des Unterrichts in christlicher Religion, Martin Stallmann, ausgelassen, den originellen Theoretiker eines "Wozu"? des Unterrichts in christlicher Religion?

Alle Katechetiker und Religionspädagogen, die dem Vf. wichtig erscheinen für sein Vorhaben, interessieren W.-M. im Grunde nur im Blick auf ihre Argumentation in Sachen Begründung von Unterricht in christlicher Religion. Deshalb kann er auf eine Würdigung des jeweiligen Gesamtwerkes verzichten und sich ganz auf die Analyse weniger Texte konzentrieren, in deren Mittelpunkt Argumente für den Sinn, die wesentlichen Inhalte und die Formen von Unterricht stehen. Diese werden kritisch-konstruktiv dargestellt und in einem 2. Durchgang unter der Leitfrage ihrer "Tragfähigkeit" (Was das wohl ist?) und die von ihnen implizierten Konsequenzen für konkreten Unterricht befragt. Zum Schluss werden jeweils die dem Vf. wesentlich erscheinenden Argumente eines Entwurfs als Beitrag zum Diskurs über die Frage des Buches umschrieben. So weit so gut.

M. E. sind die Referate und die Analysen in mancher Hinsicht als gelungen zu bezeichnen, störend wirkt für den Rez. nur der Tatbestand einer fast völligen Ausblendung der gesellschaftlichen Verhältnisse, in denen die Argumente der besprochenen Autoren ihren Ort haben. Offensichtlich hat der Vf. übersehen, dass Theologie und auch Katechetik immer auch abhängige Variable gesellschaftlicher Verhältnisse sind, d. h. Einflüsse aktueller Probleme und entsprechender Antworten widerspiegeln. Mit anderen Worten, die der Theologie aufgetragene "Tradition" des Evangeliums ist nie bloße Wiederholung von schon Bekanntem, eines biblischen Textes oder eines Bekenntnisses etc., sondern ein interaktiver Prozess, in dem der "Glaube" ebenso auf dem Spiel steht wie die aktuelle Lebenswelt, die Kultur und die Kirche, ja jedermann und jede Frau. Auf jeden Fall gilt, dass die christliche Religion nur dann bedeutsam werden kann, wenn ihre Botschaft im Zusammenhang von Interaktionen mit lebensweltspezifischen Fragen auf authentische Weise zusammenstimmt. Dabei geht es immer wieder und immer neu um eine Dialektik von Tradition und Rezeption wechselnder Kontexte. Trotz dieses Mangels des analytischen Ansatzes gelingen W.-M. immer wieder Beobachtungen, die wesentlich erscheinen, weil sie die "Sache" des Unterrichts im Dialog mit den analysierten Entwürfen als wesentlichen Teil der Dialektik zur Sprache bringen und jedwede Instrumentalisierung für irgendetwas aufdecken helfen. Was den Entwurf von Schwarz anbetrifft, kann W.-M. so zeigen, dass dieser im Gegensatz zu Vertretern der Aufklärung die Kirche wieder als konstitutiv für einen christlichen Unterricht erscheinen lässt, gleichzeitig aber auch die aufgeklärte Subjektivität der Adressaten beachten heißt. Auch die These des Vf.s, die Katechetik Palmers sei eine Spielart von Instrumentalisierung des RU, jetzt für die Kirche, und die Charakterisierung des Entwurfs von Zezschwitzs als Programm eines gettoisierten Kirchentums haben viel für sich.

Was Gerhard Bohne und Helmut Kittel anbetrifft, erfährt der Leser nicht viel Neues, aber auch nichts Falsches. Das ist anders im Blick auf das Programm von K. E. Nipkow, das W.-M. in bemerkenswerter Weise missversteht. Nipkow hat es gewiss nicht verdient, im Zusammenhang einer "materialen Unbestimmtheit" des RU apostrophiert zu werden (327). Offensichtlich hat W.-M. die Dialektik von Herkunft und Zukunft bei N. nicht verstanden. Um die geht es aber bei N., für den der Glaube im Evangelium gründet, das er im Unterricht zu erschließen versucht, und das in einer elementarisierenden Weise. Weil dieser Glaube aber in der Liebe wirksam ist, sich im "Wandel" der Christen bewährt, welcher ein Vorschein des "Reiches" ist, bilde die Zukunft den Horizont eines Unterrichts in christlicher Religion. Dass der "Glaube" und die Liebe nur auf einem "pädagogischen" Weg Wirklichkeit werden können, ist durch unsere Erfahrung gedeckt. An dieser Stelle mit Verdikten zu spielen, z. B. mit der Behauptung, bei N. werde RU im Banne von Nützlichkeitserwägungen konstruiert, halte ich gelinde gesagt für ein kapitales Missverständnis.

Der Diskurs zur Grundlegung des RU gewinnt für den Vf. im Schlusskapitel seinen Höhepunkt, in der These nämlich, dass "ästhetische Vermittlung christlicher Religion" die im Grunde sachgemäße Weise von Unterricht sei. Hier erfahren Lernende im ästhetischen Prozess von Wahrnehmung, Gestaltung und Reflexion christliche Religion als Gegenüber, das nicht unterwirft, sondern Angebote macht. Das Referat der Symboldidaktik, wie sie Peter Biehl versteht, und seines Verständnisses von Ästhetik im Horizont theologischer Arbeit ist vorzüglich. Das gilt besonders im Blick auf die Beschreibung von Lernprozessen, in denen die Subjektivität der Adressaten im "Gespräch" mit Texten und Bildern reflektierend Entdeckungen macht und zu einer eigenen "Religion" im Dialog mit den Quellen und ihrer Wirkungsgeschichte findet.

Im Rückblick auf meine Lektüre des hier anzuzeigenden Buches möchte ich dem Autor für neue Begegnungen mit "alten Bekannten" danken. Dank gebührt dem Autor für den Mut, das Hin und Her religionspädagogischer bzw. katechetischer Theorie zwischen dem aufgeklärten Subjekt und autoritärer Kirchendoktrin, Evangelium und Gesetz, Instrumentalisierung und Befreiung dargestellt zu haben, ohne wieder einmal in die Falle irgendeiner "Eindeutigkeit" zu geraten.

Probleme hatte ich mit der Ausblendung der Wechselwirkungen zwischen religionspädagogischer Theorie und gesellschaftlichem Kontext, die nicht als Signale des Abfalls anzuprangern sind, sondern durchaus auch als Zeichen für die Lebendigkeit der christlichen Religion gewertet werden können. Das zu Beginn des Buches angemahnte systematisch-theologische Bewusstsein habe ich in der Einseitigkeit eines Programms, das dem Vf. einleuchtet, zu wenig differenziert erlebt.