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Ausgabe:

Januar/2001

Spalte:

103–105

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Künne, Michael

Titel/Untertitel:

Bildbetrachtung im Wandel. Kunstwerke und Photos unter bilddidaktischen Aspekten in Konzeptionen westdeutscher evangelischer Religionspädagogik 1945-1996.

Verlag:

Münster: LIT 1999. 283 S. m. Abb. 8 = Ästhetik - Theologie - Liturgik, 8. Kart. DM 49,80. ISBN 3-8258-4227-4.

Umgang mit Bildern verrät mehr über Bildungsverständnis als erklärte Bildungstheorien. Michael Künne hat sich ein Bild gemacht. Er hat ein aufschlussreiches Buch geschrieben, das manche Highlights enthält. Allein die Passage aus einem Interview mit Josef Beuys ("Also jetzt mal für uns Doofe: Gibt es eine Erklärung für Filz ...?", 84 f.) lohnt einen Blick. Künne gibt ein Panoptikum der Religionspädagogik, das auch manche unangenehmen Ansichten nicht erspart (und übrigens entgegen dem Titel auch wichtige katholische bilddidaktische Ansätze berücksichtigt; vgl. 12). Wenn er z. B. in vielen Varianten zeigt, wie "Bilder ... in einen theologischen Verwertungszusammenhang geraten" (78), so ist das oft "schmerzlich oder peinlich" (111) und bietet Gelegenheit zu heilsamen Enttäuschungen.

K. erliegt gleich zu Beginn einem Klischee, welcher faux pax allerdings ganz untypisch für seine insgesamt um Differenzierung bemühte Studie ist. Sein Projekt, nämlich den "in den letzten 40 Jahren sich abzeichnenden Wandel in der Betrachtung des Bildes im evangelischen Religionsunterricht ... systematisch" zu reflektieren, setzt er gegen das "anything goes" "postmodernen Denkens" ab (9). Dabei wäre mit dem "anything goes" im Faksimile der kursiven Originalfassung die Summa seiner Studie trefflich pointiert (vgl. Paul Feyerabend: "anything goes, is going"; vgl. ders., Erkenntnis für freie Menschen, Frankfurt 1979, 66/ 67; 86-88). So gerät Künne selbst zu Beginn in Bildungsnöte, die er im Laufe der Ausführungen kritisiert: "gelenktes Schauen" (31), "Klischeebildung" (91), Bilder "als bloße Veranschaulichung oder Dekoration vordergründiger Wirklichkeit" (76): "Man spürt die Absicht und ist verstimmt" (90).

Dass man zur Sichtung seines Schaubildes (155) auch als junger Mensch eine Lupe braucht, will man die dortigen Texte entziffern, kann performativ verstanden werden.

Kunst als "ancilla theologiae" (11) wird vor Augen gemalt, es wird gezeigt, was es bedeutet, "rein illustrativ" (12) zu arbeiten und "Fotos als Aufhänger" (161) zu benutzen. Auch "die in der Religionspädagogik bisweilen vollzogene Flucht ... unter dem zudeckenden Begriff einer Kreativität" (213/214) wird nicht verschwiegen. Während ansonsten längst der gesunde Schutzmechanismus des Überdrusses greift, kaschiert die Gruppe der Pastoren, Priester und Lehrer ihr "visuelles Analphabetentum" (61) weiterhin mit der Klage über die "Bilderflut" und "Reizüberflutungen" (28). K. betont dagegen (im Kontext der Rezeptionsästhetik) die Wichtigkeit von "Leerstellen" (121, 133). Wo immer "meditative Bildbetrachtung" thematisiert wird (28, 64, 70), offenbaren sich bei näherer Betrachtung subtile Sehzwänge. Manchmal grenzt "Bilddidaktik" an Kidnapping, wo es z. B. heißt, bei der Entbindung des vom Künstler Gehörten aus dem Bild "wird der Schüler einbezogen, er wird mitgenommen, aber nicht gegängelt" (31). Jaja: eine der am häufigsten verbalisierten Wortfolgen vor künstlerischen Arbeiten lautet "Hier sehen Sie". Doch ich sehe was, das du nicht siehst.

