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Ausgabe:

Januar/2001

Spalte:

101–103

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Schweidler, Walter [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Menschenrechte und Gemeinsinn - westlicher und östlicher Weg? Human Right and Public Spirit - Western and Eastern Way? Philosophisch-politische Grenzerkundungen zwischen ostasiatischen und westlichen Kulturen. Ergebnisse und Beiträge der Internationalen Expertentagung der Hermann und Marianne Straniak-Stiftung, Weingarten 1996.

Verlag:

St. Augustin: Academia Verlag 1998.

406 S. 8. Kart. DM 49,-. ISBN 3-89665-043-2.

Rezensent:

Monika Gänßbauer

"Nicht in der Gleichmacherei, sondern in der gegenseitigen Anerkennung des je eigenen Unvergleichlichen liegt der Schlüssel nicht nur zur gemeinsamen Wahrnehmung auf der ,letzten', sondern durchaus auch zur friedlichen Koexistenz und Begegnung auf der ,vorletzten', der politischen Ebene." (8)

Dieses Zitat des Philosophiedozenten Hua Xue könnte gleichsam das Motto bilden, unter dem die hier vorgestellte Veröffentlichung steht. Sie vereint Ergebnisse und Beiträge einer Internationalen Expertentagung der Hermann und Marianne Straniak-Stiftung, die 1996 an der Pädagogischen Hochschule in Weingarten stattfand.

Der Band ist in vier Kapitel gegliedert. Ein erstes befasst sich mit Grundsatzfragen zum interkulturellen Dialog über Menschenrechte. Hier fragt sich z. B. Gunter Schubert, wie plausibel es ist, von einem sog. ,asiatischen' (vs. ,westlichen') Menschenrechtsverständnis zu sprechen. Schubert plädiert stattdessen für einen kritischen Dialog, in dem die selektive Instrumentalisierung von Kulturtraditionen, beispielsweise durch autoritäre Regime, offen gelegt wird, und warnt vor falschen Generalisierungen. Elke Mack betont, dass "seit der Entdeckung und der Formulierung von Menschenrechten ... der Zugang zu diesen Rechten in allen Kulturen dieser Welt für Frauen schwieriger ist als für Männer." (47) Macks Meinung nach ist die Stellung der Frau z. B. in China "heute noch problematisch". Im Vergleich dazu genössen, so Mack, Frauen in den USA und Westeuropa ein erhebliches Maß an Freiheit und Selbstentfaltungschancen- einen Vergleich im Einzelnen zu führen, würde sich lohnen. Vergliche man z. B. den Anteil an Dozentinnen an deutschen und chinesischen Universitäten, schnitte wohl noch immer Deutschland weit schlechter ab. Bernhard Hirsch geht in seinem Beitrag "Menschenrechte als ökonomisch-rationales Interesse" der Frage nach, welche Rahmenbedingungen die Weiterentwicklung einer Gesellschaft begünstigen. Dabei erscheint ihm eine zu einseitige Betonung von Freiheiten des Einzelnen nicht die beste Lösung zu sein. Durch die Wirtschaftsreformen Chinas seit 1978 hätten Menschen in China heute beispielsweise viel größere, ,informelle' Freiheiten als jemals zuvor. Hirsch bezieht sich hier auf eine Ausweitung von Freiheiten in der Meinungsäußerung, Publikation, Reise und Information wie auch bei internationalen Kontakten.

Ein zweiter Block von Beiträgen fragt nach östlicher und westlicher Identität. Kogaku Arifuku untersucht das Verhältnis von Philosophie und Religion bei Hegel und Nishida. Hua Xue warnt vor einer Vereinnahmung konfuzianischer Lehren durch bestimmte Schulen und Länder. Ziel des alten Konfuzianismus sei "ein großes Zusammenleben der Menschen" gewesen, in dem andere Traditionen und Kulturen als gleichwertig und unterschiedlich anerkannt werden sollten. Gregor Paul fragt sich in diesem Kapitel, ob Universalität und Kritik ,typisch westliche' Prinzipen und Methoden der Problemlösung seien und verneint diese These.

Im dritten Kapitel, das überschrieben ist mit "Der Einzelne und das Ganze", arbeitet Hans-Georg Möller anhand chinesischer Quellen den Ort des Menschen in der antiken chinesischen Philosophie heraus. Möller beschreibt Bedingungen, unter denen der ,Mensch' zum Thema wird und macht Ordnung als Leitmotiv der altchinesischen Philosophen aus. In diesem Ordnungsschema erhielt ein Mensch Würde durch seine soziale Rolle, nicht vor oder neben ihr, so Möller. Der Mensch der sozialen Masse beziehe sein gesamtes Wesen aus der sozialen Einteilung. Ähnlich fällt die These der chinesischen Philosophin Mao Yihong aus: "Der Mensch ist in dieser [der konfuzianischen] Auffassung nicht ein freies, selbstbestimmtes Subjekt, sondern stets der Vertreter, die Verkörperung einer vorgegebenen sittlichen Beziehung ... insofern gibt es in der konfuzianischen Kultur weder Platz für das Recht des Menschen als Individuum noch für eine universale menschliche Gleichheit und Freiheit." (183) Kritisch äußert sich Mao dann auch gegenüber dem Westen: "Moderne westliche Zivilisation bedeutet nicht direkt und selbstverständlich auch Menschenrechte und die Garantie ihrer Einhaltung." (186) Heiner Roetz geht anschließend einem Thema nach, mit dem er sich schon lange beschäftigt: den Chancen und Problemen einer Reformulierung und Neubegründung der Menschenrechte auf Basis der konfuzianischen Ethik. Er konstatiert: "Der westliche Umgang mit den Menschenrechten dürfte in der nicht-westlichen Welt zur Diskreditierung der Menschenrechte mehr beigetragen haben als deren hochgespielter Konflikt mit den einheimischen Traditionen." Roetz sieht, entgegen Autoren wie Mao, auch in China die Idee einer "vorstaatlichen menschlichen Würde" gegeben. "Wie im Westen, so hat sie auch in China religiöse Wurzeln, und zwar in der Religion des ,Himmels', als dessen weitgehend säkulare Erbin die konfuzianische Ethik angesehen werden kann." (197) Dem konfuzianischen Philosophen Menzius zufolge sei das menschliche Herz Sitz des angeborenen, nicht von außen informierten ,guten Wissens' (liangzhi).

Das vierte Kapitel des Bandes versammelt Beiträge zu der Frage, ob Menschenrechte als Basis politischen Handelns dienen können. Oskar Weggel befasst sich mit Naturrecht und Rechtspositivismus im modernen chinesischen Verständnis. Harro von Senger betrachtet den Menschenrechtsgedanken im Licht chinesischer Werte und kommt bei seiner Beobachtung europäischer Debatten zu einem interessanten Schluss: "Statt daß versucht wird, das globale Menschenrechtsproblem mit einem globalen Denken zu erfassen und zu bewältigen, wird versucht, es vom europäischen Krähwinkel aus in den Griff zu bekommen." (268)

Statt Thesen von sog. ,Kernbereichen der Menschenrechte' aufzustellen, wie es Roman Herzog einmal tat, wäre es sinnvoller, so von Senger, die UNO-Konzeption der Menschenrechte aufzugreifen, denn "eine Menschenrechts-Rangordnung festzulegen, öffnet der Beliebigkeit ... Tür und Tor." (276)

Im letzten Teil der Aufsatzsammlung werden Fragen von Recht und Gemeinschaft erörtert. Hier untersucht Seigo Hirowatari beispielsweise japanisches Rechtsverständnis und Gemeinschaftsbezogenheit. Im japanischen Kontext würden Gemeinschaft und Recht oft als Gegensätze betrachtet. Bei einer sich zunehmend auflösenden Gemeinschaft könnten sich die Gemeinschaftsangehörigen nicht mehr auf die gemeinschaftsbezogenenen sozialen Normen und die eigenen Konfliktlösungsmethoden verlassen, sondern gingen zunehmend dazu über, das Recht und die Gerichte in Anspruch zu nehmen.

Es zeichnet diesen Band aus, dass er sehr konträre Auffassungen zum Verhältnis von Menschenrechten und Gemeinwesen zu Wort kommen und sie in einen differenzierten Dialog miteinander eintreten lässt. Wer sich für das Thema interessiert, wird hier viele Anregungen zum Weiterdenken finden.