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Ausgabe:

Januar/2001

Spalte:

94 f

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Zimmermann, Ruben [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Bildersprache verstehen. Zur Hermeneutik der Metapher und anderer bildlicher Sprachformen.

Verlag:

München: Fink 2000. 391 S. 8 = Übergänge, 38. Geb. DM 98,-. ISBN 3-7705-3492-1.

Rezensent:

Ulrich H. J. Körtner

Der vorliegende Band verdient aus mehreren Gründen Beachtung. Zum Ersten führt er auf hohem Niveau in die aktuelle Forschungsdiskussion zur Hermeneutik bildlicher Sprachformen, vor allem der Metapher ein. Zum Zweiten leistet er einen wichtigen Beitrag zur interdisziplinären Verständigung zwischen unterschiedlichen Forschungsrichtungen von der Hermeneutik im Anschluss an Gadamer bis zum Poststrukturalismus. Zum Dritten präsentiert sich in diesem Diskussionsband eine junge Forschergeneration, welche sich der hermeneutischen Herausforderung stellt, die mit der sich abzeichnenden Krise der konstruktivistischen und analytischen Sprachphilosophie gegeben ist.

Die Beiträge des vorliegenden Bandes gehen auf ein Forschungskolloquium zurück, das vom 4.-6.11.1998 in Heidelberg stattgefunden hat und von der Studienstiftung des Deutschen Volkes finanziert wurde. Vorangestellt ist ein Geleitwort H.-G. Gadamers, dem der Band zu seinem 100. Geburtstag gewidmet ist. Anliegen und Anlage des Sammelbandes werden in der ausführlichen und instruktiven Einleitung des Herausgebers R. Zimmermann erläutert. Das Projekt geht von der "Ursprünglichkeit, Unersetzbarkeit und Ubiquität bildlicher Sprache" aus (13) und modifiziert Grundeinsichten Gadamers in der Weise, dass es heute "nicht mehr nur um ein Verstehen von Bildersprache, sondern um eine Verstehen durch Bildersprache" geht, "das die Bilderhermeneutik zu einer Evidenz des Erlebens werden läßt" (35). Um den interdisziplinären Ansatz und Methodenpluralismus des Kolloquiums zu interpretieren, wählt der Hg. selbst ein sprachliches Bild, nämlich dasjenige einer polyphonen Musik. Aus der epistemologischen Not konkurrierender Theoriekonzepte wird so die "Tugend des Hörenkönnens", die auf "Konsonanzen im polyphonen Zusammenspiel der Bilderphänomene" achtet (13 f.). Untersucht werden nicht nur Sprachbilder, sondern auch die Sprache materieller Bilder, also nicht nur Metapher, Mythos und Symbol, sondern auch materielle Artefakte oder Phänomene an der Schnittstelle von Sprache und Bild wie Emblematik und Hieroglyphe. Interessant ist, dass sich der Begriff "Bildersprache" auf die Übersetzung der "Iconologia" von Cesare Ripa (1593) zurückführen lässt, die als eines der ikonographischen Standardwerke der Frühen Neuzeit gilt (F. Mauelshagen, 171). So zeigt der Band, wie unterschiedliche Interpretationen des Ausdrucks "Bildersprache" unterschiedliche Bedeutungen des Wortes "Verstehen" und damit divergierende Konzeptionen von Hermeneutik nach sich ziehen.

Die Beiträge sind drei Themenschwerpunkten zugeordnet, zwischen denen zahlreiche Überschneidungen bestehen. Teil I befasst sich mit erkenntnistheoretischen Fragen wie dem Zusammenhang von Bild und Begriff oder der Referenzproblematik (R. M. Liu, E. Rudolph, D. Oskui, C. Baldauf, P. Meurer). Teil II beleuchtet den Bezug von Sprache und Bild am Beispiel des künstlerisch-materiellen Bildes und des (Sprach-)Textes (U. Kocher, F. Mauelshagen, A. Davidson, K.-H. Ostmeyer, U. Abraham). Teil III diskutiert die Spannung zwischen Struktur und Subjekt, zwischen Rezeption und Produktion beim Zustandekommen des Sinnes von Bildersprache bzw. im Prozess des auf sie bezogenen und durch sie bewirkten Verstehens (R. Zimmermann, M. Pöttner, D. Massa, J. Frey, S. Jaeger).

Das Panorama, das entworfen wird, ist beeindruckend vielseitig, bedürfte aber einiger Erweiterungen. So läge es z. B. im Bereich der biblischen Exegese nahe, sich nicht nur mit der Interpretation von Metaphern und Gleichnissen, sondern auch mit der Bildersprache prophetischer und vor allem apokalyptischer Visionen und dem in den Apokalypsen ausgiebig erläuterten Problem ihrer Deutung zu befassen. Ein eigenes Kapitel der Ästhetik wäre die Analyse der Bildersprache des Films bzw. der neuen elektronischen Medien, bedarf die Hermeneutik doch ihrer Fortentwicklung im Zeitalter der Bilddominanz und der visuellen Massenmedien. Systematisch-theologisch müsste das Verhältnis von Wort und Bild im Blick auf den Offenbarungsbegriff, aber auch im Blick auf das alttestamentliche Bilderverbot diskutiert werden. Und schließlich wäre im Blick auf den Begriff des Verstehens die Differenz von Literalität und Oralität, d. h. aber auch zwischen Sehsinn und Hörsinn zu erörtern. Die Beiträge des vorliegenden Bandes orientieren sich stark am Begriff des Textes. So verdienstvoll es ist, die Schriftlichkeit zu neuen Ehren zu bringen, so wichtig ist es, die Dimension der mündlichen Rede und Zwiesprache nicht aus dem Blick zu verlieren. Darauf weist zu Recht H.-G. Gadamer in seinem Geleitwort hin (11 f.). Auch Bildersprache ist primär nicht geschrieben, sondern wird gesprochen und im Gespräch anschaulich (gemacht). Dennoch: Ein gelungenes Projekt und ein die hermeneutische Diskussion vorantreibendes Buch.