Beim Abschnitt "Zur Bestimmung des Verhältnisses von Theologie und Kunst" (163) macht sich eine theologische Markierungsschwäche bemerkbar. Hier wäre günstige Gelegenheit gewesen, anlässlich der Frage nach Wesen und Wandel der Bildbetrachtung im religionspädagogischen Kontext Grundsätzliches zum Verhältnis von Religion und Profanität bzw. zur Rechtfertigung des Gottlosen (Ist unschuldige Didaktik möglich?) anzuzeigen. Der Protestantismus hat laut Tillich "ein Pathos für das Profane. Er liebt es, vor die Tore des Heiligtums (pro fanes) zu gehen und dort das Göttliche zu finden ... Er meint, daß in einem profan gemalten Fisch von Braque mehr religiöse Ausdruckskraft läge als in einem unehrlich an religiöse Symbolik angepaßten Bild" (ders., G. W., Bd. 9, Stuttgart 1967, 352), was als Geschmackssache eine theologische Entscheidung ist. Es bleibt an dieser Stelle jedoch bei einem Verweis auf zwei Bücher von Hans Eckkehard Bahr (von 1961) bzw. von Kurt Marti, Kurt Lüthi und Kurt Fischer (von 1963). Dieser Schwachpunkt berührt auch K.s religionspädagogische Konsequenzen (213 ff.), wo es heißt: "Wer mit Bildern handelnd umgeht, wird dieses Handeln vor allem reflektieren müssen, damit es nicht in der Dumpfheit alltäglicher Existenz diffus bleibt" (216). Es ist jedoch die Frage, ob diese "alltägliche Existenz" nicht klüger ist als ihr Ruf im Gegensatz zu mancher akademischen Altklugheit.

Als "spezifische Leistung von Bildern" (218) nennt K. verschiedene postmodern-seriöse Kriterien, z. B. den Umstand, dass diese die Chance bieten, "das Verlernen des Gewohnten ein-(zu)üben" (221). Das wäre das Ziel einer Bilddidaktik, welche Schöpfungs - und Exodustraditionen zu integrieren versteht, - jenseits von Idolatrie und Ikonoklasmus. "Die schönsten Bilder ... lösen sich auf" (Georg Büchner, Lenz). Bilder haben keine ver- und abschließende, sondern erschließende Funktion (159). "Es wird deutlich, daß zum Bild das Zerbrechen des Bildes gehört ...: Bilderwerkstatt versus Andachtsbild" (100). Statt Bilder auszuschlachten: "Laß die Bilder laufen lernen/lehren!" "Respekt ... widersteht religiösen Bestätigungsgelüsten" (111).

K.s Bild der "Bildbetrachtung im Wandel" geht gut ins Auge. Die religionspädagogischen Verhältnisse, die Schleiermacher wie folgt polemisieren ließen, haben sich nach K. leider allzu gut erhalten. Schleiermacher karikierte als "das Ziel alles Lehrens und absichtlichen Bildens in diesen Dingen", "das mimische Talent ihrer Phantasie so weit auf[zu]regen, daß es ihnen leicht wird, wenn Anschauungen der Religionen ihnen mit starken Farben vorgemalt werden", wodurch eine "passive Religiosität" entsteht, deren Gläubigen man "Kommentare und Phantasien über Werke der Kunst als Arzneimittel auflegt, und dann in einer übel verstandenen Kunstsprache nur einige unpassende Worte herlallen wollen, die nicht ihr eigen sind" (F. D. E. Schleiermacher, Über die Religion. Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern, Hamburg 1958, 78/79). K.s Studie dokumentiert, dass die Religionspädagogik von einer Umsetzung des "Entwurf[es] einer Theologie der Kunst", wie sie Paul Tillich vorschwebte (ders., G. W., Bd. 9, Stuttgart 1967, 346), noch weit entfernt ist. Der Bilddidaktik mangelt es an theologischer Kompetenz, welcher Mangel durch kunstwissenschaftliche Kenntnisse nicht zu kompensieren ist. Dass K. davon Ahnung hat, signalisieren die letzten Worte seines Buches, die mit Lyotard stoßen auf "Spuren dessen, was an sich nicht darstellbar ist" (235).