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Ausgabe:

Januar/2001

Spalte:

72–74

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Wellstein, Matthias

Titel/Untertitel:

Nova Verba in Tertullians Schriften gegen die Häretiker aus montanistischer Zeit.

Verlag:

Stuttgart-Leipzig: Teubner 1999. 351 S. gr.8 = Beiträge zur Altertumskunde, 127. ISBN 3-519-07676-4.

Rezensent:

Gösta Hallonsten

Die Rolle Tertullians bei der Entstehung einer altchristlichen Latinität ist seit fast 150 Jahren intensiv diskutiert worden. In vielen Einzeluntersuchungen wurde die dogmatische Terminologie sowie das Verhältnis Tertullians zu den altlateinischen Bibelübersetzungen eingehend beleuchtet. Auch der Stil Tertullians und sein Beitrag zum lateinischen Wortschatz überhaupt wurden diskutiert. In seinem als Dissertation vorgelegten Buch Nova Verba in Tertullians Schriften gegen die Häretiker aus montanistischer Zeit vereint Matthias Wellstein sämtliche genannten Forschungsanliegen, obwohl das Interesse des Autors vor allem philologisch bleibt. Das Buch ist also den Nova Verba innerhalb einer bestimmten Gruppe von Schriften gewidmet, nämlich denen innerhalb der antihäretischen Schriften aus der montanistischen Zeit Tertullians.

Eine Begründung für die Wahl eben dieser Gruppe wird dabei nicht gegeben, wie im Übrigen auch sonst die Ausführungen zu Ziel und Methode sehr knapp bleiben. ,Nova Verba' im Buchtitel meint nicht nur von Tertullian selbst gebildete Wörter (Neologismen Tertullians im engeren Sinne), sondern alle bei ihm zuerst belegten Wörter außer den Fremdwörtern. W. erhebt dabei Anspruch auf Vollständigkeit, was zu einer sehr umfassenden Untersuchung geführt hat, die ein notwendiges Hilfsmittel für alle Tertullianforscher werden wird.

Die zuerst belegten Wörter werden nach semantischen und formalen Kriterien wie nach ihrer Herkunft untersucht. Es wird betont "auf die Verwendung und die Funktion der Neubildungen im Kontext" geachtet (19). Daher ist die Untersuchung der vielen Belegstellen sowohl nach inhaltlich-sachlichen als auch nach philologisch-stilistischen Kriterien strukturiert, wobei Querverweise das Lesen erheblich erleichtern.

Nach der Einleitung (1.) folgt zunächst ein Abschnitt über die Beurteilung von Neologismen in der römischen Tradition (2.). Leider wird das an sich relevante Ergebnis dieses Kapitels- die Römer waren gegenüber Neubildungen sehr reserviert, obwohl sie die egestas linguae des Lateins gegenüber dem Griechischen beklagten - kaum weiter diskutiert und am Ende der Untersuchung nur knapp mit der Haltung Tertullians verglichen. Nach Kapitel 2 folgen dann die Hauptabteilungen der Untersuchung: "3. Neue Wörter in der Bibelübersetzung", ist ein Kapitel, das sowohl Tertullians eigene Neubildungen in der Übersetzung von Bibelzitaten als auch seine Rezeption von schon gegebenen Übersetzungen und deren Neologismen sehr instruktiv veranschaulicht. "4. Neue Wörter zur Übersetzung nichtbiblischer Ausdrücke", bearbeitet philosophische, gnostische und markionitische Wendungen. "5. Neue Wörter in Auslegungen und Anspielungen", läßt die rhetorisch-stilistischen Aspekte in der Wortwahl Tertullians besonders deutlich hervortreten. "6. Neue Wörter in dogmatischen Texten" berührt fast alle dogmatischen Themen und diskutiert die Herkunft der in der Forschung umstrittenen, aber zentralen Wörter wie trinitas und salutificator, wobei W. im Gegenüber zu Braun und anderen Vorgängern zu neuen Schlussfolgerungen kommt. (In diesem Zusammenhang fällt auf, dass der Autor die oft grundlegende Untersuchung zur Soteriologie Tertullians von Alberto Viciano, Cristo Salvador y Liberador del Hombre von 1986, überhaupt nicht nennt.) "7. Neue Wörter in der Auseinandersetzung mit Häretikern", mißt vor allem der Terminologie zur Seelenlehre theologische Relevanz bei.

Das Ergebnis der Untersuchung wird auf zwei Arten und an zwei Stellen zusammenfassend vorgestellt. Einmal gibt es am Ende des Buches ein Register über alle im Text untersuchten Wörter. Es geht approximativ um 400-500 Wörter. Im Register wird auch mit Abkürzungen vermerkt, welche Wörter nach der Meinung des Autors, im strengen Sinne Neubildungen Tertullians sind, welche Wörter aus vorliegenden Bibelübersetzungen stammen, welche Wörter zur Terminologie der frühen lateinischen Christen zählen und welche anderen Bereichen entstammen. Es ist sehr schade, dass W. keine Statistik bietet, auch nicht in den Zusammenfassungen am Ende jedes Kapitels. So muss der Leser selbst zählen oder schätzen.

Das auf detaillierte Einzeluntersuchungen angelegte und damit als Nachschlagewerk für Tertullianforscher sehr wertvolle Buch enthält auch eine kurze "Zusammenfassung und Wertung" (330-333), die sehr interessante Schlussfolgerungen aus den Einzeluntersuchungen zieht. Besonders auffallend ist dabei, dass der hoch gebildete Tertullian, im Unterschied zur römischen Tradition (vgl. Kap. 2), sehr frei mit neuen Wörtern umgeht. Er bildet gern neue Wörter, um Alliterationen und Homoioteleuta als stilistische Effekte zu erzielen. Dennoch sind bei diesem Streben nach Klangeffekten inhaltliche Motive mit den formalen eng verknüpft. Als Beispiel wäre vor allem Abschnitt 6.5.3. bei W. anzuführen, wo der Autor neue Wörter zum Vorgang der Wiederauferstehung behandelt. Die Funktion der vielen neuen Wörter mit dem Präfix re- wird durch den Kommentar zu De Resurrectione mortuorum 19,4 besonders deutlich: "In dieser Partie zeigt sich Tertullians Geschick bei der Wortwahl: Er verwendet medizinische Fachausdrücke, die die Vorgänge sehr klar verdeutlichen, und kombiniert diese mit Neubildungen, die der Variation dienen und durch die koordinierte bekannte Wörter immer sogleich verständlich sind. Zudem achtet er sehr darauf, dass alle Ausdrücke der Wiederherstellung gleichermaßen mit re anlauten, und bemüht sich, parallel gebaute Fügungen aus Wörtern mit gleicher Silbenzahl zu bilden" (259-60).

Auch in der Übersetzung bzw. Zitation von Bibelstellen zeigt Tertullian eine große Freiheit. Dieser zweisprachige Kirchenvater wählt offenbar genau, wenn er eine vorliegende lateinische Übersetzung zitieren will und wenn er selbst "besser" übersetzen kann. Dabei stellt W. fest, dass seine Neubildungen in den Übersetzungen biblischer und gnostischer Texte einen doppelten Charakter zeigen: "Einige sind Folge einer um sklavische Genauigkeit bemühten Übersetzungsweise, während andere im Vergleich zu späteren Versuchen die bei weitem eleganteste Lösung darstellen" (332). Ferner kommt W. zum Ergebnis, dass Tertullian neue Wörter aus fast allen Fachsprachen übernimmt (333). Er entschuldigt sich auch nicht für die Anwendung von neuen Wörtern, sondern gebraucht sie immer wieder wie geläufige Wörter. W. stellt fest: "Bemerkenswert ist aber Tertullians Purismus, auf poetische Ausdrücke fast völlig zu verzichten. So unterscheidet sich seine Wortwahl nicht nur völlig von der klassischen Tradition, sondern auch von seinem älteren Zeitgenossen Apuleius ...".

Für den Tertullianleser ist die Schlussfolgerung aus der Untersuchung W.s im Grunde eine Bekräftigung: Tertullian ist einer der originellsten lateinischen Autoren. Die Schwierigkeit, ihn zu verstehen, hängt mit seinem geschickten rhetorischen Stil und seiner Wortwahl eng zusammen. Im Gegensatz zu der bekannten These Adolf von Harnacks, dass Tertullian der Schöpfer der lateinischen Kirchensprache sei, hat die neuere Forschung seine Eigenart und Individualität innerhalb einer schon existierenden christlichen Latinität hervorgehoben. W. bestätigt und untermauert durch seine gründliche Untersuchung diesen heutigen Konsens. Tertullian war nicht der Schöpfer der Kirchensprache, sondern deren erste Zeuge. Auch hatten die vielen Neubildungen Tertullians wenig Nachwirkung. "Die meisten der Neubildungen, die überhaupt rezipiert werden, finden sich bei Augustin und Hieronymus, deren intensive Tertullianlektüre bekannt ist ... Seine Neubildungen sind Element seines Individualstils, der kaum Nachahmer finden konnte." (333)