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Ausgabe:

Januar/2001

Spalte:

99–101

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Schwarke, Christian

Titel/Untertitel:

Die Kultur der Gene. Eine theologische Hermeneutik der Gentechnik.

Verlag:

Stuttgart-Berlin-Köln: Kohlhammer 2000. 256 S. m. zahlr. Abb. gr.8. Kart. DM 59,85. ISBN 3-11-015764-7.

Rezensent:

Jörg Lauster

Darf man nun oder darf man nicht? Wer auf die Gretchenfrage in der Diskussion um die Anwendungsmöglichkeiten der Gentechnik eine Antwort sucht, der wird sie in dieser Münchner Habilitationsschrift nicht finden. Der jetzt in Dresden lehrende Christian Schwarke verfolgt andere Ziele. Ihm geht es darum, die hermeneutischen Voraussetzungen und Bedingungen der so emotional geführten Diskussion um die Gentechnik in den Blick zu nehmen. In Anbetracht der sich fast täglich überschlagenden Neuigkeiten dürfte eine solche Distanznahme von vorschnellen Schlüssen kein Nachteil sein.

Der Konflikt um die Gentechnik, so lautet die Grundthese der Arbeit, resultiert aus divergierenden Wirklichkeitsauffassungen, die jedoch selbst fest in der abendländischen Kultur verwurzelt sind. Aufgabe der Theologie ist es, als "eine Hermeneutik von ,Tiefenschichten' menschlicher Wirklichkeitswahrnehmung im Horizont traditioneller und gegenwärtiger Kultur" (15) Aufklärung über die impliziten kulturellen und religiösen Dimensionen der Auseinandersetzung zu leisten.

Die Analyse der ,Tiefenschichten' setzt ein mit der Frage nach der Darstellung der Gentechnik in den Medien und deren Wechselwirkung mit der öffentlichen Meinung (21-79). Nach der Sichtung des empirischen Materials macht S. in einem zweiten Schritt anhand zahlreicher Bildanalysen anschaulich, wie neben dem Rückgriff auf den traditionellen Symbolbestand des Abendlandes vor allem "Motive des Science-fiction- und des Horrorgenres" (134) zur bildlichen Präsentation der Gentechnik herangezogen werden, die mit ihrer Ambivalenz zwischen zustimmender Faszination und ablehnender Angst die Emotionen der öffentlichen Diskussion treffend widerspiegeln. Der visuellen Darstellung der Gentechnik liegt damit eine Vermischung von Wirklichkeitsbezügen zu Grunde, die sich auch in den Metaphern wie z. B. Code, Text, Buch und Ingenieur niederschlägt, mit denen die Genforschung ihr Selbstverständnis öffentlich kommuniziert (137-171). Der Begriff der Gentechnik selbst ist S. zufolge schon metaphorische Rede, die zwangsläufig Assoziationen mit technischen Konstruktionsvorgängen weckt und damit die entsprechenden Emotionen auslöst. Es ist im Wesentlichen die Eigendynamik der symbolischen Kommunikation durch Metaphern, die die Ambivalenz in der Diskussion um die Gentechnik bestimmt.

S.s Resümee (171-197) wird man daher zumindest in seiner zentralen Beobachtung bedenkenlos zustimmen können: In der Diskussion um die Gentechnik geht es um weit mehr als um die bloße Frage nach der technischen Umsetzung naturwissenschaftlicher Erkenntnisse und deren ethischer Beurteilung. Es handelt sich vielmehr um das kulturelle Selbstverständnis des Abendlandes, das sich durch die Gentechnik ändert. Denn die Grenze, an die der Mensch mit der Gentechnik gelangt sei und die er nun nicht überschreiten dürfe, existiert S.s kulturell-konstruktivistischer Wirklichkeitsauffassung zufolge nicht von Natur aus, sondern allein in der Vorstellung, die in einem bestimmten kulturellen Rahmen von der Natur besteht.

Besondere Aufmerksamkeit verdient es, dass S. vor diesem Hintergrund ausdrücklich Kritik an einem unreflektierten Gebrauch des Schöpfungsbegriffs übt (197-221). Der im Gefolge der ökologischen Krise fast inflationär gewordene Gebrauch des Begriffs als moralischer Kategorie berge eine Reihe von Gefahren in sich. Dem Pathos, mit dem gerade von theologischer Seite immer wieder an die Grenze des Erlaubten, an das Geheimnis des Lebens und an das Unverfügbare appelliert werde, liege eine Verabsolutierung einer bestimmten subjektiven Wirklichkeitswahrnehmung zugrunde. Die Theologie verfalle damit demselben Fehler, den sie im Streit um die Gentechnik der Naturwissenschaft als Reduktionismus vorwerfe: der Verobjektivierung und unzulässigen Verallgemeinerung einer bestimmten Sicht der Wirklichkeit, die zudem noch mit massiven normativen Ansprüchen verbunden sei. Man kann mit S. über die dezidiert neuprotestantische Fassung seines Schöpfungsbegriffs diskutieren, wenn er die Schöpfung als subjektive Perspektive der Weltwahrnehmung versteht, man wird hingegen kaum mit ihm darüber streiten können, dass der Appell an das "Einverständnis mit der Schöpfung" mit seinen normativen Implikationen unter den Bedingungen einer pluralistischen Gesellschaft nur mit sehr begrenzter Plausibilität rechnen kann. Es ist daher höchst aufschlussreich, von S. zu erfahren, dass die Remythisierung der Natur über den Schöpfungsbegriff eher eine Spezialität der deutschsprachigen Theologie zu sein scheint, während z. B. in den USA Theologie und Kirche in ihrer Einstellung zur Gentechnik Wege beschreiten, die den Blick für die kulturellen und technischen Gestaltungsmöglichkeiten des Menschen öffnen.

Die Stärke dieser Hermeneutik der Gentechnik liegt in der Vielfalt ihrer Perspektiven. S. gelingt eine Gesamtschau, die weit über den Tellerrand binnentheologischer Wahrnehmung reicht. Freilich hat diese Vielfalt auch ihren Preis. Was die fundamentaltheologischen und erkenntnistheoretischen Voraussetzungen des Vf.s anbelangt, wüsste man gerne genauer, wie er zu der Definition der Theologie als hermeneutischer Kulturwissenschaft gelangt, wie er den für ihn so entscheidenden Begriff der Kultur definiert und was sich hinter dem konstruktivistischen Ansatz verbirgt, dass allein über Kommunikation die Wirklichkeit zu erschließen sei. Doch ändern diese Anfragen nichts an dem Verdienst der Arbeit, in guter hermeneutischer Tradition über die impliziten Voraussetzungen der gegenwärtigen Diskussion zur Gentechnik und insbesondere auch der theologischen Stellungnahmen aufzuklären und somit die nötige reflektierte Distanz der ethischen Urteilsbildung anzumahnen.