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Ausgabe: | Januar/2001 |
Spalte: | 81–83 |
Kategorie: | Kirchengeschichte: Neuzeit |
Autor/Hrsg.: | Töpelmann, Roger |
Titel/Untertitel: | Romantische Freundschaft und Frömmigkeit. Briefe des Berliner Verlegers Georg Andreas Reimer an Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher. |
Verlag: | Hildesheim: Weidmann/Olms 1999. 372 S., 8 Taf. gr.8 = Spolia Berolinensia, 16. Lw, DM 88,-. ISBN 3-615-00210-5. |
Rezensent: | Matthias Wolfes |
Im Mittelpunkt der kultur- und religionsgeschichtlichen Untersuchung von Roger Töpelmann steht der Berliner Verlagsbuchhändler Georg Andreas Reimer (1776-1842). Reimer tritt hier als eine Gestalt auf, in deren eigener Lebensgeschichte sich sowohl der Übergang von Spätaufklärung zu Frühromantik als auch die spezifische Struktur der wissenschaftlich-literarischen Kommunikationsformen unter den Berliner Intellektuellen im ersten Drittel des 19. Jh.s abbilden. Insofern trägt die Studie, die auf eine Frankfurter Dissertation aus dem Jahre 1988 zurückgeht, auch über ihren einzelbiographischen Bezug hinaus zur Rekonstruktion der komplexen zeitgeschichtlichen Situation im Berlin jener Jahrzehnte bei. Wichtigstes Untersuchungsmaterial sind Reimers Briefe an Friedrich Schleiermacher, die im Rahmen der Studie erstmals als geschlossenes Briefcorpus beschrieben und in ausgewählten Stücken auch ediert werden.
In einem einführenden Abschnitt schildert der Autor Reimers Standort innerhalb der religiösen und weltanschaulichen Debatten des Berliner Romantikerkreises um 1800. Diese Ausführungen werfen ein neues Licht auf die Persönlichkeit des wichtigsten Wissenschaftsverlegers der Zeit. Zwar ist der erhebliche Einfluss Reimers auf die Organisation des Berliner Literatur- und Wissenschaftsbetriebes seit der Studie von Theodor Roller aus dem Jahre 1924 bereits wiederholt beschrieben worden. Doch war bisher kaum deutlich geworden, wie stark Reimer sich in seiner Tätigkeit von eigenen religiösen Prägungen leiten ließ. Der Autor kann zeigen, dass der konsequent betriebenen Verlagspolitik Reimers das Ideal eines modernen Christentumsverständnisses zu Grunde liegt, in dem über literarische und theologische Motive die Vorstellung eines romantischen Religionsideals zum Ausdruck kommt.
Ein zweiter Abschnitt untersucht Reimers Ort innerhalb des gesellschaftlichen Kontextes der preußischen Metropole. Aufschlussreiche stadtgeschichtliche Informationen werden mit einem Überblick zur kirchlichen und politischen Situation verknüpft. Reimers ereignis- und auch krisenreiche Biographie erscheint auf diese Weise als signifikanter Einzelfall in der Entstehungsgeschichte einer bildungsbürgerlichen, städtisch-protestantisch geprägten Bevölkerungsschicht. Von Interesse sind in diesem Zusammenhang auch die detaillierten Angaben zum Zustand des lokalen Buchhandels.
Ein weiterer, umfangreicher Abschnitt schließlich bietet anhand von elf Briefen Reimers an Schleiermacher aus dem Zeitraum von Oktober 1802 bis August 1803 eingehende Studien zur Biographie des Verlegers. Eine kursorische Beschreibung des Briefwechsels sowie ein Anhang, der u. a. Transkriptionen von Brieftexten sowie Dokumente zur Geschichte der Realschulbuchhandlung bietet, schließen die Untersuchung ab.
Für die theologiegeschichtliche Forschung ist aus der Vielzahl thematisierter Sachverhalte insbesondere die Analyse der wissenschaftspolitischen Aktivitäten Reimers von Interesse. Hier spielt das von Reimer gepflegte Verhältnis zu seinen Autoren eine zentrale Rolle. Indem die Autoren in erheblichem Maße am Verlagsgeschehen beteiligt wurden und Reimer sein - durch die Produktion von Unterrichtswerken gesichertes - Unternehmen immer wieder auch für ökonomisch unrentable, dafür wissenschaftlich oder literarisch um so wertvollere Projekte zur Verfügung stellte, entstand eine Kommunikationsweise, die für die schriftstellerische Wirksamkeit der Mitglieder des romantischen Kreises von schlechthin entscheidender Bedeutung wurde. Indem Reimer innovative Formen des bürgerlichen Unternehmertums in den Dienst romantischer Ideen stellte, wurde er selbst zu einem der wichtigsten Protagonisten dieser weltanschaulichen Bewegung. Schleiermacher, der seine theologischen und religiösen Schriften seit Anknüpfung der persönlichen Beziehung fast ausnahmslos bei Reimer erscheinen ließ, ist hierfür das bekannteste, wenngleich keineswegs einzige prominente Beispiel.
Mit der detaillierten Beschreibung dieser fördernden Rolle Reimers leistet die Untersuchung einen wichtigen Beitrag zur Erforschung der wissenschafts-, literatur- und theologiegeschichtlichen Zusammenhänge in den frühen Jahrzehnten des 19. Jh.s. Sie ergänzt insofern auch die soeben erschienene verlagsgeschichtliche Studie von Doris Reimer (Passion und Kalkül. Der Verleger Georg Andreas Reimer, Berlin/New York 1999) sowie die ausführlichen Informationen zum Verhältnis von Reimer und Schleiermacher, die Andreas Arndt und Wolfgang Virmond dem von ihnen herausgegebenen Band V/5 der Kritischen Schleiermacher-Gesamtausgabe (Berlin/New York 1999) beigegeben haben. Zum Schleiermacher-Reimer-Briefwechsel sei auf die grundlegende Übersicht der beiden genannten Briefherausgeber in ihrer Zusammenstellung: Schleiermachers Briefwechsel (Berlin/New York 1992) verwiesen.