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Ausgabe:

Januar/2001

Spalte:

85 f

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Feil, Ernst

Titel/Untertitel:

Religio. 1: Die Geschichte eines neuzeitlichen Grundbegriffs vom Frühchristentum bis zur Reformation. 2: Die Geschichte eines neuzeitlichen Grundbegriffs zwischen Reformation und Rationalismus (ca. 1540-1620).

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht 1986/1997. 290 S. u. 372 S. gr.8 = Forschungen zur Kirchen- und Dogmengeschichte, 36/70. Geb. DM 98,-. ISBN 3-525-55143-6 u. DM 116,-. ISBN 3-525-55178-9.

Rezensent:

Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz

Spätestens seit das Historische Wörterbuch der Philosophie die Begriffsgeschichte zum methodischen Ansatz eines geisteswissenschaftlichen Lexikons gewählt, ist Begriffsgeschichte ein erfolgreiches heuristisches Instrument zur Erfassung geistesgeschichtlicher Entwicklungen. Der katholische Theologe Ernst Feil, Inhaber des Lehrstuhls für Religionslehre und -pädagogik an der LMU München, hatte seine Untersuchung zum Begriff "Religio" ursprünglich im Rahmen der Trias "Glaube-Vernunft-Religion" angelegt, wobei die Religion je länger je mehr erkenntnisleitend in den Vordergrund trat. Die Dichotomie "Glauben und Denken" (Thielicke 1983) ist damit auf ein latentes, aber wichtiges tertium hin erweitert. Dem 1. Band, schon 1986 erschienen, schloss sich 1997 der 2. Band an. Die Themenstellung verfolgt laut Autor nicht historische, sondern systematische Ziele. Die historische Genese des Begriffs Religion erweist dessen umfänglichen Sinn und Geltungsanspruch, vom antiken Sprachgebrauch bis zum 17. Jh. Der 3. projektierte Band soll bis zur Zeit um 1830 führen; Weiteres wird nicht angekündigt.

Der 1. Band erarbeitet die Voraussetzungen für das neuzeitliche Verständnis von Religion über die Stationen: griechische und römische Antike, Frühchristentum, Mittelalter, Humanismus und Reformation bis zum "Augsburger Religionsfrieden" 1555. Bemerkenswert erscheint, dass das so selbstverständlich gebrauchte Wort "Religion" im Griechischen und Hebräischen mehrere mögliche Äquivalente hat und eine weniger kontinuierliche Begriffsgeschichte aufweist als vorausgesetzt. Traditionell nahm man ihre erste, aus der Antike ins Christentum überleitende Phase bis zu Augustinus' "De vera religione" an, während die zweite Phase erst wieder 1000 Jahre später bei Ficino beginne (Smith 1962), während Feil (Despland 1979 zustimmend) von einem kontinuierlichen Gebrauch ausgeht (11).

Allerdings bedeutet diese Forschungsthese nicht, dass "religio" bereits als "Religion" im heutigen Sinn oder als Sammel- bzw. Oberbegriff fungiert, sondern neben, teilweise sogar unter "pietas", "cultus", "doctrina", "lex", "observantia" und ähnlichen Ausdrücken stehen kann. Jedenfalls bleibt die Bedeutung für die Patristik vage (79). Für die Frühscholastik fokussiert "religio" auf Gottesverehrung und, in spezieller Bedeutung, auf die Orden (98), während für das hohe Mittelalter stattdessen eine eindeutige Präferenz von "fides" gilt; "religio" wird "Untertugend" zu Gerechtigkeit (121). Für das Spätmittelalter verschiebt sich der Sprachgebrauch nicht; am ehesten entsprechen "secta" und "lex" dem neuzeitlichen Verständnis von "religio" (127). Auch der Humanismus ändert daran nichts (231 ff.), ebensowenig die Reformation. Nur Melanchthon wird "religio" im heutigen Wortsinn als eine allen religiösen Manifestationen (einschließlich der christlichen) zu Grunde liegende gemeinsame Wahrheit verwenden - allerdings um dies als Meinung französischer Humanisten abzulehnen (272). Das neuzeitliche Verständnis von Religionsphilosophie oder Religionsdisput, der schon im Mittelalter stattgefunden habe, ist also aus dem modernen Gebrauch nach rückwärts projiziert.

Der 2. Band fokussiert den Blick auf etwa 80 Jahre zwischen 1540-1620, wodurch eine hohe Genauigkeit der begrifflichen Variationen aufscheint (12). Vom Gebrauch von "religio" im Renaissance-Humanismus über die altprotestantische (meist deutsche) Schultheologie bis zur spanischen (katholischen) Spätscholastik (Vitoria und Suarez werden besonders herausgehoben) zeigt sich ein weites, hier nicht auszufaltendes Bedeutungsspektrum, das auch im "politischen" Sprachgebrauch (u.a. bei Bodin, Lipsius, Althusius und Keckermann) und im theologischen Sprachgebrauch (unions- und kontroverstheologisch) weiterverfolgt wird.

Unerwartete Ergebnisse zeitigt die Prüfung der lateinischen Koran-Übersetzungen: In einer mittelalterlichen Übersetzung aus dem 12. Jh. stößt man kaum auf den Begriff religio, vielmehr auf die Kennzeichnung mit "lex". Auch der Korantext selbst kommt ohne diesen Terminus aus (264). Erst in den Koran-Kommentierungen durch die Reformatoren wird eine größere Breite von Termini gewonnen, wobei sich neben religio auch andere Begriffe finden. Erst eine weiterhin verglichene Ausgabe des 18. Jh.s verwendet in umfangreichem Maße den heute erwarteten Begriff "religio" (267 f.).

Die wertvolle Untersuchung wird mit dem siebenten Kapitel "Anfänge einer religio naturalis" abgeschlossen, in dem vor allem Jean Bodin und Pierre Charron zur Darstellung kommen. Ebenfalls lässt sich der Befund für das 16. Jh. so zusammenfassen, dass "Religion" keineswegs im aufklärerischen Sinne eine gemeinsame Grundaussage im Blick auf verschiedene religiöse Inhalte bedeutet, sondern im großen Ganzen für das Christentum reserviert wurde, während für andere Denominationen die Ausdrücke wechseln.

F. hat ohne Zweifel den neuzeitlich gewohnten Gebrauch von religio entscheidend differenziert und nach rückwärts aufgehellt. Nicht ganz vermieden ist freilich ein additives Aufzählen von einschlägigen Stellen, die in der Häufung auch ermüdend wirken können. Trotzdem sind die beiden Bände ausgesprochen verdienstlich; das Erscheinen des dritten Bandes kann mit Spannung erwartet werden.