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Ausgabe:

Januar/2001

Spalte:

96 f

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Lüke, Ulrich

Titel/Untertitel:

"Als Anfang schuf Gott ..." Bio-Theologie. Zeit- Evolution - Hominisation.

Verlag:

Paderborn-München-Wien-Zürich: Schöningh 1997. 349 S. gr.8. DM 84,-. ISBN 3-506-75260-X.

Rezensent:

Sigurd Martin Daecke

Der Paderborner Fundamentaltheologe Ulrich Lüke ist auch Biologe - und so ist "Bio-Theologie" ein angemessener Titel für seine Münsteraner Habilitationsschrift. Denn er führt in ihr ein auf beiden Gebieten sachkundiges und informatives, hier wie dort kritisches Gespräch zwischen Theologie und Biologie. Der Untertitel nennt die drei Themenkreise des Buches: Zeit und Ewigkeit, Evolution und Schöpfung, Hominisation und Erschaffung des Menschen. Der rote Faden, der sich durch die drei großen Kapitel des Buches zieht, ist dabei das Verhältnis von Zeit und Schöpfung, und das Schlüsselwort in allen drei Themenkreisen lautet "strenge Gegenwart".

In den diesen drei Teilen vorangestellten "Prolegomena" verdeutlicht der Autor, dass seine Überlegungen an der "Schnittstelle zwischen Biologie und Theologie", in deren "Überschneidungsbereich", im Dienste der Fundamentaltheologie stehen. Es kann also keine neutrale Position geben - aber im Gegensatz sowohl zur monistischen als auch zur dualistischen Sicht des Verhältnisses von Naturwissenschaft und Theologie charakterisiert L. seine hier angewandte Methode als "dialogisch".

Der für das Gesamte grundlegende erste Teil über "Zeit und Ewigkeit" beginnt mit einem umfassenden Kapitel über "Naturwissenschaft und das Zeitproblem". Hier wie auch in den anderen Teilen seines Buches führt der Autor in auch dem theologischen Leser gut verständlicher Weise in die aktuelle naturwissenschaftliche, insbesondere biologische Problemlage ein. Man fragt sich jedoch, warum er die vieldiskutierte Zeitphilosophie des Physikers A. M. K. Müller (Die präparierte Zeit, 1972), die auf evangelischer Seite im Gespräch mit der Naturwissenschaft eine wichtige Rolle spielte, völlig unbeachtet lässt. Entsprechend fehlt dann in den "theologischen Überlegungen angesichts des naturwissenschaftlichen Zeitproblems" der auf Müllers Entwurf aufbauende wichtige Beitrag von Ch. Link (Schöpfung, 1991, u. a.), der auch - ebenso wie W. Pannenbergs theologisch grundlegende Schöpfungslehre (1991) - in L.s Schöpfungskapitel keine Rolle spielt, obwohl beide Entwürfe gerade zum Gespräch mit der Naturwissenschaft Entscheidendes beitragen.

Im letzten Kapitel dieses Teils, "Annäherung an den Begriff Ewigkeit", entwickelt der Vf. dann sein Verständnis der "strengen Gegenwart", der "vertikalen Dignität der Gegenwart", nach dem sich "im ausdehnungslosen Augenblick der Gegenwart der Einbruch der Ewigkeit in die Zeit und der eher ahnungsvolle Ausblick der Zeit auf die Ewigkeit" vollziehen.

"Strenge Gegenwart" ist dann auch der Schlüsselbegriff in den beiden anderen Teilen, die sich mit zwei Aspekten der Schöpfungstheologie befassen. Zum Thema "Evolution und Schöpfung" stellt L. zunächst die gegensätzlichen Positionen sowohl von Naturwissenschaftlern als auch von Theologen dar: einerseits die "Abgrenzungs- bzw. Selbstimmunisierungsmodelle", andererseits die "Integrations- bzw. Vereinnahmungsmodelle", außerdem die "sonstigen Positionen", etwa "Mischkategorien". Seine eigene Position bezeichnet L. anschließend als "Vermittlung von Ewigkeit und creatio continua", er sieht sie als Verbindung der "Zeitlosigkeit göttlichen Wirkens" in der creatio "mit der Zeithaftigkeit evolutiver Prozesse", und zwar - auch unter diesem zweiten Aspekt der Abhandlung wieder - durch das Verständnis der Allgegenwart des Schöpfers als "strenge Gegenwart", die durch "vertikale Dignität" ausgezeichnet und damit das "Einfallstor der Ewigkeit in die Zeit" ist.

Doch grenzt L. mit dieser an die Dialektische Theologie und ihren Dualismus erinnernden Begrifflichkeit nicht die "vertikale" "strenge Gegenwart", für die die Naturwissenschaft "nicht zuständig", die dieser "entzogen" sei, ab von der "horizontal" sich erstreckenden Zeit, vom Feld der Naturwissenschaft? Trennt L. das göttliche Schöpfungshandeln als "vertikales", zeitloses Ereignis von der "Zeithaftigkeit evolutionärer Prozesse" nicht noch radikaler als die von ihm kritisierten "Abgrenzungsmodelle"? Erfüllt nicht die Entgegensetzung der Bereiche von Theologie und Naturwissenschaft (Zeitlosigkeit und Zeit, Vertikale und Horizontale, Gegenwart und Vergangenheit, "transzendental" und "kategorial beschreibbar") ebenso wie die von L. abgelehnten Positionen den inkriminierten Tatbestand der "Selbstimmunisierung"? Oder erheben sich diese Fragen nur durch ein Missverständnis auf Grund der manchmal nicht leicht eingängigen Diktion und Argumentation des Vf.s?

Im dritten und umfangreichsten (142 Seiten) Teil, "Hominisation und Erschaffung des Menschen", geht es noch einmal um dasselbe Grundthema "Evolution und Schöpfung", nun aber speziell um die Evolution des Menschen und - charakteristisch für die katholische Theologie - die Erschaffung der Seele. "Evolution und Erschaffung der Seele" wird zunächst am Beispiel gegensätzlicher Positionen der katholischen Theologen Schmitz-Moormann und Rahner dargestellt und diskutiert, sodann in "biologischer Perspektive" betrachtet. Von Darwin bis zur neueren Paläontologie und Paläoanthropologie reicht anschließend die Darstellung von Aspekten der Hominisation.

Als "Kriterien für Menschsein" erweisen sich dann nach Sichtung zahlreicher naturwissenschaftlicher und theologischer Beiträge der Selbstbezug des Menschen sowie der "Transzendenz- oder Gottesbezug". Dieser wird in einem abschließenden Kapitel "als Indiz für die Erschaffung der Seele" herausgestellt: "Im schöpferischen Wort, d. h. in der Erschaffung der Seele, tritt Gott in eine (sc.: die) Menschwerdung ontogenetisch wie phylogenetisch erst ermöglichende Beziehung zur Schöpfung; in der darauf reagierenden Antwort, der empirisch fassbaren Befähigung zum Transzendenz- oder Gottesbezug, erweist sich der Hominide als Mensch" - so lautet das Fazit am Schluss dieses Buches, des wohl wichtigsten neueren Beitrags der deutschsprachigen Theologie zum Gespräch mit den Naturwissenschaften